„Mein Chef fing mit Holzbeinen an“Wie eine Gladbacherin fehlende Gliedmaßen ersetzt

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Nach dreijähriger Ausbildung ist Fiona Hartl nun Gesellin.

  • Auch in der Region herrscht der Fachkräftemangel. Wir schauen uns Jobs an, die damit besonders zu kämpfen haben.
  • Azubis dringend gesucht: Was macht die Jobs aus? Was gefällt gerade jungen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen an ihrer Arbeit?

Bergisch Gladbach – Der Handschuh, der vor Fiona Hartl auf dem Arbeitstisch liegt, sieht so sehr nach menschlicher Hand aus, dass es beinahe gruselig ist. „Wir können diese Handschuhe als originalgetreues Abbild der anderen Hand anfertigen“, erklärt Hartl. „Dann fällt die Prothese später nicht so auf.“ Fiona Hartl ist Orthopädietechnikmechanikerin. Einfacher gesagt: Sie baut Hilfsmittel, mit denen versehrte Menschen sich wieder besser bewegen können, sprich Prothesen, Stützen, Einlagen und Ähnliches.

Hartl selbst beschreibt den Job als die Kombination aus Medizin und Handwerk, und genau das hat sie daran so sehr interessiert. Nach dem Abi war sie ein Jahr in Neuseeland und dann vor allem unentschlossen. Ein Schülerpraktikum beim Schreiner hatte ihr gut gefallen, sie konnte sich aber auch vorstellen, Hebamme zu werden. Google gab ihr damals die Antwort auf einen Mittelweg: Orthopädietechnik.

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Es gibt täuschend echte Handschuhe, durch die die Prothese weniger auffällig wirkt.

Dreijährige Ausbildung in der Orthopädie

„Ich hatte das ursprünglich überhaupt nicht auf dem Schirm“, sagt die 24-Jährige. „Die meisten wissen auch erstmal nicht, was man in dem Job so macht.“ Die Ausbildung dauert drei Jahre, man verbringt ein Jahr in verschiedenen Abteilungen; wie der Orthetik (Herstellung von Unterstützungsprodukten für Muskeln oder Gelenken, den Orthesen), Prothetik (Produkte, die fehlende Körperteile ersetzen, also Prothesen) und Bandagistik (Verschlüsse und Lederarbeiten, was früher tatsächlich mal ein eigener Beruf war).

Ausbildung, Dauer, Gehalt

Orthopädietechnikmechanik

3 Jahre dauert die Ausbildung zur Orthopädietechnikmechanikerin. Während der Ausbildung hat Fiona Hartl rund 600 Euro bekommen, der Einstieg als Gesellin bedeutet rund 2000 monatlich brutto. Nach einer Meisterprüfung geht es über die 3000 Euro, weitere Aufstiegsschancen sind Posten wie Bereichs- oder Werkstattleitung.

Später spezialisiert man sich auf einen Bereich, bei Fiona Hartl war es die Orthetik. In diesem Bereich hat sie auch ihr Gesellenstück hergestellt: Eine Handorthese für einen Patienten mit spastischer Lähmung, die die verkrümmte Hand in einer gesunden Stellung unterstützt. Ab dem letzten Ausbildungsjahr gibt es dann auch Außeneinsätze, also etwa Fahrten ins Krankenhaus, wo die Azubis auch zunehmend Kontakt zu den Patienten haben.

Alltag zwischen Büro, Werkstatt und Einrichtungen

Fiona Hartl bewegt sich entspannt in den vertrauten Räumen ihrer Firma. Ihr Tag beginnt oft im Büro, wo Kostenvoranschläge und Organisation anstehen, dann geht es raus zu den Kunden und Kundinnen oder in die Werkstatt. Oder beides. Lehrlauf gibt es fast nie.

In ihrem Job habe sich so viel getan, sagt Hartl. „Mein Chef hat noch mit Holzbeinen angefangen, ich hab am Anfang nur mit Gips gearbeitet.“ In der Werkstatt mit den Gipsbeinen staubt jeder Schritt ein wenig.

Hartl feilt kurz an einem der Stücke, fährt mit der Hand über das Material. „Für einige Kunden und Kundinnen wird man die alten Techniken immer brauchen“, sagt sie. „Kinder zum Beispiel zappeln oft zu viel herum, um den Abdruck anders herzustellen.“

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Zu Beginn ihrer Ausbildung hat Hartl hauptsächlich mit Gips gearbeitet, inzwischen ist das seltener geworden.

Im Raum gegenüber lauert der Fortschritt: Dort steht der 3D-Drucker, der vor etwa zwei Jahren in der Firma etabliert wurde. „Für einige Arbeiten ist das längst normal“, erklärt Fiona Hartl. „Bei einem Skoliose-Korsett zum Beispiel, das war früher eine riesige Schlepperei mit dem Gips.“ Sie selbst hat Lust auf die Digitalisierung ihrer Arbeit, darauf, auszutüfteln, was sich lohnt und was nicht.

Fachkräftemangel im Handwerksberuf

Der Job, in dem Hartl jetzt seit einem Jahr als Gesellin arbeitet, leidet wie viele Handwerksberufe unter dem Fachkräftemangel. Auch bei Munny sind seit Jahren Stellen ausgeschrieben, für die niemand gefunden wird.

In der Berufsschule war es nicht unüblich, auch ältere Kollegen und Kolleginnen zu haben, meint Hartl. „Eine aus der Schule hatte selbst einen Unfall und ist erst so auf den Berufszweig gekommen.“ Auch später noch einsteigen ist also kein Problem, alle aus der Berufsschule, die wollten, wurden von den Betrieben auch übernommen.

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Fiona Hartl mit der nahezu fertiggestellten Handprothese.

Was man für den Job mitbringen muss? Hartl überlegt kurz, und entscheidet sich dann für eine Basis von handwerklichem Geschick und sozialen Fähigkeiten. Schrauben und tüfteln in der Werkstatt macht ihr Spaß, aber es ist der Kontakt zu den Kunden und Kundinnen, der ihren Beruf für sie letzten Endes ausmacht. „Wenn da jemand reinkommt, der nur mit Schmerzen ein paar Schritte laufen kann, und ich kann helfen, dass er sich wieder einigermaßen entspannt bewegen kann – na klar macht das Spaß“, erzählt Hartl.

Warum dieser Beruf?

Gründe dafür und dagegen

Was ist das Tolle an Ihrem Job, Frau Hartl?

Hartl: „Dass ich aktiv sehe, was meine Arbeit an Lebensqualität zurückgeben kann, dass man individuell helfen kann, das macht sehr viel aus. Auch die Abwechslung zwischen den verschiedenen Arbeiten, im Krankenhaus, aber auch hier in der Werkstatt. Die Mischung macht's aus.“

Was gefällt Ihnen manchmal nicht?

„Es gibt immer mehr zu tun, als man in einem Arbeitstag unterbringen kann. Ich bin ein wenig hin- und hergerissen zwischen dem, was ich am liebsten mache: Handwerkliches Arbeiten und sich mit der Digitalisierung auseinandersetzen und dann dem Außendienst, der ist nicht unbedingt mein Lieblingspart. Das zu balancieren, ist schwierig.“

Sie erinnert sich an einen Kunden kurz vor Ende ihrer Ausbildung, einen Geflüchteten, der im Krieg in Syrien den Arm unterhalb des Ellbogens verloren hatte. „Das war ein total prägender Moment, als er endlich beide Arme wieder benutzen konnte, das hat man ihm so angesehen“, erinnert sich Hartl. Sowas prägt auch sie selbst. Mal Überstunden machen sei dann nicht mehr so ein Ding.

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Die Handprothese, an der sie jetzt arbeitet, ist beinahe fertig. Sie sendet über Elektroden im Gerät Impulse, die die Bewegungen der Finger steuert. Über eine App kann der Kunde außerdem weitere Einstellungen vornehmen.

Schon jetzt biegen sich die Finger mit einem zarten Sirren, wenn man die Elektroden berührt. Fiona Hartls nächstes Ziel ist die Meisterprüfung. „Diesen Job wird man immer brauchen“, ist sie sicher. „Trotz Digitalisierung braucht man immer jemanden, der die Stücke an die Menschen bringt.“

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