„Dieses Jahr müssen wir überleben“Reisebüros in Oberberg kämpfen um Existenz

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Liana Becker und viele ihrer Kollegen bangen um ihre Existenz – denn derzeit werden Reisen beinahe nur storniert statt gebucht.

Liana Becker und viele ihrer Kollegen bangen um ihre Existenz – denn derzeit werden Reisen beinahe nur storniert statt gebucht.

Oberberg – „Wir haben den 11. September überstanden, den Vulkan auf Island und den Putsch in der Türkei. Aber so eine Situation habe ich in 25 Jahren noch nie erlebt“, stöhnt die Bergneustädter Reisebüro-Inhaberin Silvia König.

Seit Mitte März steht ihr Telefon nicht still. Die Anrufer wollen nicht verreisen, sondern bereits angezahlte Reisen stornieren, Neubuchungen gibt es fast nicht. Obendrein verlangen viele große Veranstalter längst gezahlte Provisionen zurück. Geld, das ausgegeben ist für Miete, Versicherungen, die Gehälter der Angestellten.

Kein Lichtblick in Sicht

Die Situation ist dramatisch für die Reisebüros. „Es ist wie ein Krieg ohne Panzer“, beschreibt Iris Gubo vom First-Reisebüro in Wiehl die Lage – und ein Lichtblick sei nicht in Sicht. „Ich bin eine Kämpferin“, versichert König. „Aber dieser Kampf ist wie ein Kampf gegen Windmühlen. Wir werden von der Politik allein gelassen und sind die ehrenamtlichen Erfüllungsgehilfen der Veranstalter.“

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„Rettet die Reisebüros“, hat Silvia König auf ein Plakat geschrieben.

„Rettet die Reisebüros“, hat Silvia König auf ein Plakat geschrieben.

Deshalb hat sie jetzt mit anderen Inhabern von oberbergischen Reisebüros in Köln vor dem Dom demonstriert – zum ersten Mal in ihrem Leben. Mit symbolisch leeren Koffern und zusammengeklappten Liegestühlen. Denn für sie alle geht es um die Existenz, wenn es keine Hilfe gibt.

Weil niemand vorhersagen kann, wie lange die Krise noch andauern wird. 1,8 Milliarden staatlicher Rettungsfonds für den Großveranstalter Tui, ein Rettungsschirm für die Lufthansa – das hilft den lokalen Reisebüros nichts. „Es ist brutal“, sagt Liane Becker, seit 26 Jahren in Dieringhausen tätig.

Nur ein Prozent des Umsatzes vom Vorjahr gemacht

Die große Party, die Iris Gubo im Juni zum 25-jährigen Jubiläum ihres Reisebüros in Wiehl feiern wollte, ist abgesagt. Zum Feiern ist niemandem zumute in dieser Situation, wo die Reisefachleute in Oberberg ebenso wie ihre rund 10 000 Kollegen in ganz Deutschland sich fragen, wie lange sie noch durchhalten können.

Horst Wilhelm Jürges vom Holiday Land Reisebüro hat in diesem Frühjahr nur ein Prozent des Umsatzes vom Vorjahr gemacht. So etwas habe er noch nie erlebt, seit er 1977 das Geschäft in Waldbröl eröffnet habe, so der 72-Jährige.

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Silvia König hat seit Mitte März ganze zwei Reisen verkauft – eine für den Herbst und eine im nächsten Jahr. Bei den anderen ist die Situation ähnlich. Dabei brennen sie alle für ihren Beruf. „Das ist mein Leben!“, sagt König. Deshalb greift sie ihre Ersparnisse fürs Alter an, um weiterzumachen.

Auch Horst Wilhelm Jürges bangt um seine Existenz.

Auch Horst Wilhelm Jürges bangt um seine Existenz.

Jürges buttert das Geld, das eigentlich für die Renovierung der Räume vorgesehen war, ins Geschäft. „Dieses Jahr müssen wir überleben“, sagt auch Liane Becker. Alle vier Reisebüros haben geöffnet. Die Mitarbeiterinnen sind in Kurzarbeit, aber alle wollen für ihre Kunden da sein, sie weiterhin beraten. Auch wenn diese reihenweise stornieren oder bestenfalls umbuchen.

Veranstalter sind nicht erreichbar

Auf jeden Fall haben sie viele Fragen: Bekomme ich mein Geld zurück? Was passiert mit meiner Anzahlung? Denn die Veranstalter seien nicht erreichbar – diese bittere Erfahrung machen Kunden wie Reisebüromitarbeiter ständig.

„Aber unser Telefon ist nicht abgestellt, auch wenn wir kein Geld verdienen, wir sind persönlich da“, sagt Becker. „Wir erleben im Moment, dass Leute, die im Internet gebucht haben, von diesen Plattformen an uns Reisebüros verwiesen werden, damit wir ihnen helfen sollen“, empört sich König.

Ferien in Oberberg sind wieder möglich

Seit einigen Tagen ist das Kur- und Touristenbüro „Ferienland Reichshof“ wieder geöffnet – und schon flattern erste Anfragen nach oberbergischen Urlaubsmöglichkeiten ins Haus, so die Leiterin der Kurverwaltung Katja Wonneberger. „Ein bisschen holprig ist der Start zwar noch, aber vor allem Prospekte sind gefragt.“ Sie ist überzeugt, dass die über 70 Reichshofer Freizeitbetriebe, vom Hotel bis zur kleinen Ferienwohnung, in diesem Jahr gut zu tun haben werden.

Urlaub in Deutschland sei angesagt: „Und wir haben hier sehr schöne Wandermöglichkeiten im Oberbergischen!“ Zurzeit berät das Büro wie auch das Ordnungsamt die Betriebe, die in den nächsten Tagen öffnen möchten, in Sachen Hygieneauflagen und gibt die Informationen von Dehoga und Tourismusverband weiter. Gäste aus Deutschland können Hotels ab 18. Mai beherbergen, Ferienwohnungen ab sofort. „Aber einige brauchen noch ein paar Tage, bis sie so weit sind“, weiß Wonneberger. (ms)

Die Rettung? Helfen könne nur ein staatlicher Rettungsfonds, der die Provisionen abdecke, für Reisebüros und kleine Veranstalter, die bereits vor Ort in Vorleistung gegangen seien. Gut tun der Bergneustädterin aber auch „Sekt und Schoki“, die Stammkunden zur Aufmunterung vorbei bringen – und wenn die Kunden Geduld haben.

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