Die Hand ans Kinn legenSo funktioniert ein Online-Kurs für Gebärdensprache

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Unsere Autorin Larissa Niesen beim Online-Kurs zur Gebärdensprache.

Unsere Autorin Larissa Niesen beim Online-Kurs zur Gebärdensprache.

Bergisch Gladbach – Klatschen auf Gebärdensprache macht Spaß, da wedelt man so mit den Händen in der Luft. Das ist so ziemlich alles, was ich über Gebärdensprache weiß.

Deshalb freue ich mich umso mehr auf den Kurs, den ich besuchen werde: Vier Stunden Gebärdensprache, organisiert von der Stadtbücherei Bensberg. Helga Hopfenzitz leitet den Kurs, vier Termine wird es geben. Sie ist von Geburt an gehörlos und somit „Muttersprachlerin“. Als Kind musste sie in der Schule lernen, von den Lippen ihrer Lehrer abzulesen, weil niemand ihre Sprache konnte.

Gesten und nonmanuelle Komponenten in Gebärdensprache

Etwa 80.000 Gehörlose gibt es in Deutschland, 138 Gebärden-sprachen werden weltweit gesprochen. Denn genau wie eine Lautsprache gibt es nationale Unterschiede und, wie ich jetzt lerne, auch noch Dialekte. „Montag“ im deutschen Westen: Daumen hoch, an der Wange entlang. „Montag“ in Hamburg: Daumen in die andere Hand. Auch das noch.

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In der Gebärdensprache gibt es manuelle Komponenten, also die Handzeichen, und nonmanuelle, wie die Mimik oder die Blickrichtung. Deshalb sieht es für mich manchmal fast so aus, als würden Gebärdensprachlehrer laut mitsprechen, wenn sie sich unterhalten.

Der Onlinekurs wird zur Fundgrube von Stolperfallen

Erst einmal bekommen wir Kursteilnehmenden noch Unterstützung von Dolmetscherin Monika Krumpen, und ich merke sehr schnell, dass ich mir das alles viel zu einfach vorgestellt habe. Denn, Trommelwirbel – Gebärdensprache ist eine Sprache. Haben Sie schon einmal in vier Stunden Arabisch gelernt? Mit einer ordentlichen Portion schlechten Gewissens muss ich mir eingestehen, dass ich das so noch nie gesehen habe. Als Verständigungsmöglichkeit, klar – aber als Konstrukt mit Grammatik, nationalen Unterschieden und Dialekten – nein.

Sowieso bin ich auf eine beschämte Art fasziniert, über wie viele Dinge, die ich mir vor diesen heutigen vier Stunden noch nie Gedanken gemacht habe. Auf einmal kommt mir der Onlinekurs wie eine Fundgrube von Stolperfallen vor. Natürlich bekommt ein Teilnehmer die Kamera nicht an, wie immer in einem Zoom-Meeting.

Ganz andere Anforderungen an Zoom-Kommunikation

Hier aber ist das fatal; die Kursleiterin kann ihn somit nicht verstehen, weil sie ihn nicht sehen kann. Und auch das Gesprächsportal muss man erst anpassen: Normalerweise wird bei Zoom diejenige groß sichtbar, die spricht. Das Programm merkt also nicht, wenn Frau Hopfenzitz mit uns kommuniziert – sie muss manuell als festes Bild eingestellt werden.

Frau Hopfenzitz fordert uns erst einmal auf, uns anständig hinzusetzen. Wieso, ich sitze doch gerade? Oh klar, man sieht meine Hände gar nicht. Sonst bin ich bei Zoom-Treffen höchstens bis zur Brust zu sehen. Wenn ich da an einige Kandidatinnen aus der Uni-Zeit zurückdenke, bei denen man durch die ungeschickte Kameraperspektive zwar von unten in die Nase gucken, aber keine Hände sehen konnte…

Gesten lernen auch ohne Dolmetscherin

Oh Gott, die Dolmetscherin hat sich verabschiedet. Die Stille in meinem Zimmer ist plötzlich unglaublich laut. Unsichere Blicke auf den meisten Gesichtern. „Unser Lautsprecher scheint nicht mehr zu funktionieren“, schreibt jemand verwirrt über den Chat. Ich traue mich kaum, den Blick vom Bildschirm zu nehmen. Einmal zum Kaffeebecher gegriffen, und schon hat man was verpasst!

Aber Frau Hopfenzitz lässt sich von all dem nicht aus der Ruhe bringen. Geduldig fängt sie einfach an, uns verschiedene Gebärden beizubringen. Essen. Trinken. Ich fühle mich etwas unwohl, es ist im Grunde wie Theater spielen, erst muss man über die Hemmschwelle.

Hand ans Kinn und dann zum Gegenüber

Es dauert zugegebenermaßen ein wenig, bis das Ganze flüssig läuft. Als wir zum ersten Mal etwas abrupt in Einzelgruppen geschickt werden, starre ich noch zwei nicht minder verwirrte Teilnehmerinnen an, die auch nicht wissen, was wir jetzt zu tun haben. Aber alle sind fair genug, den Ton auszulassen, und so wiederholen wir einfach, was wir schon können: Ich wohne in einem Haus, oben. Ich gehe gern schwimmen. Ich trinke gern Rotwein.

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Und nach und nach läuft es richtig gut. Ohne dass Frau Hopfenzitz uns erklärt hätte, wie ihr Konzept eigentlich aussieht, lernen wir Stückchen für Stückchen immer mehr.

Gut, ich kann jetzt nach den ersten vier Stunden vielleicht noch nicht so wahnsinnig viel über mich erklären, außer, dass ich gern Rotwein trinke (naja, auch nicht unwichtig). Aber ich habe eine viel bessere Vorstellung davon, wie die deutsche Gebärdensprache eigentlich aufgebaut ist.

Also bleibt mir nur: Hand ans Kinn und dann zum Gegenüber. (Danke).

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