Endstation PsychiatrieWas man tun kann, wenn Demenzkranke auffällig werden

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In den meisten Pflegeheimen gibt es keine Sicherungen, die das Weglaufen von Demenz-Patienten verhindern.

In den meisten Pflegeheimen gibt es keine Sicherungen, die das Weglaufen von Demenz-Patienten verhindern.

  • Was kann man tun, wenn demenzkranke Familienmitglieder verhaltensauffälig werden?
  • Viele Pflegeheime lehnen die Demenzkranken dann ab und im äußersten Fall bleibt nur die Psychiatrie als Endstation.
  • Eine Bergisch Gladbacher Familie berichtet in der neuen Episode unserer Serie „Schwerpunkt“.

Bergisch Gladbach – Immer mehr Menschen leiden an Demenz. Für viele Betroffene bleibt nur noch eine Möglichkeit für den Lebensabend: das Pflegeheim. Doch mit Plätzen für schwer Demenzkranke sieht es schlecht aus in der Stadt. „Wir sind mit den Nerven absolut am Ende. Wir finden keinen Platz für meinen Vater im Seniorenheim“, sagt Sabine Meyer. Zusammen mit ihrer Tochter Anja (Namen geändert) hat sie über 100 Einrichtungen in der weiteren Umgebung angesprochen: nur Absagen.

Das Problem

Aufgrund der Schwere seiner Demenzerkrankung müsste der 79 Jahre alte Mann auf einer „beschützenden Station“ untergebracht werden. Dort wird hinter dem Wohnbereich des Demenzkranken die Tür zugesperrt. Sein bisheriges Einzelzimmer im Pflegeheim musste Meyers Vater Ende September räumen: „Ihm wurde der Platz gekündigt“, berichtet die 57-jährige Tochter.

Die Serie

In unserer Serie „Schwerpunkt“ greifen wir komplexe Themen unter verschiedenen Aspekten auf. Beim Schwerpunkt „Demenz“ geht es um Menschen, die als Problemfälle innerhalb des Betreuungssystems gelten. Nächste Folge: Wie ist die Rechtslage, und gibt es Alternativen in der Betreuung? (eck)

Die Begründung: Er soll nachts Bewohnerinnen in ihren Zimmern sexuell belästigt haben, erzählt Sabine Meyer. Aus Gründen der Verschwiegenheit will die Einrichtung zu dem Fall keine Stellungnahme abgeben. Rechtsanwalt Peter Karmann, der das Pflegeheim vertritt, sagt nur so viel: „Das Heim hat es sich mit der Kündigung nicht leicht gemacht. Es handelt sich um einen schwerwiegenden Einzelfall.“

„Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll“, sorgt sich Enkeltochter Anja. Einen desorientierten Menschen wie ihren Opa wolle sich keiner ins Haus holen. Er lebe inzwischen in einer anderen Welt, Erinnerungen seien ausgelöscht, selbst die eigene Tochter und Enkeltochter seien zu Fremden geworden.

„Ein störender Fremdkörper“

„Im Seniorenheim war er ein störender Fremdkörper“, schildert Anja Meyer, wie sie die Situation erlebt hat. Nachts sei immer nur eine Pflegekraft zuständig gewesen, auf die Bewohner der ganzen Station aufzupassen. „Da hat mein Opa mit seiner großen Unruhe einfach nicht ins System gepasst“, vermutet die 30 Jahre alte Enkeltochter. Den Platz einfach zu kündigen, sei aber doch wohl keine Lösung: „Mit der Vorgeschichte nimmt meinen Opa jetzt keiner mehr.“ Heimplätze sind in der Region zu einer Rarität geworden. Aufgrund der demografischen Entwicklung, aber auch, weil die Landesregierung die Standards heraufgesetzt hat: Senioren sollen möglichst in Einbettzimmern untergebracht werden. Vor allem kleinere Einrichtungen konnten sich teure Umbauten nicht leisten und haben zugemacht, das verschärft den Engpass.

Jetzt ist Patient Meyer seit zwei Wochen in der Klinik für Psychiatrie des Evangelischen Krankenhauses in Bergisch Gladbach auf der gerontopsychiatrischen Station untergebracht. Keine Dauerlösung. Eigentlich. „Wir setzen keinen Patienten auf die Straße. Aber es kommt teils zu extrem langen Verweildauern auf unserer Station, wo ein dauerhafter Aufenthalt nicht vorgesehen ist“, sagt Chefärztin Veronika Friedel. Die Folgen: Die Klinik bleibe oft auf den Kosten sitzen.

Die Station mit 20 Betten sei völlig überlaufen, so dass Patienten auf andere Stationen verlegt werden müssten. „Zurzeit haben wir drei Patienten, die wir nicht in ein Pflegeheim vermittelt bekommen.“ Friedel erinnert sich an eine demenzkranke Frau, die anderthalb Jahre blieb, weil keine Einrichtung sie nehmen wollte. Am Ende starb die Frau auf der Station.

Direkte Betreuung benötigt

Eigentlich benötigten schwer Demenzkranke eine Eins-zu-eins Betreuung, meint die Fachärztin für Psychiatrie. Sie nennt einige schwere Verhaltensauffälligkeiten, die mit dieser Krankheit einhergehen: grundloses permanentes Schreien und Rufen, Weglaufen, ständiges Umherlaufen und Das Eindringen in fremde Zimmer, aggressive Handlungen wie Schlagen und Treten und auch sexuelle Übergriffe.

Zahl der Demenzerkrankten nimmt zu

Im Rheinisch-Bergischen Kreis gibt es laut WTG-Behörde Rheinisch-Bergischer Kreis (ehemals Heimaufsicht) eine einzige Pflegeeinrichtung mit einem geschlossenen Bereich mit bis zu 16 Plätzen. Dazu kommt eine Einrichtung mit acht Eingliederungsplätzen für Menschen mit Behinderung, ebenfalls auf geschlossener Station. Eine weitere Einrichtung verfügt über einen Wohnbereich, der mit einem Sicherungssystem ausgestattet ist. Die Bewohner tragen ein Armband, verlassen sie die Station oder das Haus, ertönt ein akustisches Warnsignal. Grundsätzlich dürfen Bewohner nur, wenn ein richterlicher Beschluss vorliegt, auf einer geschlossenen Station untergebracht werden. Ob die vorhandene Anzahl der Plätze auf geschlossenen Stationen im Kreisgebiet ausreicht, vermöge die WTG-Behörde nicht zu beurteilen. Die Behörde erfasse lediglich den Bestand. Die Anzahl der Menschen in Deutschland, die an Demenz erkranken, nimmt kontinuierlich zu. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft schätzt deren Anzahl gegenwärtig auf 1,5 Millionen, bis 2050 werden es etwa drei Millionen sein. Nach Angaben des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte leiden mehr als 60 Prozent der Bewohner von Pflegeeinrichtungen an Demenzerkrankungen. (ub)

„Letzteres betrifft fast ausschließlich Männer“, weiß Friedel aus Erfahrung. Sie macht einen Vorschlag, wie Pflegeheime in diesen Fällen Abhilfe schaffen könnten: „Eine reine Männerstation würde helfen. Aber ich habe noch nie gehört, dass es so eine getrennte Abteilung irgendwo gibt.“ Friedel findet, dass sich einige Einrichtungen mehr Mühe bei der Betreuung von Dementen geben könnten, statt Kündigungen auszusprechen. Zum Beispiel könnten Klingelmatten vor den Betten platziert werden, die vor allem nachts diensthabende Schwestern darauf aufmerksam machen, dass ein Bewohner sich auf den Weg macht.

Friedel beklagt allgemein eine Zeit, „in der das soziale Klima immer kälter wird“. Die Unprivilegierten seien am Ende die Verlierer. Dabei denkt sie vor allem an die vielen alten Menschen, die gar keine Angehörigen mehr haben, die sie unterstützen.

Dass sie doch noch einen Heimplatz in Bergisch Gladbach oder in der Nähe finden werden, diese Hoffnung haben Mutter und Tochter Meyer inzwischen aufgegeben. „Mir hat man schon geraten, in Mecklenburg-Vorpommern zu suchen. Da seien die Kapazitäten noch größer“, erzählt Sabine Meyer. Allein der Gedanke daran, den Vater weit entfernt zu wissen, mache sie krank: „Ich kann nachts schon nicht mehr schlafen.“ Sie und ihre Tochter könnten ihn nicht mehr regelmäßig besuchen: Ihr Vater sei dann ganz auf sich alleine gestellt.

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