Beispiel der AltersarmutRundfunkgebühren bringen Rentner in Existenznot

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Altersarmut bedroht immer mehr Menschen – und manchmal geht der soziale Absturz ganz schnell.

Altersarmut bedroht immer mehr Menschen – und manchmal geht der soziale Absturz ganz schnell.

  • Manfred Müller hat ein Leben lang gearbeitet, doch die Rente reicht hinten und vorne nicht.
  • Um Sozialleistungen zu beziehen, ist er zu „reich“.
  • Jetzt sollen bei ihm Rundfunkbeiträge gepfändet werden, obwohl er kein Geld mehr hat.

Bergisch Gladbach – „Ich kann nicht schlafen wegen der Sache. Das ist wie der schlimmste Albtraum“, sagt Manfred Müller (Name geändert), der unerkannt bleiben möchte. Er lebe in einer ständigen Angst, weil er nicht wisse, wie es weitergehe.

Zunächst habe er die Mahnungen ignoriert, vermutete einen Fehler. Denn im Jahr 2007 war er von dem Beitrag (ehemals GEZ-Gebühren) befreit worden. Auf das Jahr gerechnet, beträgt der Rundfunkbeitrag etwa 216 Euro, die dem Mann zum Leben fehlen. Erneute Anträge auf Befreiung von der monatlichen Rundfunkbeitragspflicht in Höhe von 17,50 Euro wurden abgelehnt. Die Begründung: „Die Voraussetzungen für eine Befreiung sind nicht erfüllt, da nach unseren Informationen kein Anspruch auf Sozialleistungen besteht“, erläutert Christian Greuel, Mitarbeiter der Presseabteilung des Beitragsservices von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Vereinbarte Ratenzahlungen hat Müller nach eigenen Angaben nicht einhalten können, sie seien für ihn nicht zu stemmen gewesen.

Berechnung pro Wohnung

Der Rundfunkbeitrag in Höhe von 17,50 Euro wird seit 2013 nicht mehr auf Basis der genutzten Geräte berechnet, sondern pro bewohnter Wohnung. Sozial Schwache sind von der Beitragspflicht ausgenommen, teilt ein Sprecher des Beitragsservice ARD, ZDF, Deutschlandradio mit. Dazu gehörten zum Beispiel Studenten mit Bafög-Förderung, Asylbewerber, Auszubildende mit Beihilfeanspruch oder Sozialhilfeempfänger. Übergangsleistungen wie Arbeitslosengeld I oder Zuschüsse wie Wohngeld sowie ein geringes Einkommen allein seien keine Voraussetzungen für eine Befreiung. Eine Auflistung aller Sozialleistungen, die eine Befreiung ermöglichen, finden sich sich auf der Website des Beitragsservices.

In Bergisch Gladbach gab es im Juni 2019 laut Sozialamt 883 Fälle von Grundsicherung, die wegen Alter gewährt worden sei. Insgesamt gibt es in der Stadt 1397 Fälle von Grundsicherung. Generell erhält derjenige Grundsicherung, bei dem das eigene Einkommen nicht ausreicht, um den eigenen Lebensunterhalt sicherzustellen. Die Grundsicherung setzt sich zusammen aus der Regelleistung, die für eine Einzelperson 424 Euro beträgt, zuzüglich der Mietkosten.

www.rundfunkbeitrag.de

Die GEZ reagiert nach mehreren Zahlungsaufforderungen mit einem Vollstreckungsverfahren, um die seit 2017 ausstehenden Gebühren in Höhe von 480 Euro einzutreiben. Müller musste Anfang Juli beim Gerichtsvollzieher eine Vermögensauskunft abgeben. Was nun folgen wird, ist die Pfändung von einem Teil der Rente oder von Wertgegenständen. Die Entscheidung steht noch aus. „Mir ist die Würde genommen worden“, sagt der 78-Jährige nach dem Termin beim Amtsgericht und fragt sich, ob das gerecht sei. „Ein Leben lang gearbeitet, für nichts und wieder nichts.“

Bereits am Monatsanfang wird es knapp

Mit 860 Euro liegt Müllers Rente noch unter der vom Statistischen Bundesamt berechneten Armutsgefährdungsschwelle von 968 Euro für eine Einzelperson in Nordrhein-Westfalen. „Viele glauben, dass man mit 860 Euro doch auskommen sollte“, sagt Müller. Davon gingen aber 250 Euro Miete, 84 Euro Gas, 55 Euro Strom weg. Dazu kämen noch Wasser, Telefon, Versicherungen, Fahrkarte, zählt er auf: „Fast die gesamte Rente ist schon am Monatsanfang weg.“ Ein weiterer Faktor ist seine Gesundheit: Müller hat Diabetes. Von der Zuzahlung zu Medikamenten sei er aber erst ab einer Summe von 110 Euro befreit.

Es war nicht immer so, dass Müller jeden Cent umdrehen musste. Vier Jahre lang war er Zeitsoldat bei der Bundeswehr. Als Meister im Handwerk Elektrotechnik arbeitete der Gladbacher bei Firmen in Köln, wagte dann den Schritt in die Selbstständigkeit, was erst lief, dann aber nicht mehr. Er musste seine Lebensversicherung opfern, um Forderungen des Finanzamtes zu begleichen. Seit der Scheidung 1984 zahlte er Unterhalt an seine Frau und seine beiden Kinder. „Vielleicht hätte ich doch bei der Bundeswehr bleiben sollen“, aber es sei wohl müßig, jetzt darüber nachzudenken, findet Müller.

Das Sozialamt kann ihm auch nicht helfen. Müllers Rente ist zu hoch, um sie durch Grundsicherung (Sozialleistung) aufzustocken. Der Hartz IV-Satz ist auf 424 Euro plus Miete bemessen. Müllers Einkommen verbleibt laut städtischem Sozialamt oberhalb der Schwelle, ab der eine ergänzende Leistung möglich wäre. „Manche Dinge im Leben, die man sich leisten möchte, können leider nicht berücksichtigt werden“, bedauert Stadtsprecher Martin Rölen. Hierzu zählten beispielsweise Unfallversicherungen oder Raten für Schulden.

Armut und Scham gehen Hand in Hand

„Nach Terminen im Sozialamt fühle ich mich immer minderwertig, wie Abschaum“, meint Müller. Wie Rölen sagt, hätten die Mitarbeiter Verständnis für seine Empfindungen.  Um seine karge Rente aufzubessern, trug Müller viele Jahre lang Zeitungen aus. „Bis ich vor einem Jahr einen unverschuldeten Autounfall hatte“, erzählt der 78-Jährige. Folge des Unfalls: Seine Wirbelsäule wurde verletzt und muss nun operiert werden. Den Minijob musste er aufgeben.

Müller vermisst sein altes Leben. Besonders gern denkt er an die Zeit zurück, als er in der ersten Mannschaft bei Bergisch Gladbach 09 Fußball gespielt hat. Heute gehe er nicht mehr ins Stadion, um seinen Verein anzufeuern: „Ich schäme mich zu sehr für meine Armut.“ Seine größte Angst sei es, seinen beiden Kindern zur Last zu fallen. Deshalb sammelt der Gladbacher jetzt an Wochenenden Flaschen und Dosen. Ab und zu leistet er sich von dem Pfandgeld einen Lottoschein: „In der Hoffnung, alle Geldsorgen loszuwerden.“ (ub)

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