„Im Wald vergraben“Hasskommentare gegen Gladbacher Miss-Germany-Kandidatin

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Patti-Saoirse in Köln 2 111021

Patti-Saoirse

Bergisch Gladbach – Patti-Saoirse trinkt ein großes Glas Orangensaft an einem Samstag in einem Café in Köln. Alle Tische sind besetzt, an die Corona-Pandemie erinnern nur noch die Masken die zwischen den Gästen auf dem Tisch liegen. „Ach, da möchte ich nicht drüber urteilen“, sagt sie und lächelt, nimmt die Menschen fast in Schutz, die Hass und Abscheu über ihr Bild in den sozialen Medien schreiben.

Patti-Saoirse ist bei der aktuellen Miss Germany-Wahl unter den Top-160-Teilnehmerinnen, und ist trans. Sie ist 25 Jahre alt, arbeitet als Erzieherin, hat grüne Augen und blonde Haare. Fakten – trocken und objektiv – scheinbar aber genug, um in manchen Personen etwas zu wecken. Aber was eigentlich? Kritik an der Tatsache, dass sie existiert? „Das ist keine Kritik, das ist einfach nur Hate“, sagt Patti-Saoirse.

Hasskommentare auf Instagram und Facebook

Am 17. September hatte diese Zeitung über die Influencerin und ihre Teilnahme bei der Miss-Germany-Wahl berichtet. „Gladbacherin wirbt für Akzeptanz: Patti will als erste trans Frau „Miss Germany“ werden” stand über einem Bild der jungen Frau, die darauf gerade bunte Seifenblasen in die Luft bläst. Der Artikel ging online, auch auf den sozialen Medien, also Facebook und Instagram. Innerhalb weniger Stunden posteten unzählige, oft anonyme Accounts Nachrichten unter die Beiträge, die sie beleidigten, bedrohten und nieder machen sollten. Fakten, objektiv und trocken.

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Jetzt teilt Patti-Saoirse auf ihrem eigenen Instagram-Kanal ein Statement zu den Hass-Botschaften, zeigt Screenshots von den schlimmsten Beiträgen. Sie schreibt ihren rund 1600 Abonnentinnen und Abonnenten: „Wir müssen mehr gegen Diskriminierung kämpfen! Wir sind alle gleichwertig.“ Am Tisch in dem vollen Café in Köln sagt sie: „Es hat mich nicht ängstlich gemacht“ und sie schiebt hinterher „es hat mich traurig gemacht.”

„Ab in den Wald“ und sie „dann vergraben“

Traurig, weil es zeige, dass die Gesellschaft immer noch nicht gelernt habe, dass es keinen Unterschied macht, ob jemand trans oder cis (also dem Geschlecht zugehörig, das ihm oder ihr bei der Geburt zugeschrieben wurde) ist. Traurig, weil sie nichts einfordert, was nicht jedem und jeder zusteht: Zu existieren, so, wie sie möchte und wie sie glücklich ist.

„Niemand möchte, dass einem reingeredet wird, wer man ist“, sagt die Gladbacherin. Und deswegen lässt sie sich nicht hinreißen, ein schlechtes Wort über die Personen zu verlieren, die sie als „Nicht-Mensch” bezeichneten. Die sich von ihrer Existenz so bedroht fühlten, dass sie mit ihr „ab in den Wald” und sie „dann vergraben“ wollten.

Patti-Saoirse setzt sich für Selbstliebe ein

Ganz zu schweigen von den abfälligen, gehässigen Kommentaren, die Patti-Saoirse als mehrgewichtige Frau beleidigen wollen. Der Tenor: Was fällt einer dicken Frau ein, von sich selbst zu sagen, sie sei schön. Patti-Saoirse hält dagegen: „Auch weil ich mehrgewichtig bin, ich bin nicht weniger wert als jemand, der dünn ist.“

Hass in den Medien sei sie gewohnt, erklärt sie. Aber nach der Veröffentlichung des Zeitungsartikels sei ihr eine regelrechte Welle entgegen-geschlagen. Natürlich sei das schwer gewesen. Aber es habe sie auch darin bestärkt, dass besonders ihre Art des Aktivismus notwendiger denn je ist. Selbstliebe, nennt sie das, was ihren Einsatz ausmacht.

„Egal ob dick, dünn, cis, trans, homo oder hetero, das ist alles total irrelevant“, solange jeder und jede sich in seiner oder ihrer Haut wohlfühlen kann, ohne verurteilt zu werden. Genau das also, was ihr die Kommentare auf Instagram und Facebook nicht gönnen wollten.

Passing rettet oft vor Diskriminierung in der Öffentlichkeit

Warum ist das im Internet so viel schlimmer als im realen Leben? Anonymität spiele sicher eine große Rolle, vermutet Patti-Saoirse. Und sie erklärt, dass der Hass schlimmer ist auf den Plattformen, auf denen sie als trans Frau auftritt und spricht.

„Offline begegne ich nicht so viel Hass, denn ich hab ein gutes „passing”. Das heißt, dass ich sehr dem stereotypischen Bild einer Frau entspreche. Natürlich bedeutet das aber nicht, dass Diskriminierung bei trans Personen, die kein gutes Passing haben, in Ordnung ist.”

Passing ist der Begriff, der in der LGBTQIA*-Community dafür genutzt wird, um zu beschreiben, ob eine trans Person auf den ersten Blick als solche identifiziert wird oder nicht. Ein Begriff also, der schon zeigt, was für viele überlebenswichtig sein kann: Nicht auffallen, nicht durch die bloße Existenz den Hass von Menschen auf der Straße auf sich ziehen.

Keine Rückmeldung auf angezeigte Hasskommentare 

Das hat Patti und doch stellt sie sich vor die Kamera. Immer wieder, als die, die sie ist und spricht über Diskriminierung, Repräsentation, Selbstliebe. Nach einer Dokumentation, die sie vor einigen Jahren mit einem öffentlich-rechtlichen Sender drehte, erkannte sie jemand in der Gladbacher Fußgängerzone. Schubste sie, beleidigte sie, wie sie mit ruhiger Stimme erzählt. Dafür, dass sie eine Frau ist. Er hätte sie genauso gut dafür beleidigen können, dass sie blond ist. Fakten, trocken und objektiv.

„Einfach alles rauslassen!” rät Patti-Saoirse. „Auskotzen. Einfach alles rauslassen. Ich brauch nicht unbedingt Lösungsvorschläge. Nur das Wissen, dass man nicht allein ist.” Auch angezeigt habe sie Hasskommentare schon. Seit mehreren Jahren besteht die Möglichkeit, online Hasspostings zu melden und zur Anzeige zu bringen.

Bisher habe sie darauf aber keine Resonanz bekommen, so die Influencerin. Dennoch rät sie anderen, diese auf jeden Fall zu melden: „Es nimmt einem die Last.”

Solidarität unter den Miss-Germany-Teilnehmerinnen

Heute stehen unter dem neuesten Instagram-Post der jungen Frau Kommentare mit Herzen, Komplimenten und Bewunderung. Patti-Saoirse lächelt darauf im Rheinauhafen, nicht eingeschüchtert, nicht entmutigt. Geschossen wurde das Bild von einer anderen Miss-Germany-Teilnehmerin, Kerrin Saathoff. Die anderen Teilnehmerinnen waren diejenigen, die in den Kommentarspalten auf die Hassbotschaften reagiert hatten. Sich für Patti-Saoirse einsetzten und sie verteidigten vor denen, die ihr ihre Existenz nicht gönnen wollten.

Nachdem sich das Misswahl-Format vor kurzem als neu ausgerichtet bezeichnete und verkündete, ab jetzt den Aktivismus und die Persönlichkeiten der Teilnehmerinnen in den Mittelpunkt stellen zu wollen, formte sich eine Gemeinschaft unter den Frauen.

„Klar, irgendwo ist es schon auch ein Wettbewerb. Aber keine Message ist mehr wert als die andere. Jede Message ist es wert, gehört zu werden und deswegen supporten wir uns gegenseitig.” Bei dem Wettbewerb gehe es also ihrer Meinung nach darum, „welche Message die meisten Leute erreicht.”

Miss Germany will grundlegend verändert sein

Inwieweit die Miss Germany schließlich aufgrund von Aktivismus und Persönlichkeit gekürt wird, oder ob die Siegerinnenschärpe nicht doch einer „typischen“ Schönheitskönigin umgelegt wird, wird sich zeigen. Auf der Internetseite sprechen die Veranstalter von drei „Indikatoren”, die von der Jury bei der Wahl berücksichtigt werden sollen: „Entwicklungspotential, Inspirationsfähigkeit und Professionalität.“

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Die Teilnehmerinnen sprechen über sexuellen Missbrauch, Legasthenie und gesunde Ernährung. Von den 39 Frauen aus der Top-160, für die in dieser Woche gestimmt werden kann sind 25 blond. Die amtierende Miss Germany heißt Anja Kallenbach: “Zweifach-Mama, Geschäftsführerin, Sportlerin”, beantworten die Veranstalter auf ihrem Profil die Frage, was die 33-Jährige ausmacht.

Patti-Saoirse trinkt ihren Orangensaft aus und tritt aus dem vollen Café ins sonnige Köln. Eine junge Frau, eine blonde Frau, eine trans Frau, eine Frau die gerne vor der Kamera steht. Fakten, objektiv und trocken. Egal, wem das gefällt oder nicht. 

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