Lange Anreise aus NeuseelandGraeme Pinfold besucht Absturzstelle

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In der Nähe von Odenspiel klärt Michael Güdelhöfer (l.) Graeme Pinfold, dessen Frau Mary und Sohn Nicholas auf, wie Pinfolds Onkel ums Leben gekommen ist.

In der Nähe von Odenspiel klärt Michael Güdelhöfer (l.) Graeme Pinfold, dessen Frau Mary und Sohn Nicholas auf, wie Pinfolds Onkel ums Leben gekommen ist.

  • Bei einer Angriffswelle im zweiten Weltkrieg auf Wuppertal stürzt im Mai 1943 Frederick Bennett ab.
  • Über 76 Jahre später besucht sein Neffe die Absturzstelle in Odenspiel bei Reichshof.
  • Für Graeme Pinfold fügt sich der letzte Stein im Familienmosaik.

Odenspiel – Schließlich möchte Graeme Pinfold innehalten, er braucht ein paar Augenblicke für sich. Seine Frau Mary ist bei ihm, und Sohn Nicolas ist es auch. Gerade hat die Familie aus Auckland in Neuseeland den Ort erreicht, an dem Graeme Pinfolds Onkel Raymond Frederick Bennett ums Leben gekommen ist.

Der 62-Jährige steht an einer Wiese bei Odenspiel. Immer wieder regnet es, der Himmel über Reichshof ist grau. Still und kühl ist es, niemand ist am frühen Nachmittag auf den schmalen Wegen unterwegs. „Meine Mutter hat lange, sehr lange um ihren Bruder getrauert“, erinnert sich Pinfold, der den Ortsnamen Odenspiel seit Kindertagen kennt. „Denn sie und meine Oma haben immer gehofft, dass jemand aus unserer Familie einmal die Stelle sehen würde, an der er sein Leben verlor.“

Das war am 30. Mai 1943, spät in der Nacht. Raymond Frederick Bennet ist 29 Jahre alt und Pilot des neuseeländischen Militärs. Mit 25 Flugzeugen unterstützt die Royal New Zealand Air Force das britische Bomberkommando bei seinem Angriff auf die Stadt Wuppertal. Der „Pilot Officer“ aus Otahuhu sollte in dieser Nacht nicht mehr auf seinen Stützpunkt zurückkehren.

„Seine Leiche lag in der Nähe des Wracks“, berichtet Michael Güdelhöfer. Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt sich der Mann aus Wilnsdorf (bei Siegen) mit den ungewissen Schicksalen von Soldaten, die bei Luftkämpfen im Zweiten Weltkrieg starben.

Den Fokus seiner Nachforschungen richte er meist auf das Siegerland, den Landkreis Altenkirchen, den Westerwald und eben das Bergische Land. „Die Zahl der Augenzeugen ist inzwischen klein, aber das Interesse der Angehörigen auch heute noch sehr groß“, betont der 48-jährige Güdelhöfer, der als System-Operator für Hubschrauber beim Flugdienst der Bundespolizei in Sankt August (Rhein-Sieg-Kreis) arbeitet.

Angriffswelle auf Wuppertal

Am Abend des 29. Mai 1943 nehmen insgesamt 719 Flugzeuge unter dem Kommando der britischen Streitkräfte Kurs auf Wuppertal. Sie sollen den Stadtteil Barmen aus der Luft angreifen, so hatte der Befehl der Royal Air Force wenige Stunden zuvor gelautet. Die Fracht der Maschinen: Rund 920 Tonnen Sprengbomben und mehr als 1000 Tonnen an Brandbomben.

Unter den ersten 50 Maschinen, die gegen 22 Uhr gestartet sind und nach Mitternacht auf die bergische Stadt zufliegen, ist auch die Short Stirling Mk. III von Pilot Officer Raymond Frederick Bennett. Soldaten wie der 29-Jährige unterstützen die Briten bei diesem Angriff, mit 25 Flugzeugen ist das 75. Squadron der neuseeländischen Armee in der Luft. Nur 13 davon erreichen ihr Ziel und werfen Bomben ab, vier Maschinen stürzen ab. Fast 3400 Menschen verlieren in dieser Nacht ihr Leben. Unter ihnen ist Bennett, dessen Maschine während des Angriffs getroffen wird, wahrscheinlich von einem deutschen Abfangjäger..

„Es könnte gut sein, dass die Maschine beim Absturz auseinandergebrochen ist“, sagt Michael Güdelhöfer. „Belege gibt es aber nicht.“ Er hilft Angehörigen von Opfern im Zweiten Weltkrieg dabei, deren Schicksale aufzuklären. Kosten entstünden nicht, betont der 48-Jährige. Er ist zu erreichen unter (02739) 4 77 25 30 oder per E-Mail: ferdelance@gmx.de. (höh)

„Bei 30 Flugzeugen, darunter drei aus den USA und Kanada, konnte ich helfen, die Schicksale ihrer Besatzungen aufzuklären.“ Vor drei Jahren habe er mit der Recherche im Fall „Bennett“ begonnen, zu Beginn dieses Jahres sei er dann mit Graeme Pinfold über das Internet in Kontakt gekommen.

Berichte von Augenzeugen

Endlich stehen sich die Männer gegenüber. Güdelhöfer zeigt hierhin, deutet dorthin. Und Familie Pinfold lässt Blicke über jene Wiese schweifen. Der genaue Ort soll geheim bleiben, weil es „Touristen mit zweifelhaftem Anliegen“ gebe und „etliche Menschen, die auf Funde hoffen, um sie im Internet zu verkaufen“, führt Hobbyforscher Güdelhöfer aus und zitiert die Berichte von Augenzeugen. Diese beschreiben, wie Bennetts Short Stirling Mk. III lichterloh brennend vom Himmel stürzt und am Boden zerschellt. Acht Soldaten bilden die Besatzung, fünf von ihnen sterben. „Offenbar wollte der Pilot – wie es üblich war – als letzter abspringen, nachdem sich die anderen gerettet hatten“, vermutet Güdelhöfer. Die Toten seien – bis auf Raymond Frederick Bennett – am Rand eines nahen Waldes auf einer Anhöhe gefunden worden. Sie hatten tatsächlich die Reißleinen ihrer Fallschirme gezogen. „Aber das Flugzeug war bereits zu tief, sie hatten keine Chance.“

Die drei Überlebenden wurden von Deutschen gefangen genommen. Der letzte von ihnen starb 2015. „Beerdigt wurde Raymond Frederik Bennett zunächst in einem Gruppengrab bei Köln, später wurde er dann auf dem britischen Ehrenfriedhof im Reichswald bei Kleve am Niederrhein bestattet.“

Für Graeme Pinfold fügt sich bei diesem Besuch im Oberbergischen „der letzte Stein ins Familienmosaik“. „Auch wenn ich meinen Onkel nicht kennengelernt habe, so ist es mir doch ein Bedürfnis, mehr über sein Leben und seinen Tod zu erfahren“, erklärt der Neuseeländer, der als Buchhalter bei der Auckland Theatre Company beschäftigt ist. „Und eine gewisse Trauer ist dann doch plötzlich da.“

Schon oft ist Pinfold nach Europa und Deutschland gereist, um mit der Familie Fahrradurlaube zu verbringen – so wie diesmal, von Wien geht es nach Amsterdam. Und erst am Morgen sind die Drei in der niederländischen Grachtenmetropole aufgebrochen. „Tatsächlich haben wir es zuvor nie geschafft, nach Odenspiel zu fahren“, bedauert Graeme Pinfold.

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