Heiner Brand über den Handball in der Corona-Zeit„Der Sport rückt in den Hintergrund“

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Heiner Brand (r.), hier mit dem neuen Bundestrainer Alfred Gislason, hat auch als Sky-Kommentator in diesen Tagen Pause.

Heiner Brand (r.), hier mit dem neuen Bundestrainer Alfred Gislason, hat auch als Sky-Kommentator in diesen Tagen Pause.

  • Der ehemalige Handball-Bundestrainer Heiner Brand sieht in der aktuellen Krisen-Zeit den Sport im Hintergrund
  • Unser Redakteur Andreas Arnold sprach mit dem gebürtigen Gummersbacher über die finanziellen Sorgen, die mit der Krise einhergehen werden.
  • Außerdem verriet er auch Details über sein aktuelles Privatleben.

Gummersbach – Der ehemalige Handballbundestrainer Heiner Brand ist seit mehr als 50 Jahren im Leistungshandball unterwegs. Andreas Arnold sprach mit ihm über die Auswirkungen von Corona auf den Handball und andere Mannschaftssportarten.

Herr Brand, nach der Absage der Olympischen Spiele und der Paralympics steht auch der deutsche Profihandball vor der Entscheidung, ob die laufende Saison wegen der Corona-Krise abgebrochen wird. Was erwarten Sie?

Brand: In Zeiten von Corona sehe ich den Sport ganz klar im Hintergrund. Und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitsplätze beispielsweise in der Fußballbundesliga da dranhängen und wie viel Geld dahinter steckt im europäischen Fußball. Zunächst einmal geht es um andere Probleme in unserer Gesellschaft. Die sind schwerwiegend genug, die alle in die Reihe zu bekommen. Klar ist aber auch, dass die Verantwortlichen in den Verbänden und den Vereinen sich Gedanken machen müssen, wie es weitergehen kann. Zur Zeit ist ja noch völlig offen, ob und wie die Ligen zu Ende gespielt werden können.

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Ist es nicht an der Zeit, für Klarheit zu sorgen. So, wie andere Ligen das auch schon geschafft haben?

Je länger die Zeit mit Auflagen und Verboten andauert, desto unwahrscheinlicher ist die Option, dass die Saison zu Ende gespielt wird. Im Handball macht es keinen Sinn, Geisterspiele zu absolvieren.

Im Fußball ist das aber immer noch ein Thema. Wie erklären Sie sich das?

Im Fußball ist es so, dass die Gelder der Fernsehsender wie Sky oder Eurosport auch bei einem Geisterspiel fällig würden. Im Handball sind die Summen, wenn überhaupt etwas gezahlt wird, eher gering mit Blick auf deren Anteil am Etat der Vereine. Die Eishockey-Bundesliga hat ihre Saison nicht umsonst abgebrochen, weil in den riesigen Arenen bei Geisterspielen enorme Kosten auf die Vereine zugekommen wären. Im Handball wäre das ja nicht anders.

Für den Fall, dass im Profihandball die Saison abgebrochen würde, gibt es schon Szenarien von gar keiner Wertung bis zu einer Wertung nach der Tabelle zum Ende der Hinrunde. Was würden Sie gut finden?

In mehr als 50 Jahren Handballleistungssport bin ich mit so etwas noch nie konfrontiert worden. Das ist für alle Beteiligten neu. Es ist sicherlich nicht einfach, überhaupt eine Lösung zu finden, die dann auch noch gerecht sein soll. Ich habe mir aber ehrlich gestanden darüber wenig Gedanken gemacht, weil bei mir im Augenblick der Sport in den Hintergrund gerückt ist. Würde man den aktuellen Tabellenstand zugrunde legen, wäre das wohl nicht gerecht. Das ist ein schwieriges Szenario, hier eine Lösung zu finden. Man muss ja auch überlegen, wie man mit der Teilnahme an den europäischen Wettbewerben umgeht.

Große Vereine wie die SG Flensburg/Handewitt haben bereits nach finanzieller Hilfe gerufen. Muss man da nicht die Sorge haben, dass Vereinen wie dem VfL Gummersbach, die nicht auf Rosen gebettet sind, finanziell die Puste ausgeht?

Das können die direkt Beteiligten besser beantworten als ich. Aber man kann die Probleme ja auch so erkennen, wenn die Spielergehälter weiter gezahlt werden müssen, ohne dass Einnahmen fließen und dann zwangsläufig über Kurzarbeitergeld gesprochen wird. Zudem weiß man im Einzelfall nicht, wie die Sponsoren der Vereine mit der Situation umgehen. Erst recht weiß man nicht, wie es bei den Sponsoren in der Zukunft aussieht. Unterschiedliche Unternehmen werden in Zeiten von Corona ganz unterschiedlich belastet. Bei den Vereinen, die knapp kalkuliert haben, wird es bestimmt eng. Aber man sieht ja am Beispiel von Flensburg, dass dort über drastische Einschnitte gesprochen wird. Dabei gehört die SG neben dem THW Kiel zu den Vereinen, denen man eine große Wirtschaftskraft zutraut. Wenn die schon stöhnen, macht man sich schon Gedanken, wie es bei den wirtschaftlich schlechter gestellten dann aussieht.

Das klingt alles danach, als könnte der Profi-Sport gerade im Bereich der Mannschaftssportarten nach der Corona-Krise ein anderer sein.

Was die finanzielle Ausstattung der Ligen angeht, wird gerade im Fußball ja schon viel spekuliert. Die Zeiten der Ablösesummen von 100 Millionen Euro und mehr könnten vorbei sein und dass die Spieler bei ihren Gehältern künftig auf Geld verzichten müssen, betrifft sicherlich nicht nur den Fußball. Das wird auch andere Mannschaftssportarten treffen. Ich kann mit gut vorstellen, dass alle enger aufgestellt sein werden und Abstriche machen müssen. Das wäre dann für die beteiligten Trainer und Spieler nicht so angenehm. Am Ende aber wäre es eine Sache, mit der man leben könnte.

Mit Hinblick auf die Verschiebung der Olympischen Spiele können Sie als Betroffener des Boykotts der Spiele 1980 in Moskau gut nachvollziehen, was die Situation für einen Spitzensportler bedeutet.

Gar keine Frage, denn nach dem Gewinn der WM im Jahr 1978 gehörten wir zu den Favoriten auf Gold bei den Spielen in der Sowjetunion. Nachdem dann die Politik den Boykott beschlossen hatte, war der Sport am Ende der einzige Bereich, wo er ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Und wir waren die Leidtragenden.

Wobei Sie ja als Handballer andere internationale Wettbewerbe hatten.

Gewiss. Obwohl es sehr schlimm war, hatten wir unseren Ausgleich über die Liga hin zum Europapokal. Wir hatten neue Ziele. Aber Einzelsportler wie Zehnkämpfer Guido Kratschmer, der vier Jahre nur darauf hingearbeitet hatte, der als Topfavorit für eine Medaille galt, für den ist eine Welt zusammengebrochen. Insofern habe ich mich auch geärgert, dass sich Dagmar Freitag als Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag aktuell in die Diskussion über eine Verschiebung der Spiele in Tokio eingemischt hat, weil uns die Politik damals Olympia geklaut hat. Das habe ich nicht vergessen. Da sollte sich die Politik raushalten.

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Unbenommen dessen war die Entscheidung gegen den geplanten Termin aber überfällig, oder?

Auf jeden Fall und absolut nachvollziehbar. Zurzeit ist überhaupt nicht absehbar, wie sich die gesundheitliche Situation auf der Welt noch entwickelt bis dahin. Das ist nicht zu kalkulieren. Hinzu kommt eine Vorbereitung für die Athleten unter völlig ungleichen Vorzeichen sowie die Doping-Problematik. Wie mehrfach zu lesen war, kann zurzeit kaum bis gar nicht kontrolliert werden.

Zum Schluss eine persönliche Frage. Wie sieht ihr Privatleben in diesen Tagen aus?

Ich bin schon sehr diszipliniert. Ich gehe raus, um einen Spaziergang zu machen oder um Fahrrad zu fahren. Ansonsten bleibe ich daheim. Ich hole morgens Brötchen, kaufe auch ein, doch alle sozialen Kontakte haben wir aktuell abgebrochen. Dafür telefonieren wir mehr. Ansonsten beschäftigte ich mich mit Dingen, die ich immer wieder aufgeschoben habe. Das ist alles nicht sehr schön, aber eine Situation, über die ich mich nicht beklagen will.

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