Personalmangel in GladbachGalgenhumor beim Pflegedienst

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Die ungewöhnliche Anzeige des Pflegedienstes

Die ungewöhnliche Anzeige des Pflegedienstes

Bergisch Gladbach – Norbert Buchholz sucht die „eierlegende Wollmilchsau“ für seinen Pflegedienst. Mitarbeiter, die keinerlei Ambition haben, gutes Geld zu verdienen und die sich mit gestressten, überforderten Kollegen herumschlagen wollen.

Humoristisch sollte sie sein, die Stellenanzeige des ambulanten Pflegedienstes Kolf-Buchholz in Schildgen. „In meiner Not, geeignetes Personal zu finden, wollte ich mich halt mit dieser Stellenanzeige abheben, anders sein als die Klassiker“, sagt Betreiber Buchholz mit einem Schmunzeln.

In diesem Fall hat die Stellenanzeige funktioniert: Der Pflegedienst hat eine neue Mitarbeiterin gefunden, die sich ab sofort um die Patienten kümmert. Aber die neue Kraft ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Seit über drei Jahren ist der Pflegenotstand eklatant. Wir finden kein Personal mehr, müssen im Monat drei bis vier Neukunden ablehnen“, erklärt Buchholz. Er nennt die Patienten, die unter seiner Obhut gepflegt werden, Kunden. Vor drei Jahren hat Buchholz rund 40 seiner Kunden die Verträge kündigen müssen. Er habe die Qualität der Pflege und eine tragbare Arbeitsbelastung für sein Personal nicht mehr gewährleisten können,berichtet der Unternehmer: zuviel Arbeit für zu wenig Personal.

Täglich werden Buchholz und seine Mitarbeiter mit Angehörigen von Pflegebedürftigen konfrontiert, die für ihre Familienmitglieder keine geeignete Pflege finden. „Die Entwicklung ist dramatisch. Angehörige weinen und berichten mir, dass sie schon erfolglos bei mehreren Pflegediensten angefragt haben.“ Die Entwicklung der Gesellschaft hin zu immer älteren Menschen sei von der Politik komplett verschlafen worden. Heute wisse man, dass allein mit der Einführung der Fallpauschalen in Krankenhäusern rund ein Drittel aller Ausbildungsplätze in Pflegeberufen eingespart worden sei. Buchholz: „Beim Pflegepersonal zu sparen war halt der einfache Weg, Kosten zu senken, ohne viel nachdenken zu müssen.“

Regina Wallau, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit in Bergisch Gladbach, bestätigt die Aussagen von Buchholz. 23 Altenpflegerinnen und Pfleger, die Arbeit suchen, führen die Arbeitsvermittler der Agentur für Arbeit und des Jobcenters in ihrer Kartei. Diese Bewerber seien aber nur bedingt für einen Vollzeitarbeitsplatz tauglich. „Mehrere sind in der Elternzeit, sind als Aufstocker geführt oder gesundheitlich eingeschränkt.“ Nur eine Altenpflegerin war nach einem befristeten Arbeitsverhältnis uneingeschränkt vermittelbar. „Diese Frau fand nahtlos einen neuen Arbeitsplatz.“

Glaubt man den Schätzungen des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), fehlen in Deutschland aktuell rund 30 000 Pflegekräfte, im Jahr 2020 sollen es 400 000 sein. Statistisch fehlen im Rheinisch-Bergischen Kreis – Stand heute – etwa 100 Pflegekräfte. Bis 2025 könnte ein Mangel von über 1000 Arbeitskräften in ambulanter und stationärer Pflege herrschen. Keine rosigen Aussichten.

„Situation schon heute dramatisch“

Das bestätigt Peter Siebel, Geschäftsführer der Diakoniestation Wermelskirchen: „Die Situation ist heute schon dramatisch. Wenn wir einen Arbeitsplatz neu besetzen müssen, dauert dies bis zu vier Monate.“ Siebel gibt der Politik ein hohes Maß an Schuld für die Misere. „Es werden keine Ideen entwickelt, um das Problem zu lösen. Wir haben Politiker bis zum Bundesgesundheitsminister angeschrieben und nur lapidare Antworten bekommen – das übliche Politikergerede.“ Ohne eine höhere Bezahlung des Pflegepersonals und einen besseren Personalschlüssel sei das Problem nicht zu lösen. Siebel: „Die Zahl der Jugendlichen, die dem Arbeitsmarkt für eine Ausbildung zur Verfügung stehen, nimmt ab. Aktuell können wir, was Bezahlung und Arbeitsbelastung angeht, nicht mit anderen Berufen konkurrieren.“

Die Politik favorisiert die Pflege durch Angehörige – ein zweischneidiges Schwert für Peter Siebel. Er möchte die Laienpflege nicht verteufeln, sehe aber häufig, dass es an Wissen fehle. Die qualitative Entwicklung in der Pflege sei halt rasant. Buchholz ist weniger vorsichtig: „Oft werden wir geholt, wenn der Zustand des Patienten durch Laienpflege an die Wand gefahren wurde. Dann muss der Pflegedienst die Karre wieder aus dem Dreck holen.“

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