Tierschutz in NümbrechtWie Rehkitze in hohen Wiesen vor dem Tod bewahrt werden

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Rehkitz dpa

Ein Rehkitz liegt auf einer Wiese (Symbolbild).

  • Traktoren mähen die Felder – und sind eine große Gefahr für versteckte Rehkitze.
  • Eine Eingreifgruppe durchkämmt Wiesen und Weiden und sucht nach Tieren, um sie zu verscheuchen.
  • Einige tun dabei sogar etwas für den eigenen Körper.

Nümbrecht – Kurz nach 17 Uhr ist der Jubel endlich groß, und aufgescheucht flitzt ein Rehkitz auf und davon. Aber das ist gut so. Denn der rote Traktor dreht bereits rasante Runden auf der Wiese, lässt die Klingen kreisen und die hohen Halme fallen. Angelika Bonsch und ihre Helfer haben gerade ein Jungtier vor dem plötzlichen Tod im dichten Grün bewahrt. „Schon das zweite heute“, freut sich Bonsch.

Vor etwa sechs Wochen hat die Wiehlerin eine Eingreifgruppe gegründet: Wetzt ein Bauer die Schneidemesser, eilen die Tierschützer los und durchkämmen Wiesen und Weiden, suchen nach versteckten Kitzen. Die werden von der Ricke bei der Geburt im Gras abgelegt und da gesäugt. „Erst nach acht bis zwölf Wochen entwickelt ein Kitz den Fluchtinstinkt und würde bei Gefahr weglaufen“, erklärt Michael Burhans. Er ist Aufseher im Jagdrevier Überdorf, das liegt zwischen den Nümbrechter Orten Elsenroth und Marienberghausen sowie Wiehl-Drabenderhöhe. „Das sind im Ganzen 70 Wiesen mit rund 400 Hektar.“

Einige Landwirte lehnen die Hilfe sogar ab

Einige davon gehören dem Nümbrechter Landwirt Werner Hurschmann. Und der ist jetzt auf der sicheren Seite: Würde er bei der Mahd Kitze töten, könnte ihn das vor Gericht bringen.

„Nimmt ein Landwirt in Kauf, dass beim Mähen Kitze sterben, kann er für einen Verstoß gegen das deutsche Tierschutzgesetz angezeigt und natürlich bestraft werden“, betont Baldur Neubauer, Jagdberater des Oberbergischen Kreises. Auch seien Landwirte dazu aufgefordert, Wiesen stets von innen nach außen zu schneiden, sodass die jungen Rehe fliehen können, wenn der Traktor anrollt.

Bloß nicht mit bloßen Händen

Dabei ist Rettung nah: Meldet ein Landwirt rechtzeitig, dass er mähen möchte, rücken die Tierschützer aus. „Leider klappt das noch nicht so gut“, klagt Jagdaufseher Burhans und wundert sich, dass einige Wiesenbesitzer in Oberberg solche Unterstützung sogar strikt ablehnen. „Allerdings müssen sich die Landwirte an ihre Zusagen halten und pünktlich sein“, ergänzt Kitzretter und Jäger Manfred Hochsattel aus Derschlag. „Ein Kitz darf höchstens anderthalb, vielleicht zwei Stunden von der Ricke getrennt sein.“ Dann erklinge das Kitzfiepen: Das Junge ruft nach der Mutter, die aber Menschen scheut und das Weite sucht.

Harte Strafen

Landwirte, die vor der Mahd auf die Suche nach Kitzen verzichten und den Tod der Tiere in Kauf nehmen, müssen mit harten Strafen rechnen. So verhängte das Amtsgericht in Gießen im August 2018 eine der wohl höchsten Strafen bundesweit: Ein Landwirt wurde zur Zahlung von 7500 Euro verurteilt, weil er drei Kitze „vermäht“ hatte, wie es im Behördenjargon heißt. Er war wegen eines Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz angezeigt worden. (höh)

Finden die Retter ein Jungtier, tragen sie es behutsam an den Wiesenrand, bis die Arbeit getan ist. „Man darf ein Kitz nicht mit bloßen Händen anfassen“, betont Hochsattel und rät, eine kräftige Portion geschnittenes Gras zu nehmen und das Kitz darin zu tragen. Landwirt Hurschmann freut sich derweil über jede helfende Hand: „Denn selber zu suchen, das ich schaffe ich einfach nicht.“ Allein die Wiese in Überdorf sei 3,5 Hektar groß. Anfang Mai startet der Nümbrechter oft mit dem Mähen, 16 Hektar hat er zu bewältigen. Dafür sitze er durchaus bis September auf dem Trecker.

Bisher sind die Kitzretter um Angelika Bonsch nur in der Gemeinde Nümbrecht unterwegs, doch kann sich die Gründerin gut vorstellen, auch an anderen Orten ins Feld zu gehen. Stets alarmiert sie ihre Schar per Smartphone und in einer Whatsapp-Gruppe. 30 Kontakte stehen auf der Liste, „täglich werden es mehr“. Zum dritten Mal dabei ist Anja van Breen aus Drabenderhöhe. Sie schwärmt von der tollen Gemeinschaft und deren Anliegen. So wie Cornelia Henken aus Gummersbach, die erstmals mit einem Stock durch die Halme streift. „Ich tue nicht nur dem Tier etwas Gutes, sondern auch mir selbst.“ Die Arbeit ist – vor allem im Sonnenschein – recht anstrengend, der Weg oft mühsam. „Aber es lohnt sich.“

Die Gruppe „Werde Kitzretter/in“ von Angelika Bonsch ist zu erreichen unter (0160) 98 58 70 30 oder per E-Mail: angiebonsch@aol.com.

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