NS-ZeitCouragierte Helfer aus Überzeugung

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Fritz und Auguste Fuchs machten wenig Aufhebens um ihre mutige Tat, weil diese für sie selbstverständlich war.

Fritz und Auguste Fuchs machten wenig Aufhebens um ihre mutige Tat, weil diese für sie selbstverständlich war.

Bergisch Gladbach – Genauso versteckt, wie das Haus in Kalmünten liegt, blieb auch die Geschichte im Verborgenen, die hier während des Nazi-Regimes 1944 geschah. Acht Monate lang versteckten die Eheleute Fritz und Auguste Fuchs hier eine jüdische Frau. In ihrem Haus entkam Henriette Jordan den Nazi-Gräuel.

Dass das mutige Handeln der Eheleute Fuchs in Bergisch Gladbach weitgehend unbekannt blieb, wundert Enkel Martin Fuchs (64) nicht: Seine Großeltern wollten nicht im Rampenlicht stehen. „Sie handelten entsprechend ihrer tiefen moralischen Überzeugung und machten kein Aufhebens um sich.“ Und so wird jetzt erst, viele Jahre nach dem Krieg, so richtig bekannt, dass in Schildgen-Kalmünten die Jüdin Henriette Jordan untergetaucht war. Was sich hier in den letzten beiden Kriegsjahren ereignete – zu einer Zeit, als die Nazis keinen jüdischen Mitbürger mehr verschonten – klingt wie eine Szene aus einem Kinofilm.

Henriette Jordan flüchtet im Morgengrauen des 17. September aus Wuppertal, um der Deportation in ein Konzentrationslager zu entgehen. Sie schlägt sich nach Schildgen durch: zuerst zu Fuß, später mit der Straßenbahn. Sie weiß, in der Kalmüntener Straße 30 gibt es ein Versteck: im Haus von Fritz Fuchs, dessen Frau Auguste wie sie selbst eine überzeugte Quäkerin ist, eine Pazifistin, die sich für Verfolgte des Nazi-Regimes einsetzt.

Der Mut, dem Hitlerregime zu widerstehen, sei so etwas wie ein Urinstinkt seiner Oma Auguste gewesen: „Wenn Not am Mann war, wurde nicht lange geredet, sondern gehandelt“, erzählt Fuchs.

Diese außergewöhnliche Zivilcourage mitten im Terror wäre unbeachtet geblieben, wenn nicht Henriette Jordans Tochter Hanna gewesen wäre. Ihre Erinnerungen sorgten dafür, dass Fritz und Auguste Fuchs posthum 2010 die höchste Auszeichnung zugesprochen wurde, die Israel an Nicht-Juden vergibt: den Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“ der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Bis 2011 sind auf diese Weise nur 510 Deutsche geehrt worden. Fritz und Auguste Fuchs sind die einzigen, die aus Bergisch Gladbach stammen.

Traf Auguste Fuchs die Entscheidung zu helfen eher spontan und aus dem Alltag heraus, so lagen die Beweggründe ihres Mannes anders: „Seine Überzeugung von einem Zusammenleben in Gleichheit war eng mit seinem Beruf als Jurist verknüpft“, weiß Martin Fuchs. Mit der Politik des Nationalsozialismus sei sein Großvater nicht einverstanden gewesen. Deshalb hätten zu seinen Mandanten auch von den Nazis Verfolgte gehört. „So weit ich weiß, hat mein Großvater nie den Arm zum Hitlergruß gehoben.“ Der Enkel beschreibt Fritz Fuchs als eher klein und korpulent. Er trug einen Spitzbart, hatte einen Kneifer und ging nie ohne Hut vor die Tür. „Er war ein guter Zuhörer, hellwach und für viele Dinge offen.“

Was Martin Fuchs über seine Großeltern erzählen kann, stammt im Wesentlichen aus zwei Quellen: Es sind eigene Erinnerungen – in seinen ersten Lebensjahren wohnten seine Eltern und die drei Söhne erst mit Fritz und Auguste unter einem Dach und später im eigenen Haus auf dem Nachbargrundstück. Das Bild ergänzen Gespräche mit den inzwischen verstorbenen Eltern.

Gerettete und Retter mussten damals in ständiger Angst leben – lauerte doch ständig die Gefahr, aufzufallen und denunziert zu werden. Bei Entdeckung drohten den Helfern mehrmonatige Haftstrafen, sogar die Einlieferung in Konzentrationslager. Und in Schildgen wohnte die Angst nicht weit weg. Zwei argwöhnische NS-Schergen aus der Nachbarschaft statteten Familie Fuchs eines Tages einen unangemeldeten Besuch ab. Sie standen plötzlich in der Küche, wie Martin Fuchs aus Erzählungen seiner Mutter weiß. Ausgerechnet in dem Moment, als das Hausmädchen Essen zu der Untergetauchten bringen wollte. Die Nazi-Kontrolleure zogen zwar unverrichteter Dinge wieder ab, schlichen aber von Stund’ an regelmäßig um das Grundstück herum. Henriettes Jordans Versteck befand sich in einem abgelegenen Raum im verwinkelten, von außen wie eine Burg anmutenden Haus. Um das Zimmer vor neugierigen Blicken abzuschotten, waren eigens Zwischenwände eingezogen worden. Hier, im sogenannten Blauen Salon, überlebte Henriette Jordan in Illegalität – versorgt mit Nahrung und anderen lebenswichtigen Dingen – bis die Alliierten am 13. April 1945 das Rheinland befreiten.

Wer die aufwühlende Geschichte hört, erkennt, was das Ehepaar Fuchs geleistet hat. Die SPD schlägt vor, die beiden in Bergisch Gladbach zu ehren, indem ein Platz oder eine Straße nach ihnen benannt wird. Bürgermeister Lutz Urbach befürwortet dieses Ansinnen. „Wir können stolz darauf sein, dass es Menschen in dieser Stadt gab, die solchen Mut aufbrachten“, sagt er auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Dass die Geschichte der Retter nun im Detail erzählt werden kann, ist dem Zufall zu verdanken. Während einer Reise in die israelische Partnerstadt Ganey Tikva war die Gladbacher Delegation auf die Namen Fritz und Auguste Fuchs gestoßen: auf der „Allee der Gerechten“ der Gedenkstätte Yad Vashem.

„Es ist ein Geschenk, solche Vorbilder zu haben“, sagt Martin Fuchs. Deshalb wünscht sich der Enkel, was seine Großeltern damals am meisten fürchteten: Aufmerksamkeit. Vor dem Hintergrund rechtsextremistischer Entwicklungen in unserer Gesellschaft betont er: „Auch heute brauchen wir Leute, die nicht weggucken.“ Nicht zu vergessen sei das Wichtigste.

Quellen: Yad Vashem-Protokolle; Lebensbilder deutscher Quäker während der NS-Herrschaft 1933 -1945, Eigenverlag 1992.

Weltentwürfe: Die Bühnenbildnerin Hanna Jordan, Anne Linsel, Klartext Verlag, 2006.

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