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Reise-Plattform gegründetLinder lassen Grenzen hinter sich und erkunden die Welt

Lesezeit 5 Minuten
Um Bären zu vertreiben, hilft eine Magnesiumfackel

Um Bären zu vertreiben, hilft eine Magnesiumfackel

Wo das Quecksilber unter minus 25 Grad fällt, hungrige Braunbären gleich nebenan im Gebüsch scharren oder die nächste echte Zivilisation am Dschungelrand hunderte Kilometer weit entfernt ist, fühlen sich Tom Schinker (28) und Martin Druschel (27) am wohlsten. Die beiden Männer aus Linde haben die Reise-Plattform „Wandermut“ gegründet. Deren Angebote: Trips in die extremsten Winkel der Erde.

Von der 150 Kilometer-Schlittenfahrt hinter einer Husky-Kolonne durch die Weiten Russlands bis zum Gewaltmarsch unter der sengenden Sahara-Sonne laden Schinker und Druschel regelmäßig zu Expeditionen ein, bei denen herkömmliche Reiseveranstalter die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Jüngst wurde die Öffentlichkeit auf die beiden aufmerksam, weil ihre Truppe im peruanischen Regenwald eine längst vergessene Siedlung entdeckte.

Doch der Reihe nach: Tom Schinker und Martin Druschel kennen sich seit frühester Kindheit. Beide besuchen die Grundschule in Süng und machen später in Kürten ihr Abitur. Mit dem Reifezeugnis in der Hand beginnen ihre großen Reisen. Martin studiert in Kanada und England, ihn zieht es nach Australien. Tom unternimmt gleich eine Weltreise, macht Station in Mittelamerika, Indien und Thailand. Einig sind sich beide in der Art zu Reisen: „Lieber auf eigene Faust statt Pauschalurlaub“, blicken sie zurück.

Erste Tour führte nach Kamtschatka

2016 gehen die Linder noch einen Schritt weiter: Mit der Expeditionsplattform „Wandermut“ werben sie um Mitstreiter, um die entlegensten Regionen der Welt zu erkunden. Je extremer und je weniger Menschen bislang dort waren, desto besser. Ihre erste gemeinsame Tour führt Schinker und Druschel im Sommer 2017 nach Kamtschatka, eine Halbinsel im Fernen Osten Russlands. In etwa so groß wie die Bundesrepublik, aber kaum mehr Einwohner als die Stadt Bonn. Dafür mit der weltweit höchsten Dichte an Braunbären. „Ihre Hinterlassenschaften sah man praktisch überall“, berichtet Schinker.

Begleitet werden sie bei ihren Wanderungen durch Flüsse, Wälder und die Tundra von elf Mitstreitern. Eine russische Wissenschaftlerin soll vor Ort Thermalquellen untersuchen, die übrigen Männer und Frauen haben den Trip über „Wandermut“ gebucht, denn so funktioniert die Plattform. Schinker und Druschel arbeiten eine Expedition aus, stellen ihr Wissen und ihre Erfahrung zur Verfügung. Ihre Kunden zahlen dafür und erleben im Gegenzug Situationen, die unvergesslich bleiben.

Hohe körperliche Fitness ist ein Muss

„Unsere Kundschaft legt eindeutig größeren Wert auf einmalige Erlebnisse und das Ungewisse als auf ein neues Auto“, erklärt Druschel. Im Schnitt seien ihre Touristen deutschsprachig und zwischen 25 und 35 Jahre alt, Frauen und Männer gleichermaßen vertreten. Hohe körperliche Fitness sei ein absolutes Muss. Und ängstlich dürfe man eben auch nicht sein, wie schon der erste Trip nach Kamtschatka schnell beweist.

Knapp 200 Kilometer legt die Truppe dort zu Fuß zurück, ständig auf der Flucht vor gewaltigen Mückenschwärmen. Rasch gilt in den Nachtlagern das strikte Verbot, leere Konserven offen herumliegen zu lassen. „Bären haben eine feine Nase“, erinnern sich Druschel und Schinker heute mit einem Schmunzeln. Mindestens drei weitere Mitglieder der Gruppe begleiten jeden, der sich im Gebüsch erleichtern muss. Immer dabei: Magnesiumfackeln, die sofort gezündet werden, wenn eines der Raubtiere zu nahe kommt.

Nach diversen weiteren Touren auf allen Kontinenten brechen Martin Druschel und Tom Schinker im vergangenen Jahr mit einer Gruppe nach Peru auf. Zuvor haben sie Kontakt mit einem Holländer aufgenommen, der im Amazonas-Dschungel alte Ruinen aufspürt. „Trips in den Regenwald hatten mich zuvor immer enttäuscht“, verrät Schinker. „In Costa Rica waren die Wege komplett ausgebaut, in Thailand sah der Wald aus wie im Bergischen und in Kambodscha wartete man mit 2000 anderen Menschen auf den Sonnenuntergang.“

Hälfte der Gruppe erkrankte im Dschungel

In Peru warten dagegen Gegebenheiten, die ganz nach dem Geschmack der beiden Linder und ihrer Begleiter sind. Die Vegetation ist so dicht, dass die Truppe täglich kaum fünf Kilometer zurücklegt. Pausenlos sind die Macheten im Einsatz. Ab und an lassen die Linder ihre Drohne aufsteigen, um sich wenigstens grob zu orientieren. Tief im Dschungel erkrankt die Hälfte der Gruppe obendrein an Lungen- und Darmkrankheiten.

Trotzdem gelingt dem Team Sagenhaftes: Sie entdecken Ruinen bislang unbekannter Dörfer der Chachapoya – jenes Andenvolkes, das das Hochland besiedelte, bevor die Spanier im 16. Jahrhundert auftauchten und den Stamm der Ureinwohner ausrotteten. Ruinen von insgesamt 36 Rundhütten dokumentiert die Expedition, inklusive Skeletten und Mauerresten. Anschließend meldeten sie ihren Fund den peruanischen Behörden, Wissenschaftler aus aller Welt wurden hellhörig.

Wie genau es derzeit mit ihrem Fund weitergeht, wissen Druschel und Schinker nicht. Unbedingt wollen sie jedoch nach Peru zurückkehren. Zuvor stehen jedoch noch andere Expeditionen an. Im Februar wird Martin Druschel eine Expedition durch die Provinz Darien in Panama leiten, die in das Grenzgebiet zu Kolumbien führt und als Hauptroute für den Schmuggel von Waffen und Drogen von Süd- nach Nordamerika gilt.

Kontakt

Rückblicke auf vergangene und Pläne für bevorstehende Projekte gibt es auf der Homepage von „Wandermut“.

Neben Fotos, Videos, Erfahrungsberichten und Reiseblogs gibt es dort auch Links zu den Facebook- und Instagram-Accounts, mit denen man Martin Druschel und Tom Schinker weltweit begleiten kann.

www.wandermut.de

Tom Schinker wird auf den Husky-Schlitten zurückkehren. Er hat einen Fallschirmjäger der russischen Armee engagiert, der seine Kundschaft zum Polarkreis führen soll. 14 Nächte im Zelt bei bis zu minus 35 Grad stehen Schinker in Kürze bevor. Über die Frage, ob es für sie noch ein Traumziel gibt, müssen die beiden Männer lange nachdenken. „Wir haben uns schon so viele Träume erfüllt“, sagt Druschel schließlich. „Da bleibt eigentlich nur noch der Weltraum.“

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