Abo

Pfefferspray-AttackeBergisch Gladbacher Angeklagter bricht im Gericht zusammen

Lesezeit 3 Minuten
Pfefferspraypistole (Symbolbild).

Pfefferspraypistole (Symbolbild).

Bergisch Gladbach – Annähernd zwei Stunden redet Staatsanwalt Sinan Sengöz. Sein Plädoyer hält er nach allen Regeln der Kunst, seine Beweiswürdigung ist detailliert und akribisch. Strafmildernde und -schärfende Gründe wägt er sorgfältig ab und fordert schließlich sechs Jahre und neun Monate Gefängnis wegen Körperverletzung mit Todesfolge für einen 26-Jährigen, der im März 2018 einen 30 Jahre alten Nachbarn in Heidkamp mit einem Tierabwehrgerät getötet hatte.

Ferner stellt er den Antrag, den Angeklagten nach der Urteilsverkündung noch im Saal wegen Fluchtgefahr in Haft zu nehmen, sollte die Kammer eine Strafe von fünf Jahren oder mehr fällen.

Ein Wachtmeister leistet erste Hilfe

Für den Angeklagten ist das alles zu viel. In der anschließenden Verhandlungspause kollabiert der Immobilienkaufmann. Ein Wachtmeister leistet erste Hilfe. Ein Rettungswagen muss gerufen werden. Dem Vernehmen nach erlitt der Angeklagte einen psychischen Zusammenbruch.

Die Gerichtsverhandlung wird unterbrochen. Ohne Angeklagten kann nicht weiterverhandelt werden, das gibt die Strafprozessordnung nicht her. Nebenkläger und Verteidigung können somit frühestens am kommenden Mittwoch ihre Schlussvorträge halten.

Tod zumindest billigend in Kauf genommen

Sengöz hatte eine Verurteilung des 26-Jährigen wegen Totschlags – so lautete der Anklagevorwurf – verworfen. Der 26-Jährige habe den Tod des 30-Jährigen nicht geplant und gewollt, aber zumindest billigend in Kauf genommen. Zunächst habe der Angeklagte den Geschädigten provoziert. Dieser habe den Angeklagten zur Rede gestellt und mit der Faust geschlagen.

Daraufhin habe der Angeklagte einen ersten Schuss mit der Pfefferpistole abgefeuert, woraufhin der 30-Jährige den Rückzug angetreten sei. Doch der Angeklagte habe es nicht dabei bewenden lassen und sei dem Nachbarn nachgesetzt. 

Den zweiten Schuss habe er dann aus 30 bis 40 Zentimetern Entfernung direkt ins Gesicht des Marokkaners gefeuert. Über den Angeklagten sagte Sengöz noch: „Er war nicht das schwache, verzweifelte, zurückgezogene Opfer, als das er sich hier in der Verhandlung versucht hat darzustellen.“

Nach dem Kollaps ist die Stimmung aufgeladen

Dass der Reizstoffstrahl, der auf bis zu 650 Stundenkilometern beschleunigt wurde, dann durch das Auge ins Gehirn des Geschädigten eingedrungen sei, sei ein Resultat mit dem der Angeklagte aber nicht habe rechnen können. Nach dem Kollaps ist die Stimmung aufgeladen.

Verteidiger Gunnar Borchardt macht dem Staatsanwalt in der Verhandlungspause schwere Vorwürfe: „Ich bin grundsätzlich ein entspannter Typ. Aber ich war lange nicht mehr so wütend wie jetzt“, sagt er. „Sie wissen doch was für ein Charakter ihnen hier gegenübersitzt“, spielt Borchardt auf die psychische Labilität seines Mandanten an.

26-Jähriger hat Suizid-Gedanken

Kurz vor dem Plädoyer des Staatsanwalts war als letztes Beweismittel noch ein Brief eines früheren Verteidigers des Angeklagten verlesen worden. Darin schilderte dieser die für seinen Mandanten unerträgliche Untersuchungshaft und schreibt von Suizidgedanken des 26-Jährigen.

Vor diesem Hintergrund blafft Borchardt weiter in Richtung Sengöz: „Da haben Sie ja geschafft, was Sie erreichen wollten.“ Dann folgt eine ungeheuerliche Bemerkung Borchardts: „Wenn der sich suizidiert, dann können Sie sich vor den Spiegel stellen und sich fragen, wo das herkommt.“ Sengöz bleibt professionell und sagt besonnen: „Ich habe nur meine Strafauffassung formuliert.“  

KStA abonnieren