Die Not am Ende EuropasUnterwegs mit der Humanitären Hilfe Overath nach Rumänien

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Unser Autor steuert einen der Wagen im Konvoi der Hilfsgüter nach Rumänien.

  • Dies ist ein Text aus unserem Archiv, er erschien ursprünglich am 30. August 2021.

Rhein-Berg/Sebeș – Ein Pferdefuhrwerk rumpelt die staubige Schotterpiste hinunter. Der Straßengraben quillt über vor Müll. Maria, die an der Tür ihres bruchfälligen Hauses aus allerlei wiederverwendetem Baumaterial steht, sieht das nicht. Sie ist fast blind. Sie spürt nur, dass ihr gerade jemand zwei gehäkelte Decken in die Hand gedrückt hat. Die kann sie gut gebrauchen, denn eine Heizung hat sie nicht.

Maria strahlt und drückt die Hand des jungen Mannes mit der Baseballkappe und den starken Armen. Der ringt um Worte. Das passiert Florian Eschbach, dem Speditionsunternehmer, Motorradclub-Mitglied und Helfer der Humanitären Hilfe Overath, sonst eigentlich eher selten. Aber die Lebensbedingungen im Armenviertel der rumänischen Stadt Sebeș sind einfach zu unfassbar. Auch für mich als Reporter, der ich den Hilfskonvoi begleite und ein Fahrzeug mit nach Sebeș steuern darf.

Erster Transport nach eineinhalb Jahren

Ein Haus weiter fragt die Nachbarin zaghaft, ob die Helfer, die da gerade Decken verteilen, auch noch etwas zu essen hätten, sie habe seit Tagen nichts mehr Richtiges zu beißen bekommen. Als Fabio Kuhl ihr ein paar Scheiben Brot holt, kommen ihr die Tränen.

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Konvoi in Zahlen

140 Tonnen Hilfsmittel hatte der 65. Hilfstransport der Humanitären Hilfe Overath an Bord.

19 Fahrer und Helfer begleiteten die sieben Sattelzüge, einen Möbelwagen und ein Begleitgespann.

10.000 Euro Spendengelder benötigt die Humanitäre Hilfe, um einen Hilfskonvoi nach Sebeș zu schicken. Allein die Maut durch Österreich kostet rund 1500 Euro.

Es sind Szenen wie diese, die an keinem der 19 Freiwilligen spurlos vorbeigehen, die in diesen Tagen einen Konvoi mit mehr als 100 Tonnen Hilfsgütern vom Krankenhausbett bis zum Mantel ins mehr als 1600 Kilometer entfernte Sebeș gebracht haben: eine Stadt in der EU und doch in einer anderen Welt. Es ist der 65. Transport der Humanitären Hilfe Overath, der erste nach anderthalb Jahren Zwangspause durch die Pandemie. Seine Fahrt hat vier Tage zuvor mitten in der Nacht im Overather Gewerbegebiet Hammermühle begonnen.

Rollstuhl, Winterkleidung und Schokolade

„In fünf Minuten geht es los“, verkündet Norbert Kuhl um kurz vor ein Uhr in der Nacht nach einer letzten Stärkung im Imbiss direkt an der Zufahrt zum Gelände, auf dem die sieben Lastzüge, ein ehemaliger Möbelwagen sowie ein Begleitfahrzeug-Gespann auf die Abfahrt warten. Kuhl, der die Humanitäre Hilfe 1992 während des Kriegs auf dem Balkan zusammen mit Klaus Kukuk gegründet hat, ist Motor und Triebfeder des Vereins. Das ganze Jahr über ist er in der Region unterwegs, um Hilfsgüter einzusammeln.

Mit Helferteams stemmt er zudem auf Anfrage Wohnungsauflösungen, sortiert Verwertbares und entsorgt nicht mehr zu Gebrauchendes. Ungezählte Unterstützer bringen Nützliches vom Rollstuhl bis zu Winterkleidung mittlerweile selbstständig in die Sammelzentrale. Auch große Konzerne, Seniorenheime und Krankenhäuser stellen Hilfsgüter: von falsch verpackter und daher unverkäuflicher Schokolade bis zur kompletten Operationssaaleinrichtung.

„Weiter raus, weiter, weiter. Alles richtig“

„Auf die Lkw“, ruft Kuhl. Karin Fischer gibt derweil die letzten Kaffeekannen und Verpflegungspakete an die Fahrer aus. Mit ihr werde ich das Begleitgespann in Richtung Sebeș steuern. Was mich dort erwarten wird, weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Wie die übrigen 18 Freiwilligen habe ich für die Hilfstour Urlaub genommen.

Florian Eschbach und sein Kumpel Jens Remmel, der sonst als Notfallsanitäter für die Feuerwehr Wermelskirchen arbeitet, verteilen die letzten Schilder mit den Funkrufnummern der Konvoi-Teilnehmer. „So wat kannst du nur steuern, wenn dat gut organisiert ist“, sagt Norbert Kuhl, und greift zu seinem Funkgerät, um die ersten Fahrer für die Ausfahrt einzuweisen: „Weiter raus, weiter, weiter. Alles richtig“, schickt er den nächsten 40-Tonner auf die Reise.

Erste Konvois ins Kriegsgebiet auf dem Balkan

Fünf Minuten später ist der komplette Konvoi auf der Straße. Mit Sondergenehmigung geht’s durch Overaths Ortskern Richtung A3-Auffahrt Lohmar-Nord. Am Kreisverkehr winkt ein Paar dem Hilfstransport nach. „One Moment in time“, tönt es aus dem Autoradio. Norbert Kuhls Enkel Fabio kümmert sich auf der Rückbank um Hündin Bella. Am Heck unseres Anhängers prangt die Aufschrift „Achtung Konvoi“. „Den Abstand zur Nummer 8 nie zu groß werden lassen“, rät mir Karin Fischer, „sonst haben wir da ganz schnell eine Menge Autos zwischen.“ Spricht’s und gibt per Funk durch: „Auch die Neun ist auf der Bahn.“

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Gut kann sich Karin Fischer noch an die ersten Transporte auf den Balkan erinnern. Mitten ins Kriegsgebiet. „Da mussten wir manchmal nachts fahren, weil tagsüber die Granaten flogen.“ Verglichen mit damals ist die Tour diesmal fast ein Spaziergang. Wie damals arbeitet die Humanitäre Hilfe mit Organisationen vor Ort zusammen. Der Kontakt nach Sebeș kam durch die dortige Feuerwehr zustande, für die die Humanitäre Hilfe vor mehr als zehn Jahren einen vom Kreis zur Verfügung gestellten ausrangierten Rettungswagen und ein Feuerwehrfahrzeug aus Köln überführte.

Nun ist Pfarrer Victor Suteu vor Ort der Ansprechpartner, der über die Empfänger jedes einzelnen Hilfsartikels genaue Listen führt, die auch bei den rumänischen Behörden einzureichen sind. Aber bis dahin dauert es noch. Am A3-Ratsplatz Fernthal ziehen Ingenieur Martin Dickmann, der die komplette technische Betreuung der Fahrzeuge managt, und Klaus „Pille“ Pilgram erstmal die Radmuttern an den Aufliegern nach, die Dickmann nach fast zwei Jahren Standzeit vor der Fahrt besonders gründlich gewartet hat. Das soll sich während der Tour noch als sehr nützlich erweisen...

Welche bittere Überraschung die Helfer beim Abladen in Sebes erwartet, wie die Hilfe bei den Ärmsten ankommt und wo vor Ort frühere Hilfslieferungen zu finden sind, lesen Sie in Kürze.

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