Urteil gefälltFliesenleger befürchtet Obdachlosigkeit – und misshandelt Chefin brutal

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Prozess Symbolbild dpa

Im Gericht (Symbolbild)

  • Hier die Not eines 35-jährigen Arbeiters, der sich um seinen Lohn geprellt und seine Familie unmittelbar vor der Obdachlosigkeit sieht. Der vor fünf Jahren nach Deutschland gekommen ist, um seiner Familie ein besseres Leben zu bieten.
  • Dort die Chefin einer Gladbacher Handwerks-Firma, die völlig überraschend Opfer einer brutalen Gewalttat wird: Es ist kein alltäglicher Fall, über den das Bensberger Schöffengericht jetzt verhandeln musste.
  • Das Opfer leidet mit Verätzungen im Gesicht auch ein knappes Jahr nach dem Angriff unter den Folgen und konnte daher nicht vor Gericht erscheinen. Nun wurde das Urteil gefällt. Wir waren vor Ort.

Bergisch Gladbach – Ein ums andere Mal hat die 52-jährige Gladbacherin ihrem eigens aus Duisburg angereisten „Subunternehmer“ ungerührt erklärt, dass er sein Geld erst bekommen werde, wenn der Auftraggeber seine Arbeit abgenommen habe. Dann, am 31. Oktober 2018, dreht der im Prozess sehr ruhig, gepflegt und zurückhaltend auftretende Familienvater im Büro der Chefin in Bergisch Gladbach plötzlich und brutal die Machtverhältnisse um. Es kommt es zu einem Gewaltexzess, der so grausam wie sinnlos ist und unter dem die Gladbacherin auch heute so leidet, dass sie der Urteilsverkündung fernbleibt.

Am Ende verurteilt das Bensberger Schöffengericht den bis dahin nicht einschlägig vorbestraften Zelko V. (Namen geändert) wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und acht Monaten Haft. Berufsrichterin Birgit Brandes und die beiden Schöffen bleiben sieben Monate unter der Forderung der Staatsanwältin Heike Nöldgen und acht Monate über der Forderung des Verteidigers, der eine Aussetzung zur Bewährung gefordert hatte.

Bewährung nicht mehr möglich

Angesichts der Strafhöhe ist eine Bewährung nicht mehr möglich. Gleichwohl kommt Zelko V. nicht sofort hinter Gitter, sondern darf mit seiner Ehefrau das Gericht als freier Mann verlassen. Anders als von der Staatsanwältin gefordert, bleibt V. von der Untersuchungshaft verschont: Nach der Tat war er zunächst geflüchtet, er kehrte aber, obwohl er um den Haftbefehl wusste, zurück und stellte sich dem Verfahren.

„Was den Umgang mit dem Haftbefehl anging, hat er alles richtig gemacht“, sagt Richterin Birgit Brandes in der Urteilsbegründung. Das Gericht vertraue darauf, dass er sich einem etwaigen Berufungsverfahren und der Strafverbüßung stellen werde. Ansonsten kämen die üblichen Mechanismen – Auslieferung oder Strafvollstreckung im Heimatland – zum Tragen.

Geld dringend für Wohnungsmiete gebraucht

Überhaupt nichts richtig gemacht hat Zelko V. dagegen zuvor bei seinem Angriff auf Claudia H. Mehrfach hat er zuvor bei ihr vorgesprochen, weil er noch Geld zu kriegen habe für seine Fliesenarbeiten bei einem Klinikneubau in Solingen – Geld, dass er dringend für die Wohnungsmiete brauchte.

Doch ein ums andere Mal wird ihm beschieden, dass er schlecht gearbeitet habe und das Werk noch abgenommen werden müsse. Bevor Zelko V. am 31. Oktober wieder zu Claudia H. geht, besorgt er sich aus dem Abfallkorb einer Tankstelle eine leere Scheibenreiniger-Flasche und füllt sie mit einem Liter Benzin.

Opfer mit Benzin bespritzt, getreten und am Kopf verletzt

Im Büro angekommen, fragt er die Frau, ob sie allein sei. Dieser bejaht, zwei Mitarbeiter sind gerade im Keller. Daraufhin zieht V. wortlos die Flasche hervor und bespritzt sein Opfer mit dem Benzin. Die Frau erschrickt, springt auf, will weglaufen, rutscht aus, stürzt. V. tritt mit seinen Arbeitsschuhen auf sie ein.

Er reißt sie an ihren Haaren, reißt ihr Haare aus. Er schlägt ihren Kopf auf den Fliesenboden. Und er setzt sich schließlich mit einem Knie auf ihr Gesicht, bis die aus dem Keller zurückkommenden Mitarbeiter dazwischen gehen. „Ist das wirklich die 1500 Euro wert?“, fragt einer der Helfer, und Zelko V. antwortet: „Es waren 2000.“ Widerstandslos lässt er sich festnehmen.

Claudia H. erleidet Prellungen und, durch das Benzin, Verätzungen im Gesicht. Sie fürchtet lange um ihr Augenlicht, da der Treibstoff auch in die Augen gelangt ist. Bis heute hat sie Angst, ist in Behandlung, hat besondere Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, über die sie aber als Zeugin im Prozess nicht reden will, weil sie sich fürchtet.

Staatsanwältin schließt jeden Rechtfertigungsgrund aus

Die Staatsanwältin sieht in ihrem Plädoyer die angeklagte gefährliche Körperverletzung in gleich dreifacher Hinsicht verwirklicht: Wegen des Benzins, wegen der schweren Schuhe und wegen der gesundheitlichen Folgen. „Für mich spielt es überhaupt keine Rolle, ob der Angeklagte sich zurecht um seinen Lohn geprellt fühlte“, sagt sie in ihrem Plädoyer.

Weder vorenthaltener Lohn noch drohende Obdachlosigkeit könnten eine solche Gewalttat rechtfertigen. Bei ihrer Einschätzung der Tat unterstelle sie, dass sich Zelko V. zumindest geprellt gefühlt habe, denn sonst wäre die Tat nicht als gefährliche Körperverletzung zum Bensberger Schöffengericht angeklagt worden, sondern als versuchter schwerer Raub zum Kölner Landgericht.

Dagegen verweist Verteidiger Lukas Pieplow auf die schwierigen Lebensumstände seines Mandaten, der in einem fremden Land gelebt und zum Rechtssystem keinen gedanklichen Zugang und zum sozialen Sicherungssystem keinen faktischen Zugang gehabt habe: „Wir wissen alle, dass mein Mandant keine Sozialhilfe bekommen hätte.“

Im Urteil bescheinigt Richterin Brandes dem Angeklagten, dass zu seinen Gunsten sein Geständnis spreche und sein Bemühen, seiner Frau und seinen schulpflichtigen Kindern eine Existenz aufzubauen. Gegen ihn spreche, dass es keine seine unbegreifliche Tat keine Affekthandlung gewesen sei. Denn das Benzin habe er sich vorher besorgen müssen. Auch sei sein völlig überraschender Angriff „unglaublich gefährlich“ gewesen, und er habe sehr schlimme Folgen für das Opfer gehabt.

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