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Wie Werkstätten und Firmen zusammenarbeitenKollegen, die etwas anders ticken

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Letzter Schliff für die Stadtbank: Dominik Schumacher arbeitet beim Familienunternehmen Nusser in Waldbröl.

Letzter Schliff für die Stadtbank: Dominik Schumacher arbeitet beim Familienunternehmen Nusser in Waldbröl.

Waldbröl – Daumen drauf, etwas mehr Druck, dann kann der Stabfräser nicht mehr kippen, eilt er über das Holz. Dominik Schumacher steht an der langen Werkbank, schleift Kanten zurecht und bereitet Holzelemente vor, die sich später zu einer Sitzbank fügen. Und gerade sieht ihm Betriebsleiter Jan Hendrik Stöcker über die Schulter. Wenige Minuten vor seinem Feierabend bei Nusser Stadtmöbel hat der 32 Jahre alte Schumacher noch alle Hände voll zu tun, er freut sich über solche Tipps vom Chef.

„Die Arbeit mit Holz, aber auch mit Metall, das ist meins“, schwärmt der Nümbrechter. Seit Oktober 2019 arbeitet er bei Nusser im Gewerbegebiet am Langenbacher Siefen, dorthin geschickt hat ihn aber die Raps, die Gemeinnützige Werkstätten GmbH: Diese beschäftigt Menschen, die aufgrund psychischer Beeinträchtigungen auf dem Arbeitsmarkt nicht unbedingt eine Chance haben. Ein „Betriebsintegrierter Arbeitsplatz“ (Biap) jedoch bringt Beschäftigte wie Dominik Schumacher in Unternehmen wie eben Nusser Stadtmöbel. „Für uns war dies ein Experiment, das sich aber bis heute überaus positiv entwickelt hat“, betont Betriebsleiter Stöcker.

„Das bereichert, weil wir oft betriebsblind sind, aber plötzlich unsere Abläufe verbessern können.“

Die Arbeit mit Kollegen, die etwas anders ticken, ist für Stöcker und Werkstattmeister Jürgen Bender auf der einen Seite durchaus eine Herausforderung. Stöcker: „Wir müssen oft einen Gang zurückschalten, manches langsamer, mit viel Ruhe und vielleicht mehrfach erklären.“ Auf der anderen Seite aber sei jemand wie Dominik Schumacher eine Bereicherung. „Denn ein Kollege wie er denkt nicht immer in eine Richtung, sondern auch mal um die Ecke, er hat seine eigenen Tricks“, führt der Betriebsleiter aus. „Und das bereichert, weil wir oft betriebsblind sind, aber plötzlich unsere Abläufe verbessern können.“

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Was für Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?

Bei der Zusammenarbeit ging es zunächst um die Digitalisierung von Dokumenten, was aber im Hause der Raps durchgeführt worden ist. Mehr oder weniger per Zufall bekam der Ansprechpartner dort mit, dass wir einen sehr großen Auftrag abwickeln mussten und personelle Unterstützung suchten. Daraufhin schlug die Raps ein Praktikum vor. Dies war für alle spannend. Wir wussten nicht, was auf uns zukommt und ob unser Betrieb für die Integration geeignet ist. Nach einem Vorstellungstermin potenzieller Mitarbeiter haben wir den ersten Praktikumsplatz in der Fertigung eingerichtet und seitdem die Zusammenarbeit immer weiter ausgebaut.

Wie viele Raps-Kräfte arbeiten zurzeit bei Ihnen und in welchen Bereichen?

Aktuell arbeiten drei Raps-Kräfte als Praktikanten und auf sogenannten Außenarbeitsplätzen bei uns. Ein Kollege arbeitet bereits seit 2013 in der Versandabteilung. Er kontrolliert Wareneingänge, bucht diese in unserem EDV-System und verteilt das Material betriebsintern. Zudem unterstützt er unsere Versandmitarbeiter bei der Verpackung. Es ist geplant, dass er den Staplerschein macht, um beim Be- und Entladen ebenfalls helfen zu können. Der zweite Mitarbeiter ist seit 2015 in der Elektroabteilung tätig. Er bereitet Antriebseinheiten für die Montage vor und unterstützt unseren Elektriker im Tagesgeschäft. Der dritte Mitarbeiter ist seit 2019 im Einkauf: Dort pflegt er Stammdaten und prüft dabei auch die Schnittstellen zur Fertigung und zum Lager.

Wo sehen Sie die größten Herausforderung im täglichen Umgang und im täglichen Arbeiten mit den Kollegen?

Die größte Herausforderung besteht in der Auswahl der Kandidaten, dabei verlassen wir uns dann auf die Empfehlungen der Raps-Betreuer. Bisher funktioniert die Zusammenarbeit aber problemlos. Die Mitarbeiter sind voll integriert und werden genauso behandelt wie unsere eigenen Mitarbeiter. Sie nehmen an Weihnachtsfeiern, Betriebsfesten, Betriebsversammlungen und so weiter teil, sind fester Teil unseres Sozialsystems. Wir haben allerdings auch die Erfahrung gemacht, dass eine Zusammenarbeit nicht immer funktioniert. So kann es vorkommen, dass Mitarbeiter überfordert sind oder sich selbst zu sehr unter Stress setzen. Dies kann dazu führen, dass sie nicht zur Arbeit erscheinen oder merken, dass sie sich vielleicht zu viel zugemutet haben. Auch kann es passieren, dass eine Medikation verändert wird, und ein Mitarbeiter plötzlich sein Verhalten verändert. Dafür sind wir heute aber sensibilisiert. Wir stehen im engen Austausch mit den Betreuern bei der Raps und entscheiden, was zu tun ist.

Werden Sie die Kooperation fortsetzen?

Dies ist unser festes Ziel. Wir sind mit den Kollegen sehr zufrieden und es gibt regelmäßig Gespräche mit der Raps, die Kooperation auszuweiten.

Inwieweit bereichert die Kooperation Ihr Arbeitsleben?

Wir alle haben viel gelernt. So wird man sicher auch mit neuen Situationen konfrontiert. Die Zusammenarbeit zwingt auch mal dazu, die eigenen Prozesse zu überdenken und auch sauber zu dokumentieren, damit die Raps-Mitarbeiter einfacher die Aufgaben erledigen können. Dies führt zwangsläufig zur Verbesserung interner Abläufe.

Beim Familienunternehmen Nusser werden hölzerne Möbel aus Douglasie und Kambala hergestellt für öffentliche Räume – also Tische und Bänke zum Beispiel, die sich um einen Baumstamm schmiegen. Und an einer solchen arbeitet „Schumi“, wie ihn seine Kollegen rufen, gerade. Bestellt hat dieses Stück die Stadt Baden-Baden. „Mein Problem ist es, dass ich oftmals keine Entscheidung treffen kann, dass ich nicht sagen kann, ob ein Stück gut genug ist für die weitere Verarbeitung“, beschreibt der gelernte Holzbearbeiter, der zuvor auch auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig war, sein Handicap im Alltag. „Aber auf so was nimmt hier wirklich jeder Rücksicht.“ Die Rückkehr auf den ersten Arbeitsmarkt ist das feste Ziel hinter dem Projekt „Biap“. Betreut wird Schumacher auf diesem Weg von Jobcoach Dennis Ruhr. „Schließlich hat jeder das Recht auf einen Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt“, stellt dieser klar. Gibt es Stellen wie die bei Nusser, werden sie bei der Raps ausgeschrieben. In einem vier- bis sechswöchigen Praktikum soll sich dann entscheiden, ob der Bewerber geeignet ist für diesen Job. „Neben der berufliche Integration können unsere Beschäftigten ihre Perspektiven erweitern, soziale und berufliche Kompetenzen erweitern, ihre Chance auf eine langfristige Stelle vergrößern“, beschreibt Ruhr den Horizont eines Biap.

„Schumi ist ein gleichwertiger Kollege, da gibt es keine Unterschiede“

Neben Dominik Schumacher arbeitet ein weiterer Beschäftigter der Raps bei Nusser, er erledigt ähnliche Aufgaben, führt zudem Qualitätsprüfungen aus. „Und bald wollen wir einen dritten für den Metallbau einstellen“, kündigt Betriebsleiter Stöcker dort an. Jedoch müssten sich Arbeitgeber auf häufigere und auch längere Fehlzeiten eines solchen Kollegen einstellen, wenn sie einen Biap einrichten. „Und auch die Tagesform spielt oft eine Rolle“, ergänzt Stöcker.

Ein Montage-Auftrag, der wegen fehlender Maschinen und der Logistik nicht in den Raps-Werkstätten ausgeführt werden konnte – diese haben ihren Standort oberhalb von Nusser an der Marie-Curie-Straße –, hat Dominik Schumacher zum Unternehmen geführt. Für beide Seiten ein Glücksfall, wie er und Stöcker sagen. „Schumi ist ein gleichwertiger Kollege, da gibt es keine Unterschiede“, betont Jan-Henrik Stöcker. Noch oft wird er diesen wohl fragen: „Schumi, wie würdest Du das machen?“

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