Abo

Waldbröler GemeindeMissbrauchsskandal: Michael Schenk erhebt Vorwürfe der Vertuschung

Lesezeit 7 Minuten
hoeh_michael_schenk_(3)

Das Missbrauchsopfer Michael Schenk aus Waldbröl

Waldbröl – „Hätte man mir früher zugehört, wäre mein Fall vielleicht schon vor 15 Jahren bekannt und aufgearbeitet worden.“ Doch erst seit kurzem ist das Schicksal von Michael Schenk bekannt: Sein Fall findet sich in dem Gutachten zu Fällen von sexuellem Missbrauch, mit deren Aufarbeitung das Erzbistum Köln jetzt begonnen hat.

Schenk, heute 52 Jahre alt und selbst als Geistlicher tätig, hatte bereits 2004 schriftlich Anzeige erstattet gegen drei Geistliche, die ihn als Kind im Alter von drei bis sechs Jahren mehrfach missbraucht haben sollen, unter anderem in der Dienstwohnung des Pfarrers von St. Michael in seiner Heimatstadt Waldbröl.

Empörung über Foto in aktueller Kirchenzeitung

Dort hat jüngst die örtliche Karnevalsgesellschaft dem früheren Erzbischof Joachim Kardinal Meisner den ihm 1992 verliehenen „Orden gegen den engen Horizont“ aberkannt und die Würdigung des 2017 verstorbenen Geistlichen posthum zurückgenommen. Meisner soll mit Absicht Fälle wie den von Michael Schenk vertuscht haben. „Damit hat die Waldbröler KG mehr Courage gezeigt als manche Kirchengemeinde“, sagt Schenk, der heute in der Nachbargemeinde Ruppichteroth lebt und 2008 zum altkatholischen Glauben konvertiert ist.

Alles zum Thema Höhner

Damit meint Schenk eigenen Angaben zufolge Begegnungen vor gut 15 Jahren mit dem Waldbröler Pfarrer Klaus-Peter Jansen, der Ende März als Leitender Pfarrer des Seelsorgebezirks An Bröl und Wiehl in den Ruhestand verabschiedet worden ist und der heute als Pfarrvikar weiterhin in Schenks früherer Heimatgemeinde St. Michael arbeitet: „Als ich mich ihm damals anvertrauen wollte, forderte er mich dazu auf, den Missbrauch für mich zu behalten und niemandem etwas zu sagen“, blickt Schenk zurück. „Jansens Worte waren: ,Das wirst Du doch nicht öffentlich machen?’ Daran erinnere ich mich sehr genau.“ Das habe sich später bei einer weiteren Begegnung wiederholt.

Viel Zuspruch von Gemeinde erfahren

Auf Anfrage dieser Zeitung erklärt Pfarrer Klaus-Peter Jansen, dass er sich an solche Situationen nicht erinnern könne. Vom Missbrauch an Michael Schenk habe er erst kurz vor dem Proclamandum des Erzbistums erfahren, das im November vergangenen Jahres in Pfarrgemeinden verlesen worden war, in denen es Missbrauchsfälle gegeben haben soll, so eben auch in der Kirche von St. Michael. Dort wurden auch die mutmaßlichen Täter genannt. „Danach habe ich den Kontakt zu Michael Schenk gesucht und ihm auch einen Brief geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen. Ich bin zu einem Gespräch bereit.“ Schenk hingegen sagt, in diesem Brief vom 16. November 2020 habe sich Jansen sogar ausdrücklich dafür entschuldigt, dass er ihm damals nicht zugehört habe.

Nach den Berichten über den Missbrauch in seiner Kindheit habe er sehr viel Zuspruch erfahren, berichtet Schenk, unter anderem vom Ortsausschuss der Gemeinde St. Michael. „Es haben sich auch zwei Menschen gemeldet, denen Ähnliches widerfahren ist.“ Der eine Fall, die Person lebe heute noch in Waldbröl, sei dem seinen sehr ähnlich. Dieses Opfer habe sich im vergangenen Januar an das Erzbistum gewandt und dann im März auch an ihn, sagt Schenk. Im anderen Fall habe ein Geistlicher, der seit Beginn der 1970er Jahre als Kaplan in Waldbröl tätig war und der im vergangenen Januar 78-jährig gestorben ist, einen Jugendlichen unsittlich berührt.

Dass es in Zusammenhang mit diesem Mann tatsächlich Vorfälle gegeben hat, bestätigt das Kölner Erzbistum auf Anfrage. Er habe sich 2014 von sich aus gemeldet. Strafrechtlich sei der Geistliche nicht belangt worden: „Sicher ist, dass bereits im Jahr 2014 alle Vorgänge strafrechtlich verjährt waren.“ Der letzte „Vorfall“, so das Erzbistum weiter, habe sich 1996 ereignet und befinde sich „unterhalb der Schwelle zur Strafbarkeit“.

Zudem schildert Michael Schenk, dass er inzwischen einige Hinweise auf den dritten Geistlichen habe, der ihn missbraucht haben soll und den er bisher aber nicht habe benennen können. „Einige Male musste ich eine Augenbinde tragen, während man sich an mir verging.“

Hoffnung auf weitere Hinweise

Nach Angaben des Erzbistums war der eine der beiden anderen Beschuldigten von Februar 1965 bis Februar 1971 als Kaplan und als Vorgänger des jüngst Verstorbenen, der andere von Dezember 1970 bis Februar 1988 zunächst ebenfalls als Kaplan und danach als Pfarrer an St. Michael in Waldbröl tätig. Sie starben 1999 und 2010. Jetzt hofft Schenk auf weitere Hinweise zu jenem dritten Mann, dessen „Verhalten gegenüber Jugendlichen Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre in Waldbröl als seltsam aufgefallen sein könnte“. Als Grund nennt Michael Schenk: „Ich fürchte, dass dort viel mehr geschehen ist, als man heute erahnen kann.“

Darüber hinaus sorgt derzeit ein Foto für Empörung, das der Seelsorgebereich An Bröl und Wiehl in der jüngsten Ausgabe seines Quartalsmagazins „fünfkant“ veröffentlicht hat: Es zeigt Pfarrer Klaus-Peter Jansen bei seiner Amtseinführung vor 25 Jahren mit seinem Vorgänger, einem damaligen Dechanten. Dieser hatte eingeräumt, sich in seiner Zeit als Geistlicher in Morsbach Anfang der 1990er Jahre dreimal an einem sechs bis sieben Jahre alten Mädchen vergangen zu haben. Das allerdings wurde erst 2011 bekannt, im Jahr zuvor hatte die Kirche den Mann bereits entpflichtet und suspendiert, auch war er rechtskräftig verurteilt worden.

Verständnis für Empörung über Bild

„Ein solches Foto in dieser Zeit zu veröffentlichen, das ist absolut unangemessen und nicht zu vertreten“, sagt Dr. Jorg Nürmberger mit Blick auf die Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln. Der frühere Dezernent des Oberbergischen Kreises, zugleich stellvertretender Vorsitzender des Kreiskatholikenrates in Oberberg, und seine Ehefrau Anna haben als Mitglieder der Nümbrechter Gemeinde Heilig Geist den Text unter dem Bild über den Beginn der Amtszeit des heute 70 Jahre alten Seelsorgers Jansen geschrieben. Der Name des Dechanten fällt darin nicht. „Von der Auswahl dieses Fotos habe ich als Autor nichts gewusst, da ich nicht Mitglied der Redaktion bin“, erklärt Nürmberger. Er ergänzt: „Auch wenn man eine solche Aufnahme als historisches Dokument wertet, so muss man sie doch auf ihre Aktualität hin prüfen.“

Als Herausgeber verantwortlich für dieses Heft ist Pfarrer Klaus-Peter Jansen. „Da haben wir wahrscheinlich nicht genügend nachgedacht“, räumt der Geistliche auf Anfrage dieser Zeitung ein und betont, dass die Redaktion das Foto von seiner Amtseinführung tatsächlich allein als historisches Dokument gesehen habe. Gleichwohl könne er nachvollziehen, dass die Veröffentlichung dieses Bildes jetzt Empörung hervorrufe.

Das könnte Sie auch interessieren:

So auch bei dem Betroffenen Michael Schenk: „Ich denke, dass die Bedeutung dessen, was gerade geschieht, leider noch nicht im Denken einiger Menschen angekommen ist.“ Dass das Foto gedruckt wurde, sei höchst unsensibel. „Zumal es sicher noch viel mehr Betroffene gibt, die – so wie ich lange Zeit – lieber schweigen.“ Diesen Menschen wolle er Mut machen.

Vorwürfe gegen Weihbischof Manfred Melzer

Vorwürfe erhebt Michael Schenk auch gegen den 2018 verstorbenen Weihbischof Manfred Melzer, der von 1988 bis 1995 ebenso an St. Michael tätig war und dem er von dem „grenzüberschreitendem Verhalten durch einen Vorgesetzten“ während seiner Zeit in Wipperfürth berichtet habe: „In privaten Gesprächen und auch in Briefen.“

Das letzte dieser Schreiben habe Melzer ohne Schenks Wissen ans Büro des damaligen Erzbischofs Joachim Kardinal Meisner gefaxt. Schenk: „In meiner Seelennot hatte ich mich dem Weihbischof anvertraut und ihm geschrieben, dass ich unter diesen Umständen nicht länger Priester bleiben könne, weil sich die Kirche mit all dem Geschehenen und dem ganzen Thema so schwer tue.“ Als er im September 2002 dann vom Erzbischof zu einem Gespräch nach Köln gebeten worden sei, sei ihm Meisner sehr kühl und distanziert gegenübertreten und habe ihm schließlich den eigenen Brief vorgehalten.

Ein Verstoß gegen das Briefgeheimnis

Dieser habe den Faxkopf des privaten Büros des Weihbischofs getragen. „Ein Verstoß gegen das Briefgeheimnis und gegen das der Seelsorge“, sagt Michael Schenk. „Da habe ich mich nach all meinem Leid als Kind erneut von Vertretern der katholischen Kirche verraten gefühlt.“

In den Teilen des neuen Gercke-Gutachtens zu seinem Fall bleibt dieses Schreiben unerwähnt. Für Schenk ein „weiterer Beleg für die gesamte Unzulänglichkeit dieses Gutachtens“. Auf Nachfrage dieser Zeitung betont Bistumssprecher Thomas Klimmek Teil von Schenks Fallakte und damit an Prof. Dr. Björn Gercke weitergeleitet worden sei.

Während Michael Schenk aufgrund seiner schweren Traumata aus der Kindheit ein vom Erzbistum gewährtes Krankenjahr in Hamburg verbrachte, erreichte den Waldbröler am 15. Oktober 2002 plötzlich seine Suspendierungsurkunde: Rauswurf wegen Ungehorsams, die Erlaubnis zu unterrichten wurde ihm ebenfalls entzogen. (höh)

KStA abonnieren