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„Bist du elementar?“Solidarität und Stille beim Aufräumen nach Flut in Hoffnungsthal

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Das Hochwasser hat auch Hoffnungsthal in Rösrath schwer betroffen.

  • „Kölner Stadt-Anzeiger“-Reporter Uli Kreikebaum lebt in Rösrath-Hoffnungsthal, das von der Flut schwer getroffen wurde.
  • Sein Nachbar ertrank, bei ihm wurde der Keller zerstört. Hier schildert er in einem persönlichen Text, was ihn in den Tagen nach der Flut erschüttert und bewegt hat – und welche Bilanz er für sich zieht.

Rösrath – Die Sperrmüllberge sind fast so schnell wieder verschwunden wie das Wasser, das auf seinem Weg durch unseren Ort Küchen mitriss und Heizöltanks, Bäume, Autos, Fahrräder und Erinnerungen.

Das gleiche Wasser, das unseren Nachbarn Erich tötete, der schnell noch ein paar Dinge aus dem Keller holen wollte, das Wasser, das allein in Rösrath-Hoffnungsthal so viele Erdgeschosse zerstörte, einen Kindergarten, Geschäfte, Büros, Teile eines Altenheims. Das Wasser, das sich zwei Tage später wieder ins Bett der kleinen Sülz zurückgezogen hatte, als sei nie etwas gewesen. Verräterisch blieb der Ölfilm auf seiner Oberfläche, der auch jetzt noch an einigen Uferstellen schimmert.

Ort besonders bei bürgerlichen Paaren beliebt

Hoffnungsthal ist einer der vielen vom Hochwasser betroffenen Orte, die aufgrund der verheerenden Wucht der Katastrophe im Ahrtal und in Erftstadt nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Mit seinem Freibad, der Sülz, dem Wald und seiner guten Anbindung an Köln ist der Ort in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden.

Alles zum Thema Armin Laschet

Überall wurde gebaut, vor allem bei bürgerlichen Paaren und Familien ist Hoffnungsthal beliebt. Die Immobilienpreise sind in den vergangenen Jahren immens gestiegen. Jetzt sind viele der gepflegten Einfamilienhäuser von Menschen, die sich in Sicherheit wähnten, Trutzburgen des Wohlstands, die für Dauer und Beständigkeit stehen, teilweise zerstört. Bei vielen hat das Wasser mit Büro und Geräten, Kleidern, Büchern, Möbeln und Erinnerungsstücken auch das Sicherheitsgefühl davongespült.

Frauen gründen Whatsapp-Gruppe „Rösrath hilft“

Wir kamen erst gut zwei Tage später nach Hause. Unsere Schwiegereltern waren in unserem Haus und hatten uns Fotos geschickt: Die Sülz hatte bei fast allen Nachbarn das Erdgeschoss geflutet, die Autos standen dreiviertel unter Wasser, vor einer kleinen Brücke lag ein riesiger Öltank. Bei uns war „nur“ der Keller komplett zerstört. Als wir in die Straße kamen, hatte sich das Wasser längst wieder zurückgezogen, vor den Häusern türmte sich der Müll, es stank nach Schlamm, Abfall, Fäkalien, ausgelaufenem Heizöl und dem Benzin der Generatoren.

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Die Menschen räumten wie besessen auf und halfen sich. Auch die, die sonst mal über den Nachbarn tuscheln, halfen jetzt dem Nachbarn. Schon auf der Fahrt von Südfrankreich nach Köln fragten Freunde, Bekannte und fast Unbekannte, wann sie kommen sollen, was wir bräuchten. Durch Hoffnungsthal fuhren tagelang Privatleute, und verteilten Essen und Getränke. Morgens gab es Brötchen und Kaffee, mittags Suppe, abends Nudeln und Eintopf. Einige Frauen gründeten die Whatsapp-Gruppe „Rösrath hilft sich“, die sich auch um alte Menschen kümmert, die die Katastrophe besonders traumatisiert hat. Die Gruppe organisierte Besuche bei einsamen Menschen, die die Flut komplett aus der Bahn geworfen hatte.

Seltsame Stille auf den Straßen

Eine ehemalige Nachbarin (78) lag in ihrer Souterrain-Wohnung im Bett, als das Wasser kam. Als sie gerettet wurde, ging es ihr bis zum Bauch. Außer ihrem Leben blieb ihr nichts, nicht mal ihr Portemonnaie. „Als ich ein paar Tage später das schlammverschmierte Akkordeon meines Mannes auf dem Sperrmüll gesehen haben, konnte ich nicht mehr“, sagt sie. „Aber ich lebe.“

Gut zehn Tage nach dem Hochwasser ist es seltsam still in den Straßen. Einige Nachbarn sind bereits ausgezogen, sie waren gut versichert und haben Wohnungen oder Häuser gefunden, in denen sie leben können, bis die eigenen wieder bewohnbar sind. In den Kellern und Erdgeschossen brummen unentwegt die Trocknungsmaschinen. Die Polizei fährt abends Streife, weil viele Häuser leer stehen. Ein Alkoholiker findet im Speermüll noch ein paar gute Flaschen Wein, er wischt das Glas sauber und steckt sie in seinen Rucksack.

„Bist du elementar?“

„Bist Du elementar?“ lautete die häufigste Frage in den ersten Tagen. Wer Gebäude und Hausrat elementar versichert hat, hat jetzt weniger Sorgen. Wir haben den Hausrat abgesichert, das Haus nicht – auch, weil viele Nachbarn gesagt hatten: Wir leben hier seit 50 Jahren und hatten noch nie ein Hochwasser, das uns wirklich getroffen hat. Mein Tenniskumpel, noch nicht lange mit seiner jungen Familie im eigenen Haus, hatte die Angebote für beide Versicherungen auf dem Schreibtisch liegen, als sie in den Urlaub fuhren. Das Wasser erfasste Keller und Parterre – und einen alten Öltank. Zudem, ein paar Hundert Meter entfernt: sein Büro.

Viele der Älteren leben jetzt im ersten Stock ihrer Häuser. Auch ein altes Paar, das sich bis heute nicht von seiner Küche und seinem Wohnzimmer trennen will, die unter Wasser standen – sie kochen dort noch und sitzen auf dem muffigen Sofa. Sie kämen zurecht, sagen sie immer wieder. Inzwischen ist zwar ein bisschen Hilfe organisiert, ihre Lage bleibt erschütternd. Bei den Alten berichtet der Mann oft, wie schlecht es seiner Frau gehe, und die Frau erzählt, dass ihr Mann nicht mehr klar komme. Oft erzählen die Menschen, die viel verloren haben, dass es dem Nachbarn ja noch viel schlechter gehe. Man selbst klammert sich an dem Gefühl, es schon irgendwie hinzukriegen.

In den ersten Tagen sind die Geschichten aus den Menschen herausgeschossen. Die alte Frau mit dem schönsten Blumengarten in der Straße erzählt, wie sie in ihrem Bungalow auf den Tisch geflüchtet war und in Todesangst zusah, wie das Wasser stieg. Der Mann, der sein schickes Haus an der Sülz verlor, das für ein Jahr unbewohnbar sein wird, weint immer wieder, wenn er berichtet, wie liebevoll er das Erdgeschoss eingerichtet hatte. Jeder erzählt etwas anderes: von seiner verschwundenen Katze, den Abizeugnissen, dem Weinkeller, dem Großvater, der kürzlich erst einen Infarkt hatte und jetzt eine Wohnung sucht.

Zwischen Schock und Entrücktheit

Mehrere Nachbarn erinnern sich, wie vergeblich versucht worden war, das mit einem Stahlgitter gesicherte Fenster zu unserem Nachbarn Erich aufzuschlagen, der in seinem Keller gefangen war. Dass mit der Spitzhacke nicht das Stahlgitter zum Kellerfenster geöffnet werden konnte und auch die Feuerwehr nicht das passende Gerät dabei gehabt habe. Dass Erich noch mit einem Schlauch beatmet worden sei. Man traf Bekannte und Unbekannte, die vor den Gerippen der Häuser in ihren Gärten saßen, mehr tranken als sonst, sich zum Essen und zum Duschen einluden, wenn sie warmes Wasser hatten. Die geschockt waren, ein bisschen entrückt, weich und durchlässig.

Das Hochwasser ist ein Existenzverdichter: Es zeigt, dass alles ganz schnell weg sein kann. Wir froh sein sollten, dass wir leben. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute. Dass Angst uns ausmacht und Mut, Hilfsbereitschaft und Herzenswäme. Dass wir Gemeinschaftswesen sind, die aufeinander angewiesen sind und andere Menschen brauchen, um sich zu organisieren und sich gut zu fühlen.

Hochwasserkatastrophe erschüttert vertrauen ins System

Viele Illusionen sind mit dem Wasser an ein Ende gekommen: Die Illusion vom trauten Heim und jene vom sauberen, beschaulichen kleinen Fluss. Die Illusion von Wachstum, Wohlstand und Konsum als Haltung und (politische) Allzweckwaffe. Die Illusion von Sicherheit und Langlebigkeit in einer technisch hochgerüsteten Welt, die den Tod weit an den Rand gedrängt hat.

Nach eineinhalb Jahren Corona-Pandemie, die noch nicht beendet ist, so eine Hochwasserkatastrophe zu erleben, erschüttert das Urvertrauen, dass alles wieder gut werden wird, die Natur sich selbst regulieren kann. Nein: Wir haben die Erde so stark dereguliert, dass sie allein nicht mehr klarkommt. Wir sind die einzigen, die sie langfristig auch wieder regulieren können. Müssen. „Wir müssen ein bisschen besser werden“, „Wir müssen uns anstrengen“ – solche Sätze reichen als politische Parolen nicht mehr. Eher müssen wir in Fragen von Bau und Verkehr, Energieerzeugung, Konsum und Schutz vor Katastrophen grundlegend umdenken. Auch wenn neue Prinzipien und Lebensweisen sich in Demokratien nur langsam etablieren lassen.

Armin Laschet hat ein paar Tage nach der Flut gelacht, als Bundespräsident Steinmeier im Vordergrund etwas sagte. Na und?, dachte ich, als ich es sah. Das ist unpassend, aber letztlich so egal wie Baerbocks irgendwie getunter Lebenslauf oder jeder Satz der AfD. Ich habe die Talksendungen ausgeschaltet, in denen Laschets Lachen bis ins letzte Augenfältchen analysiert wurde. Laschets Satz, dass man wegen „so einem Tag“ nicht die Politik ändern könne, habe ich dagegen als falsch empfunden – und angesichts einer Katastrophe biblischen Ausmaßes als, mit Verlaub: nicht besonders schlau.

Hochwasser als Endlichkeitsbeschleuniger

Allein in NRW werden jeden Tag vier Hektar zusätzliche Fläche versiegelt. In Hoffnungsthal sollten vor gut zehn Jahren auf einem riesigen Retentionsraum 50 Häuser gebaut werden – wäre das nicht verhindert worden, wäre das Ausmaß der Katastrophe noch weitaus gewaltiger gewesen.

Das Hochwasser ist ein Endlichkeitsbeschleuniger. Irgendwann ist alles weg. Die Bilder, die Erinnerungen, die gesammelten Dinge, weg. Die Großeltern gehen, die Eltern, manchmal weit vor der Zeit die Kinder oder Enkelkinder wie die Freundin einer Freundin aus Bad Neuenahr, die mit Mitte 20 in ihrem Keller ertrank. Die Haustiere sind irgendwann weg, die Zeugnisse, die Geburtsurkunden und die Fotoalben, die Insekten an den Windschutzscheiben, die Fichten und die Schmetterlinge, die man noch aus der Kindheit kennt.

Hochwasser ist ein Gleichmacher

Die Flut sorgt dafür, dass viele Dinge, die lieb waren, noch schneller weg sind. Andere Bilder und Erinnerungen bleiben länger: Bilder von neuer Nähe und Gemeinschaft nach Corona zum Beispiel. Bilder von Tränen der Fassungslosigkeit, der Wut, der Erschöpfung und auch der Freude über Hilfe und Empathie, die viele in einem überwältigenden, ungeahnten Ausmaß erfahren haben.

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Das Hochwasser ist ein Gleichmacher. Es hat jeden getroffen. Dass jeder unterschiedlich reagiert hat – die meisten anpackend und solidarisch, manche panisch, einige verzagt, andere wild entschlossen, heldenhaft – lehrt mich, die Leute nicht zu beurteilen: Nicht nach ihrem Auto noch nach ihrem Haus, weder an ihren Klamotten noch nach ihrer Art zu reden. Jeder hat eine andere Geschichte, andere Sorgen, andere Stärken und Schwächen, eine andere Perspektive, andere Ressourcen, auch und gerade in Zeiten großer Krisen. Dass die Ressourcen insgesamt gewaltig sind, hat mir das Ausmaß und auch die Art der Hilfe gezeigt. Ich glaube, dass diese riesigen Ressourcen ausreichen könnten, um die Ressourcen der Natur langfristig zu schonen.

Solidarität ist keine Illusion

Mir hat die Katastrophe gezeigt, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Dass Solidarität keine Illusion ist, sondern eine Eigenschaft, die uns ausmacht – und lokal wie national und international viel verändern kann. Ich hoffe und werde mich dafür einsetzen, dass der Solidargedanke auch nach dem großen Aufräumen und Wiederaufbauen in Hoffnungsthal erhalten bleibt. Dass der Hochwasser- und Naturschutz Vorrang hat vor Neubaugebieten und neuen Industriegebieten. Dass es nicht so wird, was mein Schwiegervater, der während des Hochwassers in unserem Haus war, kürzlich sagte: „Wer weiß, wo die Erde gerade hinfliegt“, sinnierte er. „Wir scheinen es nicht mehr steuern zu können.“

Vielleicht können wir es, alle zusammen, doch. Nicht alles, aber doch so viel, dass wir nicht dauerhaft den Boden unter den Füßen verlieren. Und das Vertrauen in die Zukunft, zum Beispiel an der Sülz, zurückkommt. 

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