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Jugendamt schlägt AlarmIn Bergisch Gladbach fehlen Pflegefamilien

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Das Team des Gladbacher Pflegekinderdienstes sucht dringend Familien. 

Bergisch Gladbach – In der Stadt gibt es zu wenig Menschen, die Kinder in Not bei sich aufnehmen wollen. Etwas mehr als 60 Pflegefamilien stehen aktuell zur Verfügung – viel zu wenige. Das Team des Pflegekinderdienstes berichtet, wie wichtig diese Hilfe ist.

„Freude am Zusammenleben mit Kindern – das ist das Wichtigste an dieser Aufgabe“, sagt Theresa Esch, Leiterin der Abteilung Besondere Soziale Dienste. Derzeit leben 80 Jungen und Mädchen in 60 Pflegefamilien, vermittelt werden hauptsächlich Kleinkinder im Alter zwischen ein und vier Jahren. Aber das reicht nicht. „Es kommt häufig vor, dass wir für Kinder, die nicht mehr in ihren Herkunftsfamilien leben können, keine geeigneten Pflegefamilien vorhalten können“, berichtet Theresa Esch.

Entscheidet das Jugendamt, dass ein Kind kurz- oder langfristig in seinem eigenen Zuhause nicht gut aufgehoben ist, spricht man im Amtsdeutsch von einer „Inobhutnahme“. Diese Kinder brauchen einen neuen Ort, um aufzuwachsen. Sie wechseln in Heime oder Wohngruppen, am besten aber in eine Pflegefamilie. „Die familiäre Unterbringung ist in den allermeisten Fällen die beste Lösung. Sie bietet einen deutlich besser geschützten Rahmen“, erklärt Theresa Esch.

Fast alle Kinder haben eine traurige Vorgeschichte

Bevor Eltern ihre Kinder weggeben oder das Jugendamt einschreitet, muss viel passiert sein. Kinder, die in eine Pflegefamilie vermittelt werden, benötigen besonders intensive Aufmerksamkeit und Betreuung. Jeder kommt mit einem schweren Rucksack und einer traurigen Vorgeschichte: In ihren Familien gibt es psychische Erkrankungen, Suchtmittelabhängigkeit, Obdachlosigkeit, Gewalt, Vernachlässigung oder auch Missbrauch. „Fast alle Kinder sind traumatisiert“, sagt Theresa Esch.

Pflegeeltern

Zwei Infoveranstaltungen

Der Pflegekinderdienst der Stadt Bergisch Gladbach informiert bei zwei Veranstaltungen darüber, wie man Pflegefamilie wird: am Donnnerstag, 27. Oktober, 19 Uhr, und am Samstag, 19. November, 10 Uhr, jeweils im Spiegelsaal im Bürgerhaus Bergischer Löwe.

Wer sich entscheidet, einem fremden Kind ein Zuhause auf Zeit zu geben, bekommt finanzielle Unterstützung. Je nach Alter des Kindes liegen die Sätze für das Pflegegeld zwischen 607 Euro und 843 Euro. Davon müssen materielle Aufwendungen wie Kleidung, Unterbringung und Essen gezahlt werden. Die Aufwandsentschädigung für den Erziehungsaufwand beträgt 288 Euro. Bei einem erhöhten Aufwand der Erziehung kann der Satz nach Antragstellung doppelt oder dreifach gezahlt werden. Zudem erhalten die Pflegefamilien Beihilfen zu besonderen Anlässen (unter anderem Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Zuzahlungen bei Einschulung, Klassenfahrten, Führerschein). Zudem gibt es für Pflegeeltern eine Zuzahlung zur Altersvorsorge. Per E-Mail, pkd@stadt-gl.de, gibt es die Möglichkeit der Kontaktaufnahme. (ub)

Für ihre Aufgabe bräuchten Ersatzeltern „große Toleranz, ein Kind mit allem, was es mitbringt, anzunehmen.“ Zudem müsse man bereit sein, den Kontakt zu der Herkunftsfamilie zu pflegen. Dies sei nicht immer einfach, sagt Katrin Schönleber.

Pflegeeltern können Elternzeit nehmen

Und man braucht viel Zeit. Denn viele Kinder sind durch das Erlebte verunsichert und belastet und haben das Vertrauen in Erwachsene verloren. Sie müssen erst lernen, eine Bindung zu ihnen aufzubauen. Eventuell sind Arztbesuche und Therapien nötig. „Zumindest in der ersten Zeit benötigen sie einen intensiven Kontakt, einer muss zuhause bleiben und kann nicht arbeiten“, sagt Oxana Krebs. Pflegeeltern haben aber die Möglichkeit, Elternzeit zu nehmen.

„Für uns sind Pflegefamilien sehr wichtige Dienstleister, die eine sehr wichtige Aufgabe, die wir als Jugendamt haben, für uns übernehmen. Nämlich den Kindern eine Familie zu bieten“, betont Theresa Esch. Die meisten Pflegeeltern würde das aber ganz anders sehen: „Wir hören ganz oft. Das ist kein Job, das ist mein Leben.“

„Dazu gehört aber auch, dass wir die Pflegeeltern unterstützen, wenn es schwierig wird“, betont Christiane Wittschier. Unterstützung erhalten die Pflegeeltern unter anderem durch Schulungen, Gespräche, Supervisionen oder Fortbildungen. In der Regel bleibe das neue Familienmitglied bis zur Volljährigkeit.

Die Pandemie erschwert die Suche nach geeigneten Familien

Das Problem, dass immer weniger Menschen bereit sind, Kinder bei sich aufzunehmen, habe sich in den letzten Jahren verschärft. Einen Grund sieht Theresia Esch darin, dass in den vergangenen Jahren die Zahl von Familien stetig angestiegen sei, die aufgrund von Obdachlosigkeit der Eltern, Drogen- und Alkoholabhängigkeit oder psychischen Erkrankungen nicht in der Lage seien, ihre Kinder groß zu ziehen. Auf der anderen Seite habe es in der Pandemie, die bei vielen Zukunfts- und Existenzsorgen auslöst, weniger Bewerbungen potenzieller Pflegeeltern gegeben.

Oft sind es Menschen, deren Kinderwunsch nicht in Erfüllung ging, die den Wunsch haben, Pflegekinder zu betreuen. Und es gibt die Gruppe, wie Oxana Krebs berichtet, die schon ein bis vier Kinder haben und sagen, am Tisch ist noch für ein weiteres Platz. Eine dritte Gruppe hatte aufgrund ihrer eigenen Biographie schon Berührung mit dem Thema hatte – als Adoptiv-, Pflege- oder Geschwisterkind. Auch unverheiratete oder gleichgeschlechtliche Paare und Alleinstehende, mit einem guten Unterstützer-Netzwerk können Pflegeeltern werden – und Verwandte natürlich.

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Familien aus Bergisch Gladbach, die sich für diesen Schritt entscheiden, durchlaufen ein Bewerbungsverfahren, das mehrere Monate dauern kann. Es umfasst Gespräche mit den Fachkräften des Pflegekinderpflegedienstes sowie Vorbereitungsseminare. Das Jugendamt prüft dazu etwa Gesundheit und Einkommenssituation, auch Fragen der Belastbarkeit und zeitliche Ressourcen werden besprochen.

Für alle Seiten – die Kinder, die Pflegefamilien und die leiblichen Eltern – könne diese Möglichkeit ein großes Glück bedeuten, berichtet das Team des Gladbacher Pflegekinderdienstes.

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