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Missbrauchskomplex Bergisch GladbachVier Leichtverletzte bei den bundesweiten Razzien

Lesezeit 3 Minuten
Esser PK BG Köln

Kriminaldirektor Michael Esser gibt in Köln Details zu den Razzien vom Dienstag bekannt.

  • Fast 1000 Polizisten haben Wohnungen und Häuser von knapp 50 Verdächtigen aus zwölf Bundesländern durchsucht.
  • Ihnen wird vorgeworfen, kinderpornografisches Material besessen und verbreitet zu haben.
  • Reibungslos liefen die Razzien nicht ab.

Alles war sorgsam vorbereitet: So genannte „Umfeld-Ermittlungen“ hatten ergeben, dass der Kölner André K. (Name geändert) sich zum Zeitpunkt der geplanten bundesweiten Razzia gegen pädokriminelle Täter am Dienstag nicht daheim in Köln  aufhalten würde, sondern in Schleswig-Holstein. Die Kölner Polizisten informierten die Kollegen in Norddeutschland. Die schickten ein Observationsteam los. Als  K. nichtsahnend zu einem Spaziergang aufbrach, nahmen die verdeckten Ermittler die Verfolgung auf und überwältigten den völlig überraschten Mann am Strand,  stellten sein Handy sicher, brachten ihn zur Wache und nahmen Fingerabdrücke. Anschließend kam er wieder frei.

André K. ist einer von 50 Verdächtigen aus 12 Bundesländern, deren Häuser und Wohnungen in einer Großaktion fast 1000 Polizisten durchsucht  haben. Festnahmen oder Haftbefehle gab es nicht, die Beamten stellten mehr als 2000 Datenträger als Beweismittel sicher.

Den 48 Männern und zwei Frauen werde vorgeworfen, kinderpornografisches Material besessen und verbreitet zu haben, sagte Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) NRW. Nach derzeitigen Kenntnissen habe keiner selbst Kinder oder Jugendliche sexuell missbraucht. Aber:  „Wer Kinderpornografie auf dem  Handy oder Rechner hat, muss sich bewusst sein, dass hinter jedem Bild  ein Missbrauchsopfer steht“, betonte Michael Esser, Leiter der „BAO Berg“ bei der Kölner Polizei, die die  Razzia koordiniert hat. Bei der Ermittlung der Täter ziehe man alle Register. „Keiner soll ruhig schlafen können“, sagte Esser. „Wir werden sicher nicht alle Verdächtigen identifizieren können, aber eines verspreche ich: Wir strengen uns an.“

Das Beispiel André K. zeigt, dass die Polizei  nichts dem Zufall überlassen will. Bei vielen Durchsuchungen am Dienstag waren SEK-Teams eingesetzt – nicht etwa, weil die Verdächtigen als besonders gefährlich gelten, sondern weil die Spezialeinheiten wissen, wie man Kriminelle schnell und effektiv überwältigt. „Wir wollten den Überraschungsmoment nutzen“, erklärt Esser. Es gehe  darum, möglichst an die offenen Handys der Täter zu gelangen, denn darauf speichern sie die Fotos und Videos, die als Beweismittel dienen. In einem Fall in Sachsen wäre das beinahe schiefgegangen: Unter einem Vorwand zog sich ein Verdächtiger während der Durchsuchung ins Bad zurück und wollte sein Smartphone zerstören, sagte Esser. „Wir sind  zuversichtlich, dass wir die Daten wiederherstellen können.“ Vier Menschen wurden bei den Zugriffen verletzt – drei erlitten Kreislaufprobleme, darunter zwei schwangere Frauen, mutmaßlich die Partnerinnen zweier Tatverdächtiger. Die meisten Durchsuchungen gab es in Bayern (15) und Sachsen (13), in NRW waren es neun. Vier Verdächtige sollen aus Köln und Umgebung stammen.

Bei der Kölner Staatsanwaltschaft, die seit kurzem mit einer ständigen Task Force aus sechs Beamten im Bereich Kinderpornografie ermittelt, spricht man von einem „neuen Deliktfeld“: Es gehe nicht mehr wie früher um den Einzeltäter, sagte Oberstaatsanwalt Hartmann, sondern um „Kommunikationsnetzwerke“ in Chatgruppen, die es aufzudecken gelte. Bei der Polizei Köln sind derzeit knapp 60 Ermittler allein in der „BAO Berg“ gebunden, die seit Oktober 2019 besteht und als erstes gegen Jörg L. aus Bergisch Gladbach ermittelt hat. Dem 43-Jährigen wird derzeit vor dem  Kölner Landgericht der Prozess gemacht.

Andere Bereiche wie etwa die Bekämpfung des Taschendiebstahls müssten derzeit zurückstecken, sagte Polizeipräsident Uwe Jacob dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Aber das sei es wert, betonte er: Wer einmal die Bilder gesehen habe, auf denen Kinder brutal gequält und missbraucht werden, „der kriegt die nie mehr aus dem Kopf.“  Jahrzehntelang habe man  nicht intensiv genug hingeschaut, sagte Jacob. „Jetzt priorisieren wir das.“

Bei den mitunter schwierigen Ermittlungen lege man so lange Puzzleteile zusammen, ergänzt Esser, „bis wir die Kinder aus ihrem Leid herausgeholt haben.“

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