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„Nicht Opfer unserer Gene“Bensberger Psychotherapeutin über Eltern-Kind-Beziehungen

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Auch Eltern müssen sich eine Auszeit gönnen, mahnt Psychotherapeutin Melanie Fontaine.

Bensberg – Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – heißt es zumindest. Beispiele gibt es genug: Über Generationen vererbte Familienbetriebe sind keine Seltenheit, Heidi Klums Tochter Leni modelt auch. Und man selbst ertappt sich vielleicht manchmal dabei, dass man wie der eigene Vater grinsen muss, wenn man lügt. Wenn man wie jetzt zum Vatertag wieder Zeit mit den Eltern verbringt, fällt der eigene Blick noch häufiger auf Ähnlichkeiten, die mit den Jahren auch noch immer ausgeprägter werden. Aber ist es tatsächlich so, dass wir zwangsläufig unseren Eltern ähnlich sind? Und kann man dagegen etwas tun, wenn man das nicht will?

„Es ist auf jeden Fall so, dass wir sehr vieles von unseren Eltern übernehmen“, sagt Melanie Fontaine. Sie führt seit 2016 eine Praxis für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie in Bensberg. Ob man Ähnlichkeiten der Eltern übernehme, sei zum einen eine Frage der Genetik, zum anderen eine der Aneignung. Wie viel wovon – nicht klar zu sagen. „Wenn wir das tausendprozentig wüssten, hätten wir die große Frage der Psychologie gelöst“, meint Fontaine und lacht.

Stress: Schon im Mutterleib große Auswirkungen

Bei der Entwicklung eines Kindes spiele beides eine große Rolle. „Ob ich schnell ausraste, kann zum Beispiel Veranlagungssache sein“, erklärt die Psychotherapeutin. Wenn sich Stress schon auf das Ungeborene im Mutterleib auswirkt, weil die Mutter viel arbeitet oder raucht, dann kann sich Stressresistenz nicht gut ausbilden. Wie sehr sich das allerdings ausprägt, liegt wiederum am Umfeld, in dem das Kind aufwächst.

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Wir „lernen am Modell“, sagt Fontaine. Das heißt, wir kopieren sehr viel von direkten Bezugspersonen. „Das ist die erste Lebensrealität, die wir kennenlernen. Wir erfahren: So macht man das.“ Werde ich nun mit einer geringen Stressresistenz geboren, wachse aber in einem Umfeld auf, das stressfrei auf mich reagiert, dann hat die Veranlagung nicht das letzte Wort: „Positive Erfahrungen können das korrigieren. Wir sind nicht Opfer unserer Gene.“

Erster Schritt: Erkennen, dass es nicht richtig läuft

In einer Therapie wäre das der erste Schritt: Erkennen, dass etwas nicht richtig läuft und geändert werden muss. „Daran hakt es bei den meisten“, sagt Fontaine. Damit hilft man oft auch bereits seinem Umfeld und vielleicht den eigenen Kindern mit. Dann vorsichtig, aber ehrlich zu kommunizieren, sei sehr wichtig, meint Fontaine. „Wenn Eltern hier in der Praxis sagen; das haben wir dem Kind aber nie erzählt – dann weiß es das oft trotzdem. Kinder beobachten sehr genau, sie haben sehr feine Antennen.“ Wenn Eltern ihre Gefühle mit Bedacht verbalisieren und ehrlich sind, dann lernen Kinder daraus auch.

Ein besonderer Fall für diese Verantwortung sind Kinder, die in Familien mit Alkoholismus oder Depressionen aufwachsen. „Es stimmt, dass Kinder von Alkoholikern selbst zum Alkoholismus neigen“, sagt Fontaine. Sie spricht dann von „Vulnerabilität“. Aber auch ob sich das auswirkt, liegt am Umfeld des Heranwachsenden. An der Universität Zürich gibt es eine Studie an Mäusen, die zeigt, dass nach der vierten oder fünften Generation eine Veranlagung in den Genen nicht länger nachweisbar ist, wenn man den Tieren ein positives Umfeld ermöglicht. Fontaine betont: „Es ist sehr wichtig, Eltern, die aufgrund eigener schlechter Erfahrungen am Kinderwunsch zweifeln, zu ermutigen: Sie haben es in der Hand, dem Kind eine Umgebung zu geben, in der es ihm gut geht.“

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Die Psychotherapeutin findet es wichtig, im Kopf zu behalten, dass wir natürlich nicht nur schwierige Handlungsmuster erben: „Wir bekommen ja auch all das Positive mit. Bin ich gut im Sport? Auch das kann vererbt sein.“ Und: Eltern dürfen sich selbst nicht vergessen. Melanie Fontaine weiß: „Wenn die Eltern auch gut mit sich umgehen – und das vergessen Eltern leider häufig – dann gibt man das auch den Kindern weiter. Das ist etwas, das Eltern lernen müssen: Man darf sich eine Auszeit nehmen, weil das gleichzeitig eine Investition in das Kind ist.“

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