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Corona in Rhein-BergImpfzentrum vor dem Ende – Helfer ziehen Bilanz

Lesezeit 7 Minuten
Große Kapazitäten, aber kaum noch Impfwillige: Nächste Woche schließt das Gladbacher Impfzentrum.

Große Kapazitäten, aber kaum noch Impfwillige: Nächste Woche schließt das Gladbacher Impfzentrum.

Rhein-Berg – Gähnende Leere herrscht derzeit dort, wo sich zu Bestzeiten täglich bis zu 1800 Rhein-Berger gegen das Coronavirus impfen ließen. Jetzt sind es manchmal nur gut 100 am Tag. Dabei stünde – anders als noch vor einigen Wochen – Impfstoff für alle Impfwilligen zur Verfügung. Nächste Woche Donnerstag öffnet das rheinisch-bergische Impfzentrum im Untergeschoss der Gladbacher Rhein-Berg-Galerie zum letzten Mal, dann schließt es gemäß den Planungen des Landes NRW zum Monatsende.

In Zahlen

200.718 Impfungen haben die Teams des Gladbacher Impfzentrums laut Kassenärztlicher Vereinigung verabreicht (Stand: Freitag). 184 063 kamen in Arztpraxen im Kreis hinzu.

71 Prozent der Rhein-Berger haben mindestens eine erste Impfung.

Alles zum Thema Robert-Koch-Institut

6 neue engagierte Ehrenamtler hat DRK-Kreisvorsitzende Ingeborg Schmidt durch die Arbeit im Impfzentrum für ein Engagement im Deutschen Roten Kreuz gewinnen können.

Mit Wehmut schaut DRK-Kreisvorsitzende Ingeborg Schmidt, die den Einsatz des Deutschen Roten Kreuzes im Impfzentrum des Kreises mit ihrem Sohn Steffen koordinierte, auf die leeren Wartebereiche: „Wir hätten die Welt bewegen können – gerne bis zum Schluss“, sagt die 65-Jährige und erinnert sich daran, was sie und ihre Kollegen an der Anmeldung zum Impfzentrum anfangs erlebten: „Was auch die Security damals geleistet hat, war unglaublich“, erinnert sich Ingeborg Schmidt.

Kein Impfstoff musste vernichtet werden

Oftmals seien sie übel von Menschen beschimpft worden, die geimpft werden wollten, obwohl dies die aktuelle Erlasslage noch nicht hergab. „Teilweise haben wir eine Dreiviertelstunde mit einzelnen Leuten diskutiert“, erinnert sich die examinierte Krankenschwester. „Jetzt könnten die Menschen alle kommen – und kaum noch jemand möchte.“

Ganz anders die Situation noch vor wenigen Wochen: „Wir sind bis zu 30 000 Schritte am Tag hier durchs Impfzentrum gelaufen“, sagt sie schmunzelnd. Vor allem, wenn es auf den Abend zuging und sie in den verschiedenen Impfstraßen die noch wartenden Impflinge durchzählten, um genau passend Impfstoff aufziehen zu lassen. „Wir haben hier keinen Impfstoff vernichten müssen“, sagt Ingeborg Schmidt nicht ohne Stolz.

Sehr wenig Impfwillige in den vergangenen Wochen

Wenn am Ende doch drei oder vier Impfdosen übrigen zu bleiben drohten, habe sie per Handy Impfwillige von einer Warteliste angerufen. „Deshalb hat meine Handynummer jetzt auch der halbe Kreis“, sagt sie schmunzelnd. „Aber mit anderen Telefonen konnte man von hier unten einfach nicht raustelefonieren.“

Die vergangenen Wochen hätten sich die Mitarbeitenden trotz stark reduzierter Öffnungszeiten und Impfstraßen oft die Beine in den Bauch gestanden, obwohl sie „so gerne weiter geimpft hätten“, bedauert Schmidt.

Parallel auch Hochwasserhelfer versorgt

Die beste Zeit für sie im Impfzentrum? „Als es so richtig viel zu tun gab“, sagt die 65-Jährige. Selbst als dann Mitte Juli auch noch die Starkregenflut dazu kam und „ihr“ DRK Hunderte Menschen mit Essen versorgen musste, verzweifelte sie nicht: „Da bin ich zwischendurch eben nebenan beim Aldi einkaufen gegangen, habe die Sachen schnell zu meinen Leuten nach Rösrath gebracht und bin zurück ins Impfzentrum – auch wenn ich auf der Rückfahrt selbst kaum noch bei den Überflutungen durchgekommen bin.“

Jetzt ist es ruhig. Nebenan in der Impfkabine diskutiert eine Sozialarbeiterin mit dem Leitenden Impfarzt des Tages, Dr. Christian Hinzmann. Eigentlich wolle sie gar nicht geimpft werden, sagt die Frau. „Ich bin da sehr skeptisch, aber ich will auch endlich wieder als Sozialarbeiterin arbeiten gehen können“, sagt sie und unterschreibt zähneknirschend die Einverständniserklärung.

Ab 1. Oktober wieder Notfallseelsorgerin für den Kreis

Die Frau ist nicht die einzige Impfskeptikerin, die an diesem Tag noch eine der verbliebenen zwei von einstmals acht Impfstraßen im Impfzentrum ansteuern. Und sie ist noch eine der freundlichsten. „Eigentlich ist es erstaunlich, dass die Stimmung immer noch so gut ist“, sagt Ingeborg Schmidt. „Wenn es nach mir ginge, hätten wir längst eine Impfpflicht“, sagt sie: „All die Impfskeptiker wollen ihre Rechte zurück, aber keine Verantwortung übernehmen.“

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Da seien die Über-80-Jährigen zu Beginn des Impfzentrumsbetriebs deutlich umgänglicher gewesen. „Die haben den Krieg noch miterlebt...“, sagt Ingeborg Schmidt und wünscht sich etwas mehr Einsicht und Vernunft bei denen, die sich jetzt eigentlich noch impfen lassen könnten – es aber nicht tun: „Jede Freiheit endet da, wo andere gefährdet werden.“ Gut aber, dass es das Impfzentrum gegeben habe, zeigt sich Schmidt überzeugt: „Das wäre draußen so nicht machbar gewesen.“

Nächste Woche wird ihr Sohn Steffen die letzten Tage übernehmen. Ingeborg Schmidt will ein paar Tage ausspannen, bevor sie ab 1. Oktober wieder als Notfallseelsorgerin einsteigt. Und dann ist da ja noch die Leitung des DRK-Kreisverbands, und des Ortsvereins Rösrath, und... „In ein Loch werde ich schon nicht fallen“, sagt sie lachend.

Organisatorischer Impfzentrumsleiter und Leitender Impfarzt ziehen Bilanz

Noch vor knapp acht Wochen fuhr das Gladbacher Impfzentrum laut organisatorischem Leiter Gerhard Weber vom Rheinisch-Bergischen Kreis mit täglich 1800 Impfungen am Limit. Jetzt schließt es zum Ende des Monats wie vom Land für alle Impfzentren in NRW vorgesehen. Mit Gerhard Weber und einem der leitenden Impfärzte, Dr. Hans-Christian Meyer, hat Guido Wagner gesprochen.

Als der Impfstoff knapp war, haben die Menschen händeringend nach Impfterminen gesucht, und als genug Impfstoff da war, ließ das Interesse im August nach. Was ist da passiert?

Weber: Ja wir hatten im Vollbetrieb plötzlich eine Schubumkehr: von 1000 Erstimpfungsterminen pro Tag runter auf 20.

Meyer: Da waren einfach die, die geimpft werden wollten, durch.

Von einer Herdenimmunität, für die es laut Robert Koch-Institut in jedem Fall einer Impfquote von mehr als 85 Prozent bedürfte, sind wir aber auch in Rhein-Berg mit gut 71 Prozent Erstgeimpften noch weit entfernt. Wie ließen sich aus Ihrer Sicht noch mehr Menschen überzeugen?

Meyer: Ganz klar: Mit einer 2G-Regel. Zutritt zu Veranstaltungen wie einem Fußballspiel beim 1. FC Köln nur noch für Geimpfte und Genesene, das würde nochmal Unentschlossene motivieren. Aber das war wohl vor der Bundestagswahl politisch nicht zu machen.

Weber: Wenn die Tests demnächst kostenpflichtig werden, wird das vielleicht nochmal drei oder vier hinter dem Ofen hervorlocken...

Meyer: ...eigentlich aber bräuchten wir schon so etwas wie eine Impflicht, um die Chance auf eine Immunität zu bekommen.

War es aus Ihrer Erfahrung gut und richtig, zentrale Einheiten wie die Impfzentren einzurichten?

Meyer: Ich bin ja auch niedergelassener Arzt. Aber wir Hausärzte allein, hätten das nicht geschafft, weil die Auflagen für den Transport und die Handhabung des Impfstoffs am Anfang von Seiten des Ministeriums ja sehr restriktiv gehandhabt wurden. Das hat sich ja dann geändert und heute ist es kein Problem in den Praxen zu impfen. Aber am Anfang war es unter den Bedingungen durchaus richtig, Impfzentren einzurichten.

Wobei wir ja auch von Beginn an mobile Angebote hatten – angefangen von den Impfteams in den Senioren- und Pflegeheimen bis hin zu den mobilen Impfteams, die auch jetzt noch jeden Tag an frequentierten Stellen im Kreisgebiet stehen, vor Supermärkten und auch an Schulen. Da muss man aber auch sagen: Das hat Gerhard Weber vom Kreis hervorragend organisiert und mit vielen Partnern koordiniert. Es hat Spaß gemacht, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Weber: Das kann ich aber nur zurückgeben. Wir haben hier alle sehr gut zusammengearbeitet: von der Kassenärztlichen Vereinigung über die Ärzte und Hilfsdienste, bis zu Feuerwehr und Apothekern. Deshalb sind wir auch unter den Top 3 der Impfzentren in NRW.

Was nehmen Sie als Erfahrung mit aus der Arbeit im Impfzentrum?

Weber: Wichtig ist, dass wir das „Sirup“ des Impfzentrums als Erfahrung bewahren, um im Falle eines Falles wieder schnell reagieren zu können.

Woraus besteht dieses Sirup?

Weber: Das Wichtige ist, das Know-how zu bündeln, zu wissen, was war entscheidend für das schnelle Handeln und was brauchen wir zum Beispiel nicht.

Was wäre das?

Weber: Beispielsweise eine erreichbare, einfache und flexible Teamvergabe. Das hat am Anfang ja über die Zentrale der Kassenärztlichen Vereinigung nicht so funktioniert. Aber auch das Hin und Her, als das Land Teile der Terminvereinbarung dann dem Kreis übertrug und es dann wieder wechselte, war für die Menschen einfach schwierig. Wir hatten in Bezug aufs Impfzentrum mit 40 verschiedenen, teils widersprüchlichen Erlassen zu tun.

Meyer: Wichtig ist auch, dass wir die Netzwerkstrukturen erhalten. Die Zusammenarbeit mit dem Kreis hat wirklich hervorragend funktioniert. So könnten wir auch künftig flexibel reagieren – nach der Schließung des Impfzentrums. In 24 Stunden wären wir wieder einsatzbereit.

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