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Neues MedikamentGummersbacher Krankenhaus nimmt an Myasthenie-Studie teil

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Doppelblindstudie: Im Krankenhaus-Labor wird nicht nur die richtige Infusion, sondern auch ein Placebo zur Gegenprobe vorbereitet.

Doppelblindstudie: Im Krankenhaus-Labor wird nicht nur die richtige Infusion, sondern auch ein Placebo zur Gegenprobe vorbereitet.

  • Das Gummersbacher Kreiskrankenhaus nimmt an einer internationalen Myasthenie-Studie teil.
  • Myasthenie ist eine Erkrankung sowohl des Immunsystems als auch der Muskulatur. Eine Fehlsteuerung des Immunsystems behindert oder blockiert die Aufforderung der Nerven an die Muskeln tätig zu werden.
  • Behandelt wird das aktuell mit sogenannten Immunsuppressiva, die allerdings das gesamt Immunsystem dämpfen. Diese Therapie mildert die Myasthenie lediglich und macht den Menschen aber gleichzeitig anfälliger für alle möglichen Infektionen.

Gummersbach – Als eines von weltweit 40 seiner Art nimmt das Myasthenie-Zentrum am Gummersbacher Kreiskrankenhaus an einer internationalen Studie zu einem neuen Medikament teil, mit dem die Muskelermüdung gezielter behandelt werden soll. Prof. Dr. Franz Blaes, Immunologe und Chefarzt der Neurologischen Klinik, ist stolz darauf, dass Gummersbach als einziges nicht-universitäres Krankenhaus an der Zulassungsstudie teilnehmen darf.

Ausschlaggebend waren Blaes’ Ruf als Immunologe und seine Erfahrung mit solchen Studien. Myasthenie ist eine Erkrankung sowohl des Immunsystems als auch der Muskulatur. Eine Fehlsteuerung des Immunsystems behindert oder blockiert die Aufforderung der Nerven an die Muskeln tätig zu werden. Klingt kompliziert, lässt sich aber am Beispiel Treppensteigen einfach erklären: Gesunde geraten im dritten oder vierten Stock außer Puste, für Myasthenie-Patienten ist oft schon in der ersten Etage Schluss.

Eine überschießende Reaktion des Immunsystem hat am Übergang von Nerv zu Muskel eine Entzündung ausgelöst mit der Folge, dass die Verbindung zwischen den beiden Organen blockiert ist und die Muskeln je nach Belastungsgrad enorm schnell ermüden und kraftlos werden. Der Betroffene kommt keinen Schritt mehr weiter.

Myasthenie kann all die Muskeln betreffen, die der Mensch selbst aktivieren kann. Das reicht von denen am Skelett für Bewegung bis zum Schluckmuskel oder den Augenlidern, die sich nicht mehr vollständig öffnen lassen. Behandelt wird das aktuell mit sogenannten Immunsuppressiva, die allerdings das gesamt Immunsystem dämpfen. Diese Therapie mildert die Myasthenie lediglich und macht den Menschen aber gleichzeitig anfälliger für alle möglichen Infektionen, vom grippalen Infekt bis hin zu Corona. Etwa die Hälfte der Myasthenie-Patienten, die an Covid-19 erkranken, durchleiden einen schweren Krankheitsverlauf.

Nur 60 Patienten in Oberberg

Myasthenie ist keine Massenerkrankung. Statistiken gehen von 20 bis 25 Betroffenen je 100 000 Einwohnern aus. Das würde für Oberberg etwa 60 Patienten bedeuten. 90 Prozent von ihnen sind bei Franz Blaes in Behandlung. Patienten aus den Nachbarkreisen hinzugerechnet, behandelt der Chefarzt etwa 140 Myasthenie-Kranke. Das sind genug, um einige zu finden, die an der Studie mitmachen können.

Die Probanden müssen den strengen Studien-Bedingungen des Arzneimittelherstellers entsprechen, und sie müssen natürlich bereit sein, sich zusätzlich zur bisherigen Medikation das zu testende Präparat verabreichen zu lassen. Dieses bekämpft exakt das Myasthenie-Problem, das übrige Immunsystem wird nicht angetastet.

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Eine neue Arznei hat Blaes bereits vor einem Dreivierteljahr getestet. Damals konnte nur eine Patientin mitmachen, das Präparat schlug gut an, berichtet der Neurologe. Blaes hofft, für diese zweite Studie eines anderen Präparats zwischen fünf und acht Patienten zu finden.

Wöchentliche Infusionen und Placebo

Ein Teil von ihnen wird einmal wöchentlich das neue Mittel per Infusion bekommen, die anderen werden ein wirkungsloses Placebo erhalten. Wer was bekommt, darf auch der Arzt nicht wissen. Die Zutaten für Arznei und Placebo liefert der Hersteller, zubereitet werde beide Infusionen in der Krankenhaus-Apotheke. Dabei, so schreiben es die Bedingungen vor, darf niemand außer dem Apotheker selbst wissen, welches die richtige Infusion ist. Und nicht er, sondern ein anderer Mitarbeiter, der von der Herstellung nichts mitbekommen hat, muss die Infusionen – jede mit dem Namen des Patienten versehen – auf die Station bringen, wo der Arzt sie dann verabreicht.

Die Patienten bekommen wöchentlich im Krankenhaus eine Infusion. Jedes Mal werden sie vorher gründlich untersucht. Über Telefon oder Videosprechstunde halten Blaes oder die Studien-Schwester anschließend Kontakt zu den Teilnehmern, erkundigen sich nach Nebenwirkungen oder anderen Veränderungen.

Studie läuft bis Mitte 2012

Noch bis Mitte 2021 läuft die aktuelle Studie, noch können Patienten, die von einer Myasthenia gravis betroffen sind, in das Programm aufgenommen werden. Ergebnisse werden Ende kommenden Jahres erwartet.

Geld verdient das Kreiskrankenhaus mit den Studien übrigens nicht, versichert Blaes. Der Arzneiproduzent erstatte lediglich die der Klinik entstehenden Kosten.

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