„Da müssen wir etwas machen“Große Hilfsbereitschaft in Gladbach für verarmten Rentner

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Dank der Hilfsbereitschaft der Sponsoren von SV 09 konnte ein in Not geratener Rentner das Spiel gegen den SV Rödinghausen von der Tribüne aus verfolgen.

Dank der Hilfsbereitschaft der Sponsoren von SV 09 konnte ein in Not geratener Rentner das Spiel gegen den SV Rödinghausen von der Tribüne aus verfolgen.

  • Manfred Müller hat in seinem Leben viel gearbeitet, nicht immer Glück gehabt und nun eine kleine Rente.
  • Mit ihren konkreten Hilfsangeboten haben die Menschen dafür gesorgt, dass der in finanzielle Not geratene Rentner aus Bergisch Gladbach sich vielleicht nicht ganz so verlassen fühlt.

Bergisch Gladbach – Viele Menschen sind betroffen. Das Schicksal eines 79-jährigen Mannes mit einer kleinen Rente lässt sie nicht kalt. Dies haben zahlreiche Anrufe und Mails in der Redaktion gezeigt. Wie berichtet, sollen bei Manfred Müller (Name geändert) Rundfunkbeiträge gepfändet werden, obwohl er gar kein Geld mehr hat.

„Da müssen wir etwas machen“, war die erste Reaktion von Norbert Becker, Sprecher der Sponsorenmannschaft von Fußballverein Bergisch Gladbach 09, als er die Zeitung las. Müller hat Ende der 1960er Jahre erfolgreich in der 1. Mannschaft Fußball gespielt. Später blieb der Gladbacher seinem alten Verein als Fan treu. Weil er seine Armut als Makel empfindet, traute er sich jedoch seit einigen Jahren nicht mehr in die Belkaw-Arena.

Kein Anspruch auf Sozialleistungen

Der Gladbacher hat in seinem Leben viel gearbeitet. Als Meister im Handwerk Elektrotechnik war er bis zum Ruhestand angestellt tätig und zwischendurch zeitweise selbstständig, was aber nicht gut lief. So muss er mit einer kleinen Rente in Höhe von 860 Euro über die Runden kommen. Auf Sozialleistungen hat er keinen Anspruch, dafür ist die Rente zu hoch – obwohl sie unter der Armutsgefährdungsschwelle von 968 Euro liegt. Mit einem Minijob als Zeitungsausträger hat der 79-Jährige sich bis vor einem Jahr noch etwas dazu verdienen können, jetzt geht das aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr. Die mit dem Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio vereinbarten Ratenzahlungen hat Müller nach eigenen Angaben nicht mehr stemmen können. Nun wird die Pfändung eines Teils seiner Rente folgen – einen Termin beim Gerichtsvollzieher hatte er schon.

Jeder fünfte Rentner von Altersarmut betroffen

Nach einer Auswertung der Statistik zur Armutsgefährdung in 2019, basierend auf einer regelmäßigen Befragung von etwa 400.000 deutschen Haushalten, sind deutlich mehr Rentnerhaushalte als bislang angenommen armutsgefährdet. Mit 19,5 Prozent aller Rentnerhaushalte sei fast jeder fünfte Rentnerhaushalt von Altersarmut betroffen, geht aus einer gemeinsamen Untersuchung des Statistikprofessors Gerd Bosbach von der Hochschule Koblenz und dem rentenpolitischen Sprecher der Linksfraktion Matthias Birkenwald hervor. Einzelpersonen müssten von weniger als 999 Euro leben, betroffene Paare von weniger als 1.499 Euro. Um die hohe Zahl der armutsgefährdeten Rentner zu senken, fordert Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) eine Grundrente. Diese soll die Rentenansprüche von Geringverdienern aufstocken, wenn sie 35 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Die Union kritisiert die hohen Kosten und die Tatsache, dass der tatsächliche Bedarf nicht geprüft werden soll. (ub)

„Wir wissen, dass man im Alter in eine solche Notsituation geraten kann“, sagt Becker. Die Spendenbereitschaft bei den 37 Firmenmitgliedern der Sponsorenmannschaft sei extrem groß gewesen. Becker brachte Müller eine VIP-Dauerkarte für die Saison 2019/2020 vorbei. „Wir wollen verhindern, dass sich ein ehemaliger Spieler ausgegrenzt fühlt“, meint Becker. Die Unterstützer des Vereins hätten sich nicht nur zusammengetan, um einmal in der Woche viel Spaß beim Fußballspielen zu haben. Sondern vor allem deshalb, um schnell und unabhängig von der Vereinssatzung über finanzielle Förderung von Bedürftigen im Fußballverein entscheiden zu können.

Müllers Schicksal ist kein Einzelfall

„Ich bin so gerührt. Das werde ich nie vergessen“, sagt Müller. Er hat die Dauerkarte angenommen und ging gleich am vergangenen Donnerstag zum Spiel gegen den SV Rödinghausen ins Stadion. Auf der Tribune und am VIP-Zelt, wo Getränke ausgeschenkt werden und sich Ehemalige treffen, sei er nach langem mal wieder mit Leuten ins Gespräch gekommen. Auch die zahlreichen anderen Bekundungen der Solidarität und Hilfsangebote von Lesern, die ihn erreichten, würden ihm gut tun. „Man fühlt sich nicht ganz so alleine gelassen“, sagt Müller.

Dabei ist Müllers Schicksal kein Einzelfall. „Viele Hilfsbedürftige, deren Rente nicht zum Leben reicht, suchen bei uns Hilfe“, bestätigt Eva Rath von der gemeinsamen Schuldnerberatung von Caritas und Diakonie in Schildgen. Hauptgründe für die Überschuldung in dieser Bevölkerungsgruppe seien hohe Mieten, niedrige Renten oder der Tod des Partners. „Aufgrund ihrer Wertvorstellungen nehmen Senioren oft erst Hilfe an, wenn es keinen Ausweg mehr gibt“, berichtet Rath. Dabei sei die Beratung anonym und kostenlos: „Wir wissen um die Scham der Menschen.“ Ihre Hauptaufgabe sieht die Schuldnerberaterin darin, den Menschen eine Perspektive zu geben: „Das Existenzminium muss gesichert sein.“ Mit Gläubigern versucht sie Einigungen zu erzielen, damit ihre Klienten Ratenzahlungen loswerden können, notfalls mit einem privaten Insolvenzverfahren. „Das mit der heilen Welt in Bergisch Gladbach stimmt schon lange nicht mehr“, lautet Raths Fazit. Ein „Riesenproblem“ sei, dass Betroffene keine günstigen Wohnungen finden, um Kosten zu sparen. „Wohngemeinschaften zu bilden, klappt leider nur in ganz seltenen Fällen“, weiß Rath aus Erfahrung.

Quälende Ungewissheit

Auch Müller muss nun auf Wohnungssuche gehen. Sein Vermieter hat ihm sein 250 Euro teures Appartement wegen Eigenbedarfs gekündigt. „Ich weiß nicht, wo ich am Ende landen werde“, sagt der Gladbacher. Die Ungewissheit sei nur schwer auszuhalten.

www.schuldnerberatung-rheinberg.de

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