OB Geisel gegen Kölner Direktor KellerDie Stichwahl um den künftigen Stil Düsseldorfs

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Keller wahlkampf

Stephan Keller macht Wahlkampf in Düsseldorf

  • Im ersten Wahlgang holte der Kölner Stadtdirektor Stephan Keller (CDU) acht Prozentpunkte mehr als der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD).
  • Dennoch wird es bei der Stichwahl am Sonntag wohl ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden geben.
  • Es ist auch eine Entscheidung über den Stil, mit dem die Landeshauptstadt künftig geführt wird. Die beiden Kandidaten im Doppel-Portät.

Düsseldorf – Vier Tage vor der Wahl, die entscheiden wird, ob er noch länger hier arbeiten darf, sitzt Thomas Geisel in seinem Büro im Düsseldorfer Rathaus, trinkt Grünen Tee und erklärt, warum er nicht Schuld ist. Sonnenblumen stehen auf dem Tisch, an der Wand ein Foto: Geisel und Papst, händeschüttelnd.

Dann mal los: Er ist nicht Schuld an der Umweltspur, die sich seit einem Jahr von der Autobahn durch die Innenstadt zieht und selbst stauroutinierte Pendler übermäßig viel CO2 in ihre Fahrerkabinen schnauben lässt (Habe er nur eingerichtet, weil Ministerpräsident Armin Laschet keine Dieselfahrverbote wollte). Er ist nicht Schuld am viel kritisierten und mittlerweile verschobenen 13000-Menschen-trotz-Pandemie-Konzert (Das Konzept war coronaverordnungskonform und er, Geisel, wäre natürlich umgehend verklagt worden, wenn er das verboten hätte). Und er ist nicht Schuld, dass sich mancher Bürger an der Rheinpromenade in diesen Tagen von feiernden Halbstarken verunsichert fühlt (Denn tatsächlich sei ja unter dem Ex-Dezernenten und Nun-Gegenkandidaten Stephan Keller der Ordnungs- und Servicedienst massiv vernachlässigt worden).

Thomas Geisel sagt: „Ich bin nicht der Kim Il-sung von Düsseldorf.“ Stimmt. Er ist der Oberbürgermeister.

Mindestens bis Sonntag, 18 Uhr.

Keller mit acht Prozentpunkten vorne

Dass Geisel überhaupt erklären muss, woran er denn nun keine Schuld trägt, das wiederum ist die Schuld von ebenjenem Stephan Keller, bislang Stadtdirektor von Köln und vielleicht bald sein Nachfolger. Keller hat als CDU-Kandidat im ersten Wahlgang knapp 34 Prozent geholt, Geisel als SPD-Mann nur 26. Acht Prozentpunkte Vorsprung, obwohl die Prognosen sie gleichauf sahen.

Die Frage also lautet: Wie konnte ihm, Thomas Geisel, der seit Amtsantritt eine Milliarde in Schulen investiert, 3000 neue Wohnungen jährlich geschaffen und keine Gelegenheit, in der Öffentlichkeit ein Rad zu schlagen, ausgelassen hat, das nur passieren?

Und was hat Keller, was er nicht hat?

Einen Tag zuvor, Viertel nach zwölf in Düsseldorf-Gerresheim. Es ist Wochenmarkt. Beigejackige Rentner stehen Schlange vor Wurstverkäufer und Brotbäcker, irgendwo spielt jemand Akkordeon. Thomas Geisel, blauer Anzug, schwarze Schuhe, ist gut gelaunt. Zwar musste er heute zu einer Uhrzeit aufstehen, die nur die wenigsten schon morgens und die meisten noch nachts nennen würden, weil er Busfahrern vor Dienstantritt einen Flyer mit seinem Gesicht darauf in die Hand drücken wollte. Doch, da geht sein Dank an den lieben Gott, sei er mit einem begrenzten Schlafbedürfnis ausgestattet.

Und tatsächlich, von Müdigkeit nichts zu spüren. „Hallo, ich bin Ihr Oberbürgermeister. Darf ich Ihnen ein Prospekt mitgeben? Und auch einen Kugelschreiber? Und bitte, denken Sie an die Stichwahl am Sonntag. Und auch den Nachbarn Bescheid sagen!“ Keine Frage, das hat er drauf. Geisel muss keinen Blickkontakt suchen, er findet ihn, duzt sich mit Körbchen unterm Arm durch den Stadtteil, auch ein Meister im Bürgersein.

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Eine ältere Dame freut sich unerwartet doll darüber, ihn nun „endlich mal persönlich zu treffen“. Ein Friseur kommt aus seinem Laden gelaufen, um Geisel einen Haarschnitt anzubieten. Ein Passant macht heimlich ein Foto mit seinem Handy und man ist sich sicher: Hätte Geisel das gesehen, er hätte dem Fremden gleich ein Selfie angeboten. Einzig ein Suffkopf ruft über sein Bier, er könne es nicht erwarten, dass Geisel endlich abgewählt wird, aber das überhört: Ihr Oberbürgermeister.

Visionär gegen besonnenen Manager

Wenn die Düsseldorfer am Sonntag stichwählen, zwischen Geisel und Keller, dann entscheiden sie vor allem über den Stil, mit dem die Stadt in Zukunft geführt werden soll. Die Kandidaten haben viel gemeinsam. Beide sind Juristen, Väter, Hobby-Radfahrer und haben sich ihren Wahlkampf einen sechsstelligen Betrag kosten lassen.

Und doch sind sie ganz anders.

Geisel beherrscht die hyperaktive Volkstümelei. Auf seine Wahlplakate hat er kein Parteilogo drucken lassen, dafür aber seine drei Töchter. In Gesprächen mit Bürgern sagt er Sätze wie: „Ich bin sehr für Gerechtigkeit.“

Aber Geisel gilt auch als zukunftsorientierter Wirtschaftsdenker. Ist er von einer Sache überzeugt, zieht er sie durch. Zur Not auch im Alleingang, was ihm nicht immer nur Zuspruch eingebracht hat, etwa beim Start der Tour de France 2017, mit dem die Stadt ein Minus von fast acht Millionen Euro machte. Unter seiner Führung allerdings wurde ein ehrgeiziges Klimaschutzprogramm gestartet. Ab 2035 sollen keine Treibhausgase mehr aus Düsseldorf in die Atmosphäre gelangen. In den vergangenen sechs Jahren habe er 14 Hektar Grünflächen geschaffen.

Keller gilt als besonnener Manager. Als Stadtdirektor wird er selbst von politischen Gegnern wegen seiner sachbezogenen Arbeitsweise geschätzt. Er hatte maßgeblichen Einfluss auf den ausgehandelten Vergleich über die Schadensbegleichung nach dem Einsturz des Stadtarchivs in Köln – und damit an dem Schuldeingeständnis der zuständigen Baufirma. Nur einmal leistete sich Keller einen Patzer, als er die Idee hatte, den Ebertplatz zuzuschütten. Wäre Henriette Reker nicht noch einmal angetreten, so hört man, würde Keller wohl in Köln kandidieren.

In Düsseldorf wirbt er für sorgfältige Planung und Sicherheit, will mit Amtsantritt 150 neue Ordnungskräfte einstellen und anders als Geisel nicht die Abkehr vom Auto in der Stadt. Stattdessen durch „kluge Ampelschaltung“ Emissionen vermindern, dazu Ausbau von Radwegen und ÖPNV. Wobei: Das will Geisel auch.

Beide unterscheiden sich oft in ihrem Weg, seltener in ihrem Ziel.

Keller trägt nun Sneaker

Ein anderer Tag, ein ähnlicher Termin. Kolpingplatz, Düsseldorf-Pempelfort. Auch hier ist Markt. Im Gegensatz zu Geisel geht Stephan Keller nicht, er steht. Seine Mitarbeiterinnen haben Tisch und Schirm aufgebaut, darauf Stephan-Keller-Broschüren, Stephan-Keller-Kugelschreiber, Stephan-Keller-Mund-Nasen-Schutz. Keller, in Köln stets im Anzug unterwegs gewesen, trägt Sakko, Jeans und Sneaker und wartet darauf, dass er angesprochen wird. Im Vorbeigehen sagt eine Dame: „Herr Keller, Sie sehen ja in natura viel schöner aus als auf den Plakaten.“ Er lacht, sieht aber auch dabei ernst aus. Stephan Keller ist nicht besonders gut im Schwatzen, aber wenn jemand etwas wissen will, dann schlägt er seine Hände vor dem Bauch zusammen, senkt den Oberkörper nach vorne und beginnt zu erklären, wie er das sieht.

Und eine Frau, ganz in Flieder, fragt ihn jetzt mal eben alles ab. Umweltspuren? Abschaffen, sagt Keller. Firmengrundstücke, die brach liegen? Bauverpflichtungen auferlegen. Sozialwohnung? Natürlich mehr davon!

Eigentlich müsste Keller mal langsam los, zum nächsten Termin, der schwarze VW-Bus ist schon vorgefahren, das Team hat eingeladen, doch Keller hört und hört nicht auf zuzuhören. Scheint zu wirken: Jeder hier sagt, er möchte am Sonntag Keller wählen. Nur: Einen Tag zuvor, am anderen Markt. Da haben alle behauptet, am Sonntag Thomas Geisel zu wählen. Rund 40 Prozent aller Stimmen verteilten sich am ersten Wahlsonntag auf andere Kandidaten.17,4 Prozent gingen an die Grünen. Auf diese Wähler hofft nun Geisel. 12,5 Prozent an die FDP. Auf diese Wähler hofft nun Keller.

Stephan Keller sagt: „Ich bin mir sicher, dass ich die Wahl gewinne.“

Thomas Geisel sagt: „Ich bleibe Oberbürgermeister.“

Geisel räumt Fehler bei Farid-Bang-Video ein

Am Dienstagabend trafen Geisel und Keller noch einmal öffentlich aufeinander. Podiumsdiskussion, organisiert vom Düsseldorfer „Express“. Keller kam mit Krawatte, Geisel ohne. Sie stritten ein bisschen, irgendwann ging es wieder um das Video von Geisel mit Farid Bang. Der Gangsta-Rapper sollte Jugendliche mit einer Ansprache dazu bringen, Abstandsregeln einzuhalten.

Geisel sagt, er habe nicht gewusst, dass Farid Bang frauenfeindliche und homophobe Texte schreibt. Nur die antisemitischen Zeilen waren ihm bekannt, aber die habe Bang im Vorgespräch glaubhaft bedauert. Na klar.

Keller schüttelt den Kopf. Ob er hingegen Experte für Farid-Bang-Texte ist, dazu sagt er nichts.

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