Magersucht und BulimieEssstörungen nehmen bei Frauen in Rhein-Berg stark zu

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Magersucht und Bulimie haben in der Corona-Pandemie rasant zugenommen.

Bergisch Gladbach – Es ist immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft: Essstörungen. Während der Corona-Pandemie hat die Zahl der Betroffenen mit gestörtem Essverhalten rasant zugenommen. Magersucht, Bulimie oder Binge Eating - das sind Fressattacken, die vielfach zu Übergewicht führen – sind Formen der Erkrankungen.

„Die Nachfrage von betroffenen Frauen zum Thema Essstörungen hat sich bei uns in den vergangenen vier Jahren verdoppelt“, erklärt Katja Gissel, Traumafachberaterin und Sozialpädagogin von der allgemeinen Frauenberatungsstelle in Bergisch Gladbach.

„Eine Strategie zum Überleben“

Waren es im Jahr 2019 noch 19 Frauen und Angehörige, die eine Beratung in Anspruch genommen haben, suchten 2020 bereits 25 Klientinnen die Gladbacher Beratungsstelle auf. „Im vergangenen Jahr kamen 38 Frauen, also fast doppelt so viele wie 2019 zu uns“, nennt Katja Gissel konkrete Zahlen zur Entwicklung. Die veränderten Lebensbedingungen in der Corona-Pandemie hätten viele Betroffene als Verstärker für ihre Erkrankung genannt.

„Es ist eine Strategie zum Überleben für die Frauen“, erklärt die Sozialpädagogin den Antrieb der Betroffenen. „In Zeiten, in denen Kontrolle und Selbstbestimmung schwierig sind, Isolation und Rückzug gefordert wurden, scheint die Flucht in eine Essstörung für viele Frauen eine Lösungsstrategie, ein Ausweg zu sein.“ Die Einsamkeit der Menschen könne die negative Entwicklung, hin zu einer Sucht, fördern.

Essattacken trösten in der Einsamkeit

Katja Gissel weist auch auf den Aspekt der fehlenden Kontrolle hin. „Die Betroffenen haben das Gefühl, ihr Leben und die Zukunft nicht kontrollieren zu können. Das kompensieren sie mit extremem Essverhalten“, erläutert die Therapeutin. „Magersucht und Bulimie als letzte Bastion der Selbstbestimmung. Betroffene erleben das als hilfreich. Über ihren Körper bestimmen sie ganz allein.“ Auch das Binge Eating, essen über das Maß hinaus, tröste über Einsamkeit, Ausweglosigkeit und Hilflosigkeit hinweg. Gissel: „So fühlen es die Betroffenen.“

Selbsthilfegruppe

Freie Plätze

Eine Selbsthilfegruppe für Frauen mit gestörtem Essverhalten haben die Sozialpädagogin Katja  Gissel von der Frauenberatungsstelle und die Therapeutin Beatrix Rey vom Evangelischen Krankenhaus (EVK)  2018 gegründet. Seitdem treffen sich immer neue betroffene Frauen in der Gruppe. Gissel: „Das ist ein fließender Prozess. Aktuell haben wir noch freie Plätze für Interessentinnen.“ Eine Selbsthilfegruppe sei allerdings kein Ersatz für eine Therapie, sondern laufe begleitend. (dr)

An Magersucht leiden inzwischen viele Mädchen, die in der Pubertät sind, stellen Experten fest. Auch diese Entwicklung sei eine Folge der Pandemie. Da die Pubertät immer früher einsetze, fehle bei den Jugendlichen die psychische Reife. Eine Zunahme bei den Krankenhausbehandlungen von Jugendlichen wegen Essstörungen um neun Prozent hat die DAK-Gesundheit 2020 ermittelt. In der Gruppe der 15- bis 17-Jährigen sei die Fallzahl sogar um 13 Prozent gestiegen.

Großes Leid für betroffene Mütter

In der allgemeinen Frauenberatungsstelle für den Rheinisch-Bergischen Kreis erlebt die Sozialpädagogin auch hautnah die Sorge von Müttern, deren Töchter oder Söhne unter Essstörungen leiden. „Das ist ein ganz großes Leid. »Mein Kind verhungert in meinen Armen«, schildern es die Mütter“, berichtete Katja Gissel.

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Gestiegen ist in den vergangenen zwei Jahren auch der Wunsch nach Austausch mit anderen Betroffenen. Die Selbsthilfegruppe in der Beratungsstelle habe großen Zulauf. Etwa zwölf Frauen interessierten sich für die Gruppe und kamen zu Vorgesprächen. Gissel: „Dies ist eine Steigerung um das Dreifache der Vorjahre 2018/19.“

Kontakt zur Frauenberatungsstelle von Frauen stärken Frauen in Bergisch Gladbach, Hauptstraße 155, unter (02202) 45112 und im Internet unter frauen-staerken-frauen-bgl.de

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