Wohnpark BensbergZu Besuch im „Klein-Manhattan“ von Bergisch Gladbach

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Bergisch Gladbach – Manhattan ist das Herz der Weltmetropole New York. Berühmt für seine spektakulären Hochhäuser. Da ist es schon ziemlich kühn, wenn ein Wohnpark der Kreisstadt Bergisch Gladbach „Klein-Manhattan“ genannt wird. Ein Hochhauspark aus Beton, der keineswegs das Herz des Stadtteils Bensberg ist, sondern ein trister Trabant. Ein Wohnpark für Tausende Menschen, wie in den 70er Jahren viele gebaut wurden. Viele endeten als Ghetto. Klein-Manhattan ist anders.

Norbert Hübl, Bezirkspolizist, geht seit elf Jahren Streife im Wohnpark. „Das ist meine Welt“, sagt Hübl, ein stattlicher Mann mit weißem Schnauzbart und gelber Wetterjacke. „Hier kennt mich jeder. Ich kriege alles mit, und keiner kommt mir krumm.“ Er treibt sogar Schulden für die Stadt ein, wenn es sein muss. „Bei mir zahlen sie fast alle brav.“

Hübl ist eine Respektsperson im Viertel. Allzu viel hat er freilich nicht zu tun. „Die Kriminalität ist hier auch nicht größer als woanders“, sagt er. Drogenhandel? Bandenkriege? Fehlanzeige. Nicht einmal abhängende Jugendliche sind an diesem Tag zu sehen.

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„Jeden Abend Remmidemmi“

Es war nicht immer so ruhig. Hausmeister Harry Schönberg erinnert sich an seine ersten Jahre, als er 1989 nach Bensberg kam. „Unter den Jugendlichen gab es dauernd Schlägereien“, erzählt er und deutet auf die Kneipe oben an der Ecke, die jetzt geschlossen ist. „Jeden Abend Remmidemmi.“ Es war die Zeit, als Klein-Manhattan auf der Kippe stand. Wohnraum war nicht wirklich knapp, die Mieten billig und entsprechend die Klientel. Eine hohe Fluktuation bei den Mietern – darunter viele Migranten – begünstigten den anonymen Charakter der Siedlung. Versicherungsgesellschaften und Fonds hielten große Margen an Wohnungen. Verwaltungen wechselten. Niemand fühlte sich verantwortlich.

„Als der Wohnpark am Bockenberg Anfang der 70er Jahre gebaut wurde, galt er als Luxusimmobilie“, erinnert sich Dr. Reimer Fischer, Vorsitzender des Eigentümer-Beirats für einige der Blocks; der ehemalige Bergisch Gladbacher FDP-Ratsherr besitzt selbst drei Wohnungen. Neben den großzügigen Grünanlagen gab es ein Schwimmbad für die Bewohner, eine Sauna, Tiefgarage und ein Gewerbezentrum mit Bäcker, Supermarkt, Bistro, Arztpraxen und Friseur.

Aber das Konzept funktionierte nicht. Nach und nach schlossen die Läden. Nur der Friseur ist geblieben und eine Massagepraxis. Das sogenannte Zentrum ist heute die leere Mitte des Viertels. „Das Schwimmbad war einfach zu teuer im Unterhalt“, berichtet Hausmeister Schönberg. Auch die Sauna, die immerhin von einem privaten Verein weiter betrieben wird. Im ehemaligen Supermarkt residiert jetzt die Tafel, daneben eine Kleiderkammer, ein Gebetsraum der pakistanischen Ahmadiyya-Gemeinde, ein Allerweltsitaliener, viel Leerstand. Der Brunnen sprudelt nicht mehr.

Die Menschen leben gerne hier

Und dennoch: Mit wem auch immer man spricht, der lebt gern hier. Mittlerweile sind über 40 Prozent der Wohnungen von Eigentümern bewohnt, schätzt Fischer. Zu ihnen gehören Künstler, Politiker, Wirtschaftsleute, Mediziner, Juristen. „Ich möchte hier nicht weg“, sagt stellvertretend der CDU-Politiker Karl Maas, der sich 1974 im sechsten Stock der „Schlange“ – so heißt der aus sechs Gebäuden bestehende untere Riegel am Wald – niedergelassen hat. Die kurz hinter den Tannen vorbeirauschende A 4 stört ihn nicht. „Ich fühle mich hier zu Hause“, sagt er, auch wenn er die nachlässige Mülltrennung und mangelnde Sauberkeit mancher Nachbarn beklagt und findet, dass es zu wenig Parkplätze gebe.

Viele, die hier aufgewachsen sind, zieht es zurück. Auch Harry Schönbergs Söhne und Eltern haben Wohnungen gekauft. Er selbst sowieso. Ein geradezu euphorischer Liebhaber von Klein-Manhattan ist der Künstler und Kurator Karsten P. Panzer, der sich im 18. Stock einen ehemaligen Partyraum zu einem fast rundum verglasten „Aussichtsturm“ eingerichtet hat. Der Blick schweift über das Bensberger Schloss zum Kölner Dom, zur Rechten in das Bergische Land und an klaren Tagen vis-à-vis bis ins Siebengebirge.

40 Nationen

Der Wohnpark Bensberg am Bockenberg wurde 1970 bis 1974 durch die Planungsgesellschaft Moderne Stadt errichtet. 948 Wohnungen in sieben Gebäudekomplexen, in denen Ende 2017 2400 Menschen aus etwa 40 Nationen offiziell gemeldet waren. Die Mieten liegen pro Quadratmeter etwa bei fünf Euro, die Kaufpreise knapp über 1000 Euro plus Nebenkosten. Das höchste Gebäude hat 18 Stockwerke bei 54,5 Metern Höhe.

Laut Polizeistatistik gab es 2017 194 Einsätze in dem Viertel inklusive Verkehrsdelikte (von 10 743 insgesamt in Bergisch Gladbach), darunter vier Einbrüche, sechs Autobrüche und elf Bedrohungen. (eck)

Es tut sich etwas im Viertel. Schon vor Jahren hat die Stadt Bergisch Gladbach erkannt, dass ein solch fragiles Multi-Kulti-Pflaster kein Selbstläufer ist. Soziale Netzwerker betreuen den Stadtteil. Bei Uwe Tillmann laufen seit 2010 die Fäden zusammen: „Wir kümmern uns um viele Aspekte“, sagt der Sozialarbeiter. Im Bürgerzentrum ZAK gibt es die vom Land und der Stadt finanzierte Kontaktstelle Kiwo und ein Familienbildungszentrum des Vereins FiB. Die Mitarbeiter leisten mit Kinderbetreuung, Kursangeboten, Beratung und Nachbarschaftstreffs umfangreiche niederschwellige Integrationsarbeit. „Wir versuchen, ein positives Lebensgefühl zu vermitteln“, sagt Dorit Külschbach, Leiterin des FiB. „Und ich habe den Eindruck, das gelingt uns ganz gut.“ Den Kindern gilt die besondere Aufmerksamkeit. „Man darf nicht vergessen, dass hier viele Menschen auf engstem Raum zusammen leben“, betont Uwe Tillmann. Der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund ist hoch und wächst weiter. „Die Kinder nutzen die Einrichtungen besonders intensiv. Da setzen wir an.“ Schwerpunkt ist die Sprachförderung, um alle möglichst fit für die Grundschule zu machen.

Klein-Manhattan hat keine eigenen Schulen. „Wir legen Wert darauf, dass die Jugendlichen herauskommen und Kontakt nach Bensberg und anderen Stadtteilen haben“, erklärt Tillmann. Beim Herbstfest zum Weltkindertag gab es erstmals einen von den Händlern finanzierten Shuttlebus zwischen dem historischen Ortskern und der Trabantenstadt. Bei der demnächst anstehenden Neugestaltung der Bensberger City ist der Bockenberg in die Planungen eingebunden.

Aufgehübscht werden auch Häuser. Einige Fassaden sind bereits überholt worden. „Jetzt nehmen wir den Brandschutz in Angriff“, sagt Schönberg. Passanten kommen vorbei und grüßen freundlich. „Hier kennt man sich“, lobt Schönberg und winkt einer Frau mit Hund zu.

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