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Dr. Jonathan F. Donges im Interview„Dringend handeln, um das Klima zu schützen“

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2019 hielt Klimaforscher Dr. Jonathan F. Donges beim Landwirtschaftsgottesdienst in der Bergneustädter Altstadtkirche die Predigt.

2019 hielt Dr. Jonathan F. Donges beim Landwirtschaftsgottesdienst in der Bergneustädter Altstadtkirche die Predigt. Donges, der aus Gummersbach stammt und am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung arbeitet,  sprach nicht nur dort, sondern seitdem öfter in Oberberg über Kipppunkte und Extremwetterereignisse. Frank Klemmer fragte Donges danach, wie er Extremereignisse wie in diesem Sommer erlebt.

Wie fühlt man sich als Prophet, wenn die eigenen Vorhersagen jetzt direkt vor der Haustür eintreffen?

Dr. Donges: Es ist eine etwas unwirkliche Situation gerade. Seit über zehn Jahren erforsche ich Extremwetterereignisse. Wenn ich das als Physiker mache, ist das zunächst ein abstrakter Vorgang, es basiert vor allem auf Daten. Aber das, was in diesem Sommer in NRW und in Rheinland-Pfalz passiert ist, ist mir schon sehr nahe gegangen. Meine Mutter stammt aus Hagen. Wuppertal und Solingen sind Städte, die ich kenne. Auch das Ahrtal und die Eifel: Ich habe in Bonn studiert. Wenn man sich für die Natur interessiert, für Pflanzen und Gesteine, dann geht man dorthin. Ich kenne die Orte, wo das passiert ist.

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Ist das etwas anderes, als wenn Ihre Prognosen irgendwo anders eintreten?

Für mich persönlich schon. Ich glaube, dass ist irgendwie menschlich. Es ist einfach eine andere Betroffenheit, die man spürt, als wenn das zum Beispiel in Bangladesch passiert. Ich denke, das geht gerade vielen so. Dennoch ist es schade, dass es vor der eigenen Haustür passieren muss, damit man wirklich das Gefühl bekommt, dass sich etwas ändern muss.

Das heißt aber auch: Sie haben es kommen gesehen?

Zunächst einmal ist das für mich einfach Physik. Wir stellen fest, dass die Extremwetterereignisse zunehmen. Mit Hilfe der Attributionsforschung können wir Stück für Stück nachweisen, welchen Einfluss der Mensch darauf hat.

Wie geht Wirtschaft im Klimawandel?

Was bedeutet der Klimawandel für die Wirtschaft? Wie verändert er unser Arbeiten? Ist eine Wirtschaft wie in Oberberg klimaneutral vorstellbar? Wenn ja: Wie?

Darüber spricht Redaktionsleiter Frank Klemmer am Mittwoch, 25. August, ab 17.30 Uhr im Video-Interview mit Klimafolgenforscher Dr. Jonathan F. Donges und dem Waldbröler Unternehmer Sven Gebhard. Gebhard ist Geschäftsführender Gesellschafter des Familienunternehmens GC-heat, ein Spezialist für Heizelemente. Seit 2020 ist er Vizepräsident der IHK zu Köln.

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Die Wissenschaft warnt seit Jahrzehnten vor den Folgen eines ungebremsten Klimawandels, aber die Aussage scheint nicht anzukommen. Man hört uns Forschenden vielleicht zu, aber es gibt von Seiten der Politik kein konsequentes Handeln.

Was ändert sich daran?

Da ist vor allem die Erkenntnis, dass der Klimawandel für uns schon Konsequenzen hat und nicht erst für unsere Enkel. Der aktuelle Bericht des Weltklimarates, dass die Erderwärmung um 1,5 Grad bereits bis 2030 Wirklichkeit werden könnte, ist für mich keine Überraschung. Der Bericht beruht ja zum Teil auf Erkenntnissen der Forschung unseres Institutes. Zusätzlich gibt es Prozesse in der Entwicklung des Klimas, die wir lange nicht kannten. Und die machen es noch deutlicher, dass wir dringend handeln und das Klima schützen müssen.

Es könnte also Ihrer Ansicht nach noch schneller gehen und noch schlimmer werden?

Man muss wissen, dass die Klimaforschung sehr konservativ ist. Berichte wie der des Weltklimarates sind eher vorsichtig bei dem, was sie feststellen. In der Forschung selbst gibt es auch andere Szenarien. Deshalb würde es mich nicht überraschen, wenn manches noch schneller geht.

Etwas, das gerade schneller zu gehen scheint, ist das Auftauen des Permafrostes. Sind die Temperaturen in Sibirien für Sie die besorgniserregendste Nachricht des Jahres?

Es stimmt, das hat gerade zwar weniger Aufmerksamkeit als Wald- und Torfbrände in Amerika oder Kanada. Aber das sind Entwicklungen, die wir zwar berechnen konnten. Wenn sie so wie jetzt dann aber eintreten, ist das schon beängstigend.

Im Zusammenhang mit den Fluten dieses Sommers war außerdem viel vom Jetstream, der steckengeblieben ist, die Rede. Auch das ist eines Ihrer Themen . . .

Wir haben das in den vergangenen Jahren immer wieder gesehen, dass das zu verschiedenen Extremwettersituationen führen kann, nicht nur zu Starkregen wie jetzt, auch zu Hitzewellen. Wir haben einfach dieses Phänomen beobachtet und dann eine physikalische Erklärung dafür gefunden.

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Daher erwarten wir, dass solche Extremereignisse in Zukunft noch häufiger und heftiger werden. Allerdings können wir natürlich nicht genau vorhersagen, in welchen Jahren oder Monaten dies passieren wird.

Wo liegen für Sie die nächsten Kipppunkte beim Klima?

Ein wichtiger Punkt ist der Golfstrom, der für das gesamte Wettersystem bei uns verantwortlich ist. Er ist quasi die Wetterpumpe Europas. Die Wetterküche im Nordatlantik sorgt dafür, dass Hoch- und Tiefdruckgebiete im Wechsel zu uns kommen. Und es gibt immer mehr Studien, die darauf hinweisen, dass er zum Erliegen kommen könnte und dass das alles durcheinander gewirbelt wird.

Was heißt das für uns in Europa?

Zunächst einmal heißt das, dass das Wetter in Europa sich abkühlen könnte – zumindest relativ im Verhältnis zur bereits bestehenden Erwärmung. Aber so genau weiß niemand, was an die Stelle tritt, wenn unser bisheriges Wettersystem nicht mehr funktioniert.

Die wichtigste Frage, die sich auch die Menschen in Oberberg stellen dürften, wenn sie das hören, dürfte sein: Was können wir dann denn überhaupt noch tun, wenn das so ist, wie Sie sagen?

Eine konsequente Politik zur schnellen Verringerung der Treibhausgasemissionen im Einklang mit den Pariser Klimazielen muss jetzt so rasch wie möglich umgesetzt werden. Aber die Lage wird unabhängig davon erstmal noch schlechter. Da sind Dinge in Bewegung geraten zum Beispiel was die Eisschilde, was Grönland, die Antarktis oder die Ozeane betrifft, die sich erstmal nicht mehr stoppen lassen. Selbst bei der Erderwärmung um 1,5 Grad geht man langfristig von einer Erhöhung des Meeresspiegels um zwei bis fünf Meter aus. Allein das bedeutet große Herausforderungen, zum Beispiel für den Küstenschutz.

Was können wir dann überhaupt noch gewinnen, wenn wir etwas tun?

Vor allem Zeit. Wir können die Entwicklung verlangsamen, um unsere Infrastruktur an die neuen Herausforderungen anzupassen. Und wenn wir die Erderwärmung abbremsen, haben wir außerdem auch eine Chance, dass weitere Kipppunkte in Zukunft nicht mehr überschritten werden oder einzelne Entwicklungen sogar rückgängig gemacht werden.

Was hat sich denn aus Ihrer Sicht in diesem Sommer verändert?

Ich glaube, viele Menschen haben verstanden, dass es längst nicht mehr nur um Bequemlichkeiten geht: Welches Auto kann ich fahren? Wie oft und wie weit darf ich in Urlaub fliegen, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen? Nein, es ist eine existenzielle Bedrohung, der wir ausgesetzt sind. Hier, in unserer nächsten Umgebung und nicht irgendwo sonst auf der Welt.

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