WahlhelferinEin Hauch von Feierlichkeit

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Wahlhelferin Christina Balsam

Wahlhelferin Christina Balsam

Bergisch Gladbach – Es ist bereits Mittag, als ich das Wahllokal des Bezirkes 700-3 in Bergisch Gladbach betrete. Schichtwechsel unter den Wahlhelfern, zu denen dieses Jahr auch ich zähle. Gespannt schaue ich mich in der Turnhalle der Katholischen Grundschule in Hand um, während die Wahlvorsteherin die Wahlbeteiligung vom Vormittag kurz zusammenfasst.

Für einen eher wahlschwachen Bezirk sei die Beteiligung bisher sehr gut gewesen. Für mich klingen die Zahlen dennoch ziemlich wenig. Ich eile selbst zur Wahlkabine, um meine Stimme abzugeben. Kaum habe ich meinen Platz als Beisitzerin eingenommen, da stürmen schon ein Dutzend Wähler den Raum und bombardieren uns mit Fragen . Hilfe! Ich habe doch selbst noch keine Ahnung, was mein Job hier ist, und meine erste eigene Wahl liegt auch schon wieder zwei Jahre zurück.

Zum Glück sitzen mit mir drei Wahlprofis neben der Urne, sodass ich mich schnell zurecht finde: Als eine von zwei Beisitzern mache ich die Kontrollstriche, damit es später kein Durcheinander gibt, falls der Schriftführer vergessen hat, die Namen auf der Liste abzuhaken.

Für jede abgegebene rosa Wahlbenachrichtigung gibt es einen Strich, sortiert werden diese je zu Zehnerstapel. Bei der Auszählung stellt sich das am Ende als große Unterstützung dar. Allmählich wird auch die Warteschlange kürzer, unsere ersten Besucher haben ihre Zettel eingeworfen. Etwas chaotisch ist es dann meist vor der Wahlurne – diese langen Stimmzettel sorgen mehr als einmal für Belustigung, denn sie einmal zu knicken reicht nicht aus, um sie in den ziemlich schmalen Schlitz einzuwerfen.

Begeisterte Wähler geben den schwarz-blau bedruckten Zetteln fast schon liebevolle Kosenamen. „Wenn ihr noch welche von den Tapetenbahnen übrig habt, her damit, ich müsste mal wieder renovieren“, begrüßt uns ein Herr lachend. Die „Lappen“ oder „Teppiche“ geben immer wieder Anlässe für Lacher. Scherze werden auch über die Parteien gemacht, von denen nicht nur mir so manche gänzlich unbekannt erscheinen. Ich werfe einen kurzen Blick auf die Uhr und bin überrascht, dass die Zeit recht rasch an uns vorbeifliegt. Wie zur Bestätigung knurrt auch schon mein Magen, als uns der Hausmeister mit frischem Kaffee und anderen Getränken versorgt.

Plötzlich stolziert mit einem „Miau“ die wohl süßeste Wählerin des Tages herein. Sie inspiziert Wahlbenachrichtigungen, Stimmzettel und Urnen ganz genau. Besonders interessant sind dabei offenbar die Wahlkabinen, sobald ein Wähler darin Platz genommen hat. Zum Glück ist niemand verärgert über den Katzenbesuch, im Gegenteil: Eine Frau kann gar nicht genug bekommen von unserem Tigerchen. Fast vergisst sie darüber sogar, ihren Stimmzettel abzugeben.

Hektisch wird es gegen 16 Uhr, als wir der Stadt Bergisch Gladbach die bisherige Wahlbeteiligung durchgeben müssen. Sie kann sich eigentlich sehen lassen. Immer wieder strömen die Leute herein. Politikverdrossenheit? Bei uns nicht! Überhaupt bin ich positiv überrascht, einigen Leuten hätte ich vom Äußeren her gar nicht zugetraut, dass sie den Weg hierher finden. Es lässt sich schon am Schritt erahnen, was für ein Wähler auf uns zukommt.

Da sind diejenigen, die stolz sind, Deutschland eine Stimme zu geben; die nur darauf warten, ihren Zettel auszufüllen. Sie kommen mit geradem Rücken und energischen Schritten fast schon hereingestürmt. Es gibt aber auch die, deren Schritte kaum zu hören sind, die mit etwas eingezogenen Schultern im Türrahmen stehenbleiben und verunsichert fragen, ob sie hier richtig sind und fragen, wie sie verfahren müssen.

Viele von ihnen sehen noch nicht einmal wie Erstwähler aus – ob sie es nicht glauben, dass sie etwas bewirken können? Dazwischen sind die Entspannten, die im gemütlichen Stadtbummeltempo hereinspaziert kommen, sich erst einmal in der Mitte des Raumes umsehen und ein kleines Schwätzchen zur Auflockerung beginnen. Sie haben schon oft gewählt, kennen das Prozedere schon und fragen trotzdem noch einmal, der Sicherheit halber, ob wir ihren Ausweis brauchen.

Noch interessanter finde ich die Verhaltensweisen beim Verlassen des Wahllokals. Manche geben eilig ihre Stimme ab und hetzen wieder hinaus, ohne ein Wort zu sagen. Erstaunliche viele drehen sich aber noch einmal um und bedanken sich. Sind sie dankbar, dass sie wählen dürfen, ohne dafür im Gefängnis zu landen? Oder gilt der Dank uns, dass wir hier sitzen und mit unterstützen? Als um kurz vor 18 Uhr dann auch der letzte für seinen Kandidaten und seine Partei gestimmt hat, unsere Helferkollegen vom Vormittag wieder hereingehuscht sind, schließen wir die Türen. Sofort sind alle unruhig, Tische werden zusammengestellt, die Siegel der Urne werden abgerissen und die Stimmzettel werden ausgeschüttet.

Es liegt eine Stimmung in der Luft, ein erster Hauch von Veränderung, der noch nicht ganz zu greifen ist. Nach dem kurzen Moment der Stille herrscht auf einmal Hektik in unserem kleinen Raum, der mit mittlerweile acht Helfern gefüllt ist. Stimmzettel, Wahlbenachrichtigungen und meine Strichliste werden abgeglichen – zum Glück dreimal das gleiche Ergebnis.

Dann werten wir die Stimmen aus. Zuerst nehmen wir uns Stimmzettel vor, auf denen die Erst- und Zweitstimmen derselben Partei gegeben wurden. Dann sind die gesplitteten dran, erst die Zweit- und dann die Erststimme. Über manche Kombinationen wundern wir uns. Wir staunen außerdem, dass jede Partei, die auf dem Stimmzettel steht, mindestens eine Stimme bekommen hat, auch solche, die vor wenigen Wochen noch niemand kannte.

Dann kommen die ungültigen Wahlzettel: Drei Kreuzchen rechts und keines links oder ein komplett durchgestrichener Bogen. Nach gut einer Stunde, in der wir jeden Durchgang und jede Partei doppelt und dreifach gezählt haben, weicht die Anstrengung aus unseren Gesichtern. Ich realisiere plötzlich, was für ein Ergebnis wir hier haben. Ein Hauch von Feierlichkeit ist zu spüren, als wir als einer der ersten Wahlbezirke unsere Ergebnisse durchgeben. Doch dann der Schock: Laut Stadtverwaltung kann unser Ergebnis nicht stimmen, die einzelnen Posten ergeben nicht die komplette Zahl der Wahlbeteiligten. Panik macht sich breit, wir haben doch bereits alle Zettel in Umschläge verpackt und mit Siegeln beklebt. Die können wir unmöglich wieder aufreißen!

Zum Glück hat jemand aus unserem Team unseren Fehler beim Zusammenzählen gefunden. Puuh… die Briefumschläge können also in den Wahlkoffer, und dieser kann verschlossen werden. Jetzt ist sie da, die Erleichterung in glücklichen, zufriedenen Gesichtern. Wir sind stolz und zufrieden. Wir sind ein Teil dieser Bundestagswahl.

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