Buch für Kinder von InhaftiertenEin kleiner Bär macht Kindern Mut

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Luisa Tegtmeyer hat Buch und Plüschtier für Kinder entwickelt. Bild:

Luisa Tegtmeyer hat Buch und Plüschtier für Kinder entwickelt. Bild:

Bergisch Gladbach – Was Freiheit bedeutet, weiß Luisa Tegtmeyer erst richtig zu schätzen, seitdem sie im Gefängnis in Köln-Ossendorf ein- und ausgeht. „Jedes Mal, wenn ich wieder auf die Straße trete, atme ich einmal tief aus“, sagt die Bergisch Gladbacherin und zählt auf: die schweren Türen alle paar Meter, die Durchsuchungen, das strenge Personal. Eine Atmosphäre, für die das Wort bedrückend erfunden worden ist. Eingeschüchtert schon am Eingang

Wohlgemerkt ist Luisa Tegtmeyer im Gefängnis nur gelegentlicher Gast. So wie die Kinder der dort Inhaftierten, die ihre Väter und Mütter alle paar Wochen hinter Gittern besuchen dürfen. Für die Kleinen muss der Gang ins Gefängnis noch verstörender sein. „Sie sind die vergessenen Opfer“, sagt die 21-jährige Tegtmeyer über die Kinder, die sie in den kahlen Besuchsräumen des Gefängnisses beobachten konnte. Eingeschüchtert, schon allein von der Eingangsschleuse, in der sie bis auf die Windeln oder die Unterhose ausgezogen werden. Verängstigt. Aufgedreht.

Für diese Kinder aus der Region und alle anderen, die deren schweres Schicksal teilen, hat die Gladbacherin jetzt ein Buch geschrieben, das deutschlandweit einzigartig ist. Nicht nur in Tegtmeyers Augen, sondern auch nach Ansicht der Mitarbeiter und Leiter von Gefängnissen, die Feuer und Flamme für ihr Projekt sind. „Buddy“ heißt die Geschichte und soll die betroffenen Kinder von drei bis zehn Jahren pädagogisch darauf vorbereiten, was das überhaupt ist: ein Gefängnis. Vor allem aber, was sie bei einem Besuch erwartet. Buddy ist ein Teddybär, dessen Vater hinter Gittern sitzt, was bei dem kleinen Bären viele Fragen aufwirft: „Wieso kann Papa nicht bei uns wohnen?“ Oder: „Vergisst Papa mich nicht, wenn er mich so selten sieht?“ Es sind Fragen, die Tegtmeyer von Kindern gehört hat. In ihrem Buch lässt sie diese Fragen von der Mutter des Bären beantworten. Den Teddy aus dem Buch gibt es auch als Plüschtier zum Knuddeln. Inhaftierte Frauen in der Schneiderwerkstatt des Kölner Gefängnisses haben in Handarbeit einen Prototypen entworfen. „Ihren Kindern wollten sie gleich auch einen machen“, sagt Tegtmeyer. In anderen Ländern wie Skandinavien, das hat Tegtmeyer bei einem Fachkongress im schottischen Edinburgh gelernt, ist es selbstverständlich, auch die Kinder oder Lebenspartner der Inhaftierten pädagogisch zu betreuen. In Deutschland bislang nicht. Deshalb rennt Luisa Tegtmeyer mit ihrem Projekt offene Türen ein.

Ihre Berufung gefunden

„Viele möchten das Buch kaufen“, sagt sie. Allerdings weiß sie nicht, wie sie den Druck finanzieren soll. Eine Anfrage beim Bergisch Gladbacher Heider-Verlag ergab, dass 500 gedruckte Bücher 2500 Euro kosten würden. Nun hofft Tegtmeyer auf Spender, die ihr finanziell dabei helfen, das Projekt zu realisieren (siehe „Hilfe gesucht“. Zusätzlich sammelt sie auf einer Internet-Plattform Geld, um die Bücher und Teddys kostenlos auch jenen Eltern oder Justizvollzugsanstalten ermöglichen zu können, die kein Geld dafür übrig haben.

In Kontakt mit dem Gefängnis kam Tegtmeyer über ihr inzwischen abgeschlossenes Studium der Kunst, Pädagogik und Therapie an der Alanus-Hochschule in Alfter (Rhein-Sieg-Kreis). Für ein Kunstprojekt gestaltete sie mit Kommilitonen die sogenannten „Bindungsräume“ in der Ossendorfer Anstalt kindgerecht um. In die kahlen, lieblosen Räumen, in denen die Kinder ihre Eltern besuchen dürfen, kam Farbe und neues Spielzeug. Die Räume seien zu den Besuchszeiten rappelvoll gewesen, auch mit Kindern, erinnert sich Tegtmeyer. Sie staunte damals. „Die Beamten haben mir erzählt, dass viele Eltern ihren Kindern erzählen, das Gefängnis sei ein Krankenhaus.“ Aus Scham, und auch weil sie nicht wissen, wie sie es ihrem Kind vermitteln können. Tegtmeyer ließ das Thema nicht mehr los. Das Buch, der Teddy: Sie sind Teil ihrer Bachelor-Arbeit. In den nächsten Wochen wird sie außerdem den Weg von der Eingangstür zum Besuchsraum mit Motiven aus ihrem Buch gestalten. Bären-Tatzen auf dem Boden weisen den Kindern den Weg ab der Eingangsschleuse, der Teddy lacht aufmunternd von einem Poster. Kleine Ablenkungen für die Kinder auf ihrem schweren Weg im Gefängnis.

Seit einer Woche hat Luisa Tegtmeyer in Köln ein zweites Studium begonnen. Durch das „Buddy“-Projekt hat sie ihre Berufung gefunden: Lehrerin an einer Grundschule möchte sie werden. Wer Tegtmeyer zuhört, wie sie freundlich, resolut, leidenschaftlich erzählt, merkt sofort, dass sie das Zeug dazu hat. Das Potenzial, eine Lehrerin zu werden, wie sie in anderen Kinderbüchern steht.

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