„Überhaupt kein Papier mehr“Bensberger Amtsgericht wird digitalisiert

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Sie führt das altehrwürdige Bensberger Amtsgericht ins Digital-Zeitalter: Johanna Saul-Krickeberg an ihrem Arbeitsplatz.

Sie führt das altehrwürdige Bensberger Amtsgericht ins Digital-Zeitalter: Johanna Saul-Krickeberg an ihrem Arbeitsplatz.

Bensberg – Das Bensberger Amtsgericht packt Sack und Pack und wandert aus: nach Münster in Westfalen. Allerdings zieht nicht das komplette Gericht um: Richterinnen, Rechtspflegerinnen, Geschäftsstellen-Mitarbeiterinnen und Wachtmeisterinnen arbeiten auch künftig im Gerichtsgebäude am Bensberger Schlosses, und ihre männlichen Kollegen übrigens auch. Was aber umzieht, sind die Akten.

Deutschland, deine Digitalisierung: Oft beschworen und als viel zu schleppend bemängelt, erreicht die große technische Umwälzung auch das Bensberger Amtsgericht. Zunächst das Zivilgericht erhält die elektronische Akte, und zur Vorbereitung gibt es ab dem 4. November die große Daten-Migration auf einen Zentralrechner der Justiz in Münster. Bis 8. November läuft dann in Bensberg außer einem Notdienst nichts mehr; andere Abteilungen werden folgen.

„Es ist für alle eine große Umstellung“

„Es gibt dann überhaupt kein Papier mehr“, sagt Amtsgerichtsdirektorin Johanna Saul-Krickeberg im Gespräch mit dieser Zeitung. „Ab 20. Dezember wird jeder Richter und jeder Mitarbeiter auf den Geschäftsstellen nur noch elektronisch arbeiten können.“ Ausgenommen sind die bereits angefangenen Verfahren: Die werden auf Papier zu Ende gebracht.

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Innovationsschub

Corona hat die Arbeit auch am Gericht verändert. Den Richtern ist freigestellt, ob sie ihren Dienst im Büro versehen oder von Zuhause aus. Ziel von Amtsgerichtsdirektorin Johanna Saul-Krickeberg ist es, die Möglichkeit zum Homeoffice auch auf die Servicekräfte auszuweiten, und zwar auch nach dem Ende der Corona-Ausnahmesituation. „Der eine oder andere wird dann vielleicht bei der Arbeitszeit aufstocken, weil er ja Fahrzeit spart. Das würde uns sehr helfen.“ Komplett zuhause gearbeitet werden solle aber nicht: „Vielleicht zwei Tage hier, drei Tage dort. Das muss alles noch erarbeitet werden.“

Eine andere coranabedingte Veränderung will sie beibehalten, nämlich dass die Leute nicht einfach so ins Haus kommen, sondern dass Termine vereinbart werden: „Da haben sich jetzt alle dran gewöhnt, und es hat sich bewährt.“

Der nächste Schritt in diesem Zusammenhang werde sein, dass diese Termine elektronisch vergeben werden, wie das auch schon in dem einen oder anderen Rathaus der Fall ist: „Das ist bürgerfreundlich und erspart unseren Mitarbeitern viel Telefoniererei.“ (sb)

„Na und?“ wird womöglich manch Jüngerer aus der Generation Twitter jetzt fragen, doch Saul-Krickeberg sieht das durchaus nicht so lapidar. Zum einen ist sie selbst dem Jugendalter entwachsen, zum anderen muss sie auch ihre Mitarbeitenden und Kollegen „mitnehmen“. Sie spricht von einer „großen Umwälzung“ für die 140 Beschäftigten. „Es ist für alle eine große Umstellung.“

Gegenwärtig geht es bei den Richterinnen und Richter noch ein bisschen zu wie beim Königlich-Bayerischen Amtsgericht, um mal eine TV-Serie aus der guten alten Schwarz-Weiß-Zeit zu nennen. Die Richterin: „Wir nehmen eine Akte vom Aktenbock, schlagen sie auf, gucken, ob ein Schriftsatz drin ist und ob etwas terminiert werden muss.“ Dann wird der Ablauf kurz modern: Eine Fachanwendung am PC kommt ins Spiel, in der zum Beispiel terminiert wird. Doch dann wird wieder eine Papierverfügung ausgedruckt, unterschrieben und in die Akte gelegt. Künftig passiert das alles am Bildschirm.

Alle sind gespannt auf die neue Arbeitsweise

Auch das Lesen der anwaltlichen Schriftsätze passiert künftig nicht mehr auf Papier, sondern digital am Bildschirm. „Deswegen sind wir Richter sehr neugierig. Unsere Arbeitsweise wird sich komplett ändern, wir sitzen dann den ganzen Tag am PC.“ Damit nicht genug: „Heute nehme ich mal öfter die Akten unter den Arm, wenn sie eilig sind, gehe damit herunter zu meiner Geschäftsstelle und sage mal »Guten Tag«. Das entfällt alles. Man wird sehen müssen, dass man trotzdem in Bewegung und im Haus unterwegs bleibt.“

Das Problem mit der digitalen Welt stellt sich nicht allein den aktuell 23 Richterinnen und Richtern im Bensberger Gericht, sondern allen Mitarbeitern. Auch den Wachtmeistern: Sie betreiben künftig die neue „Scan-Straße“, auf der Schriftstücke, die noch in Papierform bei Gericht eingehen, digitalisiert und weitergeleitet werden. Denn zwar sind auch die Anwälte dazu verdonnert, sich künftig digital ans Gericht zu wenden, doch anwaltlich nicht vertretene Privatleute müssen das nicht tun, sondern können Briefe schreiben. Gleichwohl zeigt sich die Behördenchefin optimistisch: „Wenn wir alle gut geschult und routiniert sind, wird das nicht so dramatisch.“ Viele jüngere Kollegen hätten ohnehin ein entspannteres Verhältnis zur neuen Technik als die Angehörigen der am Ende der Berufslaufbahn stehenden Babyboomer-Generation – die unter den Richtern inzwischen weniger als ein Drittel ausmachen.

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Am Zivilgericht, das jetzt als Erstes umgestellt wird, sind ohnehin nur jüngere Richterinnen und Richter tätig. Andere Bereiche, etwa das Familiengericht oder Zwangsvollstreckungsabteilung, kommen erst später dran, die letzten sind nach derzeitigem Stand 2024 die Strafrichter.

Möglicherweise schon bald folgen wird dagegen als Bergisch Gladbacher Pilotprojekt die hiesige Ordnungswidrigkeitenabteilung. Johanna Saul-Krickeberg: „Das machen wir aber nur, wenn auch die Kölner Staatsanwaltschaft umgestellt wird.“ Sonst gäbe es ein riesiges Hin und Her von analoger und digitaler Bearbeitung. „Das wäre Wahnsinn.“

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