1918 Bergisch GladbachDienstmädchen berichtet über die Spanische Grippe

Lesezeit 4 Minuten
Schwestern des Roten Kreuzes bereiten sich 1919 auf den Transport von Grippekranken vor.

Schwestern des Roten Kreuzes bereiten sich 1919 auf den Transport von Grippekranken vor.

  • Die Spanische Grippe forderte zwischen 1918 und 1920 weltweit Millionen Todesopfer.
  • Die Tagebucheintragungen von Getrud Meuten sind eine der wenigen Quellen, die sich über die Spanischen Grippe erhalten haben.
  • Man kann Vergleiche zu der Corona-Pandemie ziehen.

Rhein-Berg – „Seit einiger Zeit herrscht überall eine ansteckende Krankheit, spanische Grippe genannt“, schreibt das Dienstmädchen Gertrud Meuten aus Bergisch Gladbach im Oktober 1918 in ihr Tagebuch. Seit einiger Zeit greife die schreckliche Krankheit so stark um sich, dass „die Schulen, alle Theater und alle sonstigen Veranstaltungen geschlossen werden mussten.“

Die Aufzeichnungen der damals 29-Jährigen aus Hebborn, deren Elternhaus an der Odenthaler Straße 80 (später 168) stand, werden heute im Stadtarchiv Bergisch Gladbach aufbewahrt. Die Eintragungen in feinsäuberlicher Deutscher Schrift sind eine der wenigen Quellen, die sich über den Ausbruch der Spanischen Grippe in Stadt und Umland erhalten haben. Denn die Epidemie, die zwischen 1918 und 1920 weltweit Millionen Todesopfer forderte (siehe Kasten) und bei der sich Vergleiche zur aktuellen Corona-Pandemie aufdrängen, grassierte auch im Bergischen.

Die Spanische Grippe

Die Spanische Grippe war eine der bislang schlimmsten Grippe-Epidemien der Geschichte. Nach Schätzungen tötete sie weltweit vom Frühjahr 1918 bis 1920 in mehreren Erkrankungswellen zwischen 25 und 50 Millionen Menschen; bei einer Weltbevölkerung von 1,8 Milliarden. Etwa 500 Millionen Menschen sollen infiziert gewesen sein. Im Deutschen Reich fielen rund 426 000 Menschen der Grippe zum Opfer. Sie traf auf eine durch Hunger und Krieg geschwächte Bevölkerung. Die meisten Erkrankten starben an akutem Lungenversagen, auffallend oft gerade junge Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Weil die Haut der Toten häufig eine dunkelblaue Färbung aufwies – Zeichen der Unterversorgung mit Sauerstoff – fühlten sich viele Menschen damals an die Pest erinnert.

Zeitgenössische Ärzte hielten zunächst ein „Grippe-Bakterium“ für die Ursache der Krankheit. Der wahre Auslöser, das Influenzavirus, sollte erst 1933 entdeckt werden. Ihren Namen trägt die Grippe zu Unrecht. Sie nahm ihren Ausgang vermutlich in den USA, wurde aber in spanischen Zeitungen erstmals beschrieben. Heute gilt die Spanische Grippe als Prototyp von Pandemien. (spe)

Am 21. Oktober 1918, wenige Tage bevor auch im fernen Berlin Bildungseinrichtungen geschlossen werden, sieht sich der Bürgermeister der Stadt Bergisch Gladbach genötigt, alle Volks- und Höheren Schulen zu schließen. 25 bis 30 Prozent aller Schulkinder, so meldet er dem Kreisschulinspektor in Köln-Mülheim, seien an Grippe erkrankt.

Um eine „weitere Verbreitung der Seuche vorzubeugen“, werde der Schulbetrieb auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Zur Verhütung weiterer Ansteckung wird den Schülern empfohlen, „täglich einigemale mit durch Wasser stark verdünnter essigsaurer Tonerde zu gurgeln und häufiger als sonst die Hände zu waschen.“

Rezepte von Ärzten waren eher hilflos als sinnvoll

Wie schützt man sich vor einem unsichtbaren Feind, von dem man keine genaue Vorstellung hat, der aber tückisch ist? „Die Krankheitserreger werden durch Leichtkranke überall verbreitet. Die Übertragung von den Kranken auf die Gesunden geht meistens schon zu einer Zeit vor sich, ehe noch die Kranken selbst sich ihres Leidens überhaupt bewußt sind“, warnt die Bensberger Volkszeitung am 18. Oktober 1918 die Bürger und rät auch damals schon zu vorsorglicher Quarantäne: „Besonders wichtig ist es, daß Personen, die sich nicht ganz wohl fühlen und daher möglicherweise im Anfang der Grippe stehen, dieses Unwohlsein nicht gering schätzen, sondern sich schonen und einige Tage zu Hause oder im Bett bleiben.“

Rezepte, eher hilflos als sinnvoll, oft kurios, gedeihen auf dem Nährboden der Angst: Etwa das Mittel der Wahl eines thüringischen Landarztes, das die Bensberger Volkszeitung am 25. Oktober 1918 für Overath verbreitet. Danach soll eine Messerspitze Schwefelpulver, eingestreut in Schuh oder Stiefel, die Abwehr gegen die Grippe stärken: „Es entwickelt sich dadurch eine schützende Atmosphäre, in welcher die Ansteckung weniger haften bleibt“, so der alte Mediziner, von dem nicht überliefert ist, ob er sein eigenes Rezept überlebt hat. Denkbar ist es, denn die „unheimelige Krankheit“ von der das Dienstmädchen Gertrud schreibt, trifft vor allem junge Menschen.

Zahl der Opfer unklar

„Die Krankheit tritt auf, so ähnlich wie Influenza und geht dann meistens in Lungenentzündung über“, schildert Gertrud Meuten verunsichert. Ganze Familien seien erkrankt, die Krankenhäuser überfüllt. „Auch hier in der Nachbarschaft liegen viele daran krank, teils schwer, teils leichter. (…) Hoffentlich kommt die Seuche bald zum Stillstand.“

Am 2. November 1918 verschiebt der Bürgermeister die Öffnung der Schulen um eine weitere Woche. Zu groß ist die Sorge vor einem „Aufflackern der Epidemie“. Aus aller Welt werden nun Opfer der Spanischen Grippe gemeldet. Inzwischen ist auch Gertrud Meuten erkrankt. Ihre Tagebuchaufzeichnungen setzen aus.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie hoch die Zahl der Opfer in der Region war, ist unklar. Gertrud Meuten jedenfalls überlebt die Spanische Grippe, die in den Folgejahren mehrfach wieder aufflammt. Nach kurzer Arbeitsunfähigkeit kann sie ihren Dienst und ihre Tagebuchaufzeichnungen wieder aufnehmen und schreibt: „Gott sei Dank ist die böse Krankheit etwas zum Stillstand gekommen.“ Das Dienstmädchen von 1918 starb 1983 hochbetagt im Alter von 93 Jahren.

KStA abonnieren