Protest am Tagebau GarzweilerBarbara Oberherr kämpft um die Rettung ihres Dorfes

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Barbara Oberherr an der Grabungskante. Ihre Familie wohnt seit dem 17. Jahrhundert in Keyenberg.

  • Barbara Oberherr will, dass die Ortschaften bleiben, die dem Tagebau Garzweiler II zum Opfer fallen sollen.
  • Dafür will die Aktivistin aus Keyenberg vor das Verfassungsgericht ziehen.
  • Am Sonntag war deshalb auch die prominente Fridays-for-Future-Klimaaktivistin Luisa Neubauer zu einem Protestmarsch an den Tagebau gekommen.

Keyenberg – Dicke Wolken wabern über dem riesigen Loch. Stürmische Winde haben im Tagebau Garzweiler II gewaltige Mengen Staub aufgewirbelt. Die nahe gelegene Autobahn muss vorübergehend gesperrt werden, weil den Fahrern zeitweilig die Sicht versperrt ist. Barbara Oberherr steht an der Grabungskante, die Haare vom Wind nach hinten geweht. Sie hat keinen Zweifel. Solche extremen Wetterlagen im Sommer seien eine Folge des Klimawandels. Und daran trage der Abbau von Braunkohle durch den heimischen Energiekonzern RWE eine gehörige Mitschuld.

Barbara Oberherr war lange eine „ganz normale Frau“, wie sie sagt. Früher verkaufte sie Lederwaren, pflegte alte Menschen. Dass vor den Toren ihres Heimatorts Keyenberg im Rheinischen Revier Kohle für die Stromerzeugung abgebaggert wird und ein 40 Quadratkilometer großes Loch entstanden ist, in dem bald auch ihr Dorf verschwinden soll, hat sie lange hingenommen.

Barbara Oberherr ist eines der prägenden Gesichter der Anti-Braunkohle-Bewegung

Mittlerweile aber ist die 60-Jährige eines der prägenden Gesichter der Anti-Braunkohle-Bewegung. Irgendwann habe sie gedacht, dass es doch ungerecht sei, wenn Menschen ihre Heimat verlören für eine rückständige Form der Energiegewinnung. „Im September 2018 habe ich mich dem Widerstand angeschlossen.“ Seitdem liest sie Studien, organisiert Demos, hat bei der Weltklimakonferenz in Madrid eine Rede über die Nöte der Dörfer gehalten. „Ich habe Keyenberg zu retten – und wir alle einen ganzen Planeten“, sagte sie damals.

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Nach Verabschiedung des Kompromisses im Januar 2019 war es ruhiger geworden im Revier. In dem Papier hatten sich die Parteien nach zähem Ringen auf einen schrittweisen Ausstieg aus der Braunkohle im Jahr 2038 geeinigt. Der Erhalt des Hambacher Walds wurde als „wünschenswert“ bezeichnet. Für die Aktivisten aber ist es ein fauler Kompromiss. Zwar darf der Wald bleiben, doch für die verbliebenen fünf Dörfer am Tagebau Garzweiler gibt es demnach keine Rettung. Sie sollen weg, die Menschen umgesiedelt werden. In Orte, die bei RWE am Reißbrett entstanden sind. „RWE schafft Adressen, aber keine Heimat“, sagt Oberherr.

Seit mehr als 30 Jahren lebt sie mit ihrem Mann in einem Haus an der Hauptstraße. Ihre Ahnenreihe in Keyenberg kann sie lückenlos bis ins Jahr 1676 zurückverfolgen. 450 Jahre später verwandelt sich der Ort nun in eine Geisterstadt. Metzgerei und Gastwirtschaft sind schon verlassen. Familie Oberherr aber will bleiben. Nicht das Loch soll größer werden, sondern der Widerstand. Am Sonntag war dafür auch die prominente Fridays-for-Future-Klimaaktivistin Luisa Neubauer zu einem Protestmarsch an den Tagebau gekommen. Sie hält den Kohlekompromiss für überholt. „Seit der Kohlekommission haben sich die Verhältnisse radikal verändert“, so Neubauer. „Wir verstehen heute, wie schnell wir aus der Kohle aussteigen müssen, um das Pariser Klimaabkommen einhalten zu können. Und wir wissen auch, dass wir das können.“

Der Kampf um die Dörfer wird nicht allein auf der Straße entschieden

Doch der Kampf um die Dörfer und gegen den Klimawandel wird nicht allein auf der Straße entschieden. Der Bund hat dem Tagebau seit August sogar Gesetzeskraft verliehen. Im Kohleausstiegsgesetz wird dem Tagebau Garzweiler II eine „energiewirtschaftliche Notwendigkeit“ zum Zweck der Energieversorgungssicherheit bescheinigt. Damit ist der Untergang der Dörfer eigentlich besiegelt. Oberherr will nun das Bundesverfassungsgericht anrufen. Schon vor einem Jahr hat sie mit anderen Betroffenen die Initiative „Menschenrecht vor Bergrecht“ gegründet und einen Anwalt bestellt, um den Widerstand juristisch zu führen.

Oberherr und ihre Mitstreiter sind der Meinung, dass der Gesetzgeber weder Beweise noch Gründe für die energiewirtschaftliche Notwendigkeit vorgelegt, sondern lediglich eine „Lex Garzweiler“ geschaffen habe. Das aber stehe im Konflikt zum Grundgesetz. Laut Artikel 14 ist eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. „Der Abbau von Braunkohle in Garzweiler ist laut renommierten Gutachten weder notwendig noch dient er dem Allgemeinwohl“, sagt der Frankfurter Rechtsanwalt Dirk Teßmer. „Der Gesetzgeber bedient hier Interessen von RWE, ohne bei seiner Entscheidung auch nur berücksichtigt zu haben, dass der Tagebau Garzweiler der letzte ist, für den Dörfer zerstört und Menschen umgesiedelt werden müssen. Somit ist das Gesetz in seiner jetzigen Form verfassungswidrig.“

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Laut einem Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag von Greenpeace ließen sich in den Tagebau-Gebieten Hambach und Garzweiler auch ohne weitere Umsiedlungen noch mindestens 450 Millionen Tonnen Kohle gewinnen. Allerdings dürfte man nur 280 Millionen Tonnen aus der Erde holen, wolle man die globale Erhitzung auf maximal 1,75 Grad begrenzen.

RWE hat die DIW-Studie scharf kritisiert. Das Institut habe die „abbaubaren Kohlemengen überschätzt und daraus fälschlicherweise geschlussfolgert, dass eine weitere Umsiedlung im Vorfeld des Tagebaus Garzweiler nicht nötig sei“, heißt es in einer Mitteilung. Der Essener Konzern hat über das Londoner Unternehmen Frontier Economics ein eigenes Gutachten vorgelegt und kommt darin zu gänzlich anderen Zahlen. Bis zur Abschaltung des letzten Kohlekraftwerks im Jahr 2038 und beim gleichzeitigen Ausbau erneuerbarer Energien ergibt sich demnach im Rheinischen Revier ein Gesamtförderbedarf von 870 bis 910 Millionen Tonnen. Da die Kohleförderung in den anderen beiden Tagebau-Gebiete gemäß Kohlekompromiss früher endet, „steht absehbar nur noch der Tagebau Garzweiler zur Verfügung, der benötigt wird, um die verbleibenden Kraftwerke und Veredelungsbetriebe sicher mit Kohle zu versorgen“, erläutert RWE auf Anfrage.

Warten auf Reaktion der Landesregierung

Nun wartet man auf eine Reaktion der Landesregierung. Sie soll in einem Leitentscheid die Umsetzung des Kohleausstiegs konkret machen. Den letzten gab es 2016. Damals wurde das Land noch von Rot-Grün regiert. Und auch damals hatte die Regierung die Zerstörung der Dörfer gebilligt. Die aktuelle schwarz-gelbe Landesregierung hat ihrerseits schon mehrfach deutlich gemacht, dass sie nicht vorhabe, einen Plan zu ändern, den ausgerechnet die Grünen mit zu verantworten hatten. Das Wirtschaftsministerium hatte ursprünglich angekündigt, den Entwurf noch vor der Sommerpause vorzulegen. Jetzt soll er erst zu den Herbstferien kommen. Nach den Kommunalwahlen.

Für den Konzern spiegelt der Widerstand gegen die Umsiedlung zudem ein verzerrtes Bild. Mit 85 Prozent der Eigentümer in den betroffenen Dörfern habe man bereits eine Einigung erzielt. In Keyenberg seien es sogar 84 Prozent, also 266 von 318 Anwesen. „Das zeigt, dass die Umsiedlung nicht am Anfang steht, sondern auf der Zielgeraden ist“, betont RWE.

Für Barbara Oberherr ist das kein Argument. „Es geht darum, dass Dörfer ausgelöscht werden sollen, die nicht ausgelöscht werden müssten. Und das für einen fossilen Energieträger, der massiv das Weltklima schädigt.“ Wenige Hundert Meter von der Grabungskante entfernt ist eine Mahnwache eingerichtet. Etwa 40 Umweltaktivisten leben in Zelten ihre Version einer besseren Welt. Es sind Lehrer, Studenten, Arbeiter, Aussteiger. Oberherr findet es gut, dass die kommende Generation anders leben will. Am 9.  September will sie die Verfassungsbeschwerde im Berliner Refugio vorstellen. „Ich bin sicher, dass wir erfolgreich sein werden.“ Sollten die Dörfer bleiben, will sie ein Widerstandsmuseum in Keyenberg gründen. „Damit jeder sich überzeugen kann, dass wir etwas geschafft haben, was kaum jemand für möglich hielt.“

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