NSU-Anschlag in KölnAnwalt soll Opfer erfunden und 211.000 Euro kassiert haben

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Ein Bild der Verwüstung: Nach dem NSU-Anschlag in der Mülheimer Keupstraße

Ein Bild der Verwüstung: Nach dem NSU-Anschlag in der Mülheimer Keupstraße

  • Ein Anwalt soll eine Mandantin erfunden habe, die beim Nagelbombenanschlag in der Keupstraße verletzt worden sei.
  • Der Angeklagte behauptet, auf ominösen Vermittler reingefallen zu sein.
  • Jetzt muss das dunkle Kapitel deutscher Justizgeschichte in Aachen neu aufgerollt.
  • Neben dem Strafprozess droht dem Juristen aus Eschweiler auch ein weiteres Problem.

Aachen – Der Strafprozess am Landgericht Aachen rollt ein dunkles Kapitel deutscher Justizgeschichte auf. Von Freitag an muss sich ein Anwalt aus Eschweiler unter anderem wegen Betruges, Urkundenfälschung und falscher Versicherung an Eides statt vor der neunten Großen Strafkammer verantworten.

Der Fall erregt bundesweites Aufsehen, da der 52-jährige Jurist fast zweieinhalb Jahre im Mammut-Verfahren um die zehn Mordanschläge des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ein Phantomopfer als Nebenkläger vor dem Münchner Oberlandesgericht (OLG) vertreten hatte. Ralph W. aus Eschweiler soll laut Anklage zwischen April 2013 und dem 10. Oktober 2015 Anwaltshonorare aus der Justizkasse für eine Geschädigte namens Meral Keskin eingestrichen haben, die es nie gab.

Frau soll angeblich beim NSU-Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße verletzt worden sein

Angeblich soll die Frau beim NSU-Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße im Jahr 2004 verletzt worden sein. Ein fingiertes Attest belegte seinerzeit beim Münchner OLG ihr angeblich tragisches Schicksal.

Während Frau Keskin trotz mehrfacher Vorladung jedoch nie im Gerichtssaal erschien, fuhr ihr Anwalt regelmäßig an die Isar und kassierte Sitzungsgelder und Reisespesen in Höhe von 211.000 Euro. Zudem hatte der Jurist im Namen seiner Mandantin eine Härtefall-Entschädigung beim Bundesamt für Justiz in Höhe von 5000 Euro eingestrichen.

Im Herbst 2015 stellte sich heraus, dass das vermeintliche Opfer Meral Keskin gar nicht existierte. Zweieinhalb Jahre später erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den mutmaßlichen Betrüger. Sein Anwalt Peter Nickel bestreitet die Vorwürfe.

Angeklagter behauptet, auf ominösen Vermittler reingefallen zu sein

Auch sein Mandant hat stets seine Unschuld beteuert. Demnach soll ihm ein Kollege aus dem NSU-Verfahren den Fall Keskin angetragen haben. Der inzwischen verstorbene Kontaktmann Attila Ö. habe ihm das gefälschte Attest seiner Klientin vorgelegt. Zudem sei auch die Einladung des damaligen Bundespräsidenten dabei gewesen, der Opfer und Hinterbliebenen nach Berlin gebeten hatte.

Im Rückblick behauptete der Angeklagte, er sei auf den ominösen Vermittler hereingefallen. Laut Staatsanwaltschaft soll er dem Kollegen sogar eine Provision für das Mandat gezahlt haben. Erst nach 232 Verhandlungstagen im NSU-Prozess flog der Schwindel auf. Notgedrungen schied Ralph W. aus und muss nun selbst vor Gericht.

Berufliche Probleme drohen dem Anwalt

Dessen mutmaßliche Tricksereien aber könnten sogar System haben. Die Strafverfolger stießen bei ihren Nachforschungen auf weitere Betrugsversuche: Im Prozess um die tödliche Katastrophe auf der Loveparade in Duisburg im Jahr 2010 soll der Jurist aus Eschweiler laut Anklage versucht haben, sich mit falschen Angaben zum Gesundheitszustand seines Mandanten als Nebenklagevertreter in das Verfahren einzuschleichen. Nur in solchen Fällen übernimmt die Staatskasse die Kosten für die Opferanwälte.

Den Ermittlungen zufolge soll W. die Mutter und die Schwester des Mandanten dazu angestiftet haben, mit falschen Attesten langjährige Schlafstörungen des Klienten vorzutäuschen. Die zuständige Duisburger Strafkammer lehnte den Antrag von W. allerdings dennoch ab.

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Neben dem Strafprozess droht dem Juristen aus Eschweiler auch ein berufsrechtliches Problem. Auf Antrag der Kölner Anwaltskammer prüft die Generalstaatsanwaltschaft, ob sich W. standeswidrig verhalten hat. Der 52-Jährige könnte bei einem hohen Schuldspruch seine Zulassung als Anwalt verlieren. Eine Behördensprecherin mit: „Das Verfahren ist derzeit mit Blick auf den Strafprozess in Aachen ausgesetzt.“

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