HochwasserRhein-Bergs Kreisbrandmeister verteidigt Entscheidung gegen Sirenen-Alarm

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Kreisbrandmeister Wolfgang Weiden.

Kreisbrandmeister Wolfgang Weiden.

Rhein-Berg – Ein Mann sitzt in einem Raum. Seit über 50 Jahren ist er bei der Feuerwehr und seit 22 Jahren Kreisbrandmeister, und doch ist das hier an diesem Abend sein erstes Mal. Die Rede ist von der Katastrophennacht vom 14. auf den 15. Juli. Wolfgang Weiden trägt als Einsatzleiter die Verantwortung für den Feuerwehreinsatz im Kreis. Bei ihm im Raum sitzt eine Handvoll weiterer Helfer, nebenan in der Leitstelle elf Feuerwehrmänner, die auf allen Leitungen gleichzeitig telefonieren.

Trotz der massiven technischen Aufrüstung, die die Feuer- und Rettungsleitstelle durch den Umzug in ihren Neubau direkt neben dem Kreishaus vor zwei Jahren erfahren hat, entgeht den Feuerwehrmännern in dieser Nacht mehr als ein Drittel aller Notrufe. Und sie können nicht wissen, ob unter diesen 35 Prozent nur vollgelaufene Keller sind oder auch akute Hilferufe wegen Flut, Feuer oder Infarkt.

Weiden verteidigt Entscheidung, Sirenen nicht auszulösen

Es ist still im Bergischen Löwen, als Wolfgang Weiden am Mittwochabend im Ausschuss für Gesundheit, Rettungswesen und Verbraucherschutz seinen „Sachstandsbericht der Einsatzleitung zum Starkregenereignis“ vorträgt. Der Feuerwehr-Chef sitzt Ausschuss-Vorsitzendem Ulrich Heutz (CDU) und den Dezernenten auf der Bühne, und er berichtet ruhig und sachlich. Als er fertig ist, rührt sich nur einmal ganz kurz eine Hand zum Applaus. Dann ist es wieder still. Aber hinterher lässt es sich keine Rednerin und kein Redner nehmen, Weiden und mit ihm allen Freiwilligen der Nacht für ihren unglaublichen Einsatz zu danken.

Selbstverständlich sind diese Art von Demut und Dankbarkeit längst nicht mehr. Genau eine Woche zuvor hat es in Rösrath, bei der Sitzung des dortigen Zukunftsausschusses, kritische Fragen und Anmerkungen in Richtung Kreis gegeben. Warum die Kreis-Feuerwehr die Auslösung der Sirenen verweigert habe und warum der Krisenstab des Kreises erst am Tag nach der Flutnacht zusammengetreten sei.

Keine landesweite Hilfe in der Katastrophennacht

Kritische Fragen zu stellen ist legitim, Weiden beantwortet sie. Doch Helfer hochnäsig als „unfähig“ oder sonst was zu beschimpfen? In den Ausschüssen tut das zwar niemand, am virtuellen Lagerfeuer, auch „soziale Medien“ genannt, dagegen schon.

Weiden berichtet ausführlich. Dass der Kreis schon am Mittag des 14. Juli eine „Flächenlage“ ausgelöst habe. Damit gehen die Notrufe zwar weiterhin in der Leitstelle neben dem Kreishaus ein, doch sie werden von dort an die eigens gebildeten Einsatzleitungen der lokalen Feuerwehren, die „Meldeköpfe“, weitergegeben, und von dort aus abgearbeitet. In der Katastrophennacht wird schnell klar, dass niemand im Kreis Hilfe von außen erwarten kann – überall ist Holland in Not. Das Konzept der landesweiten Hilfe funktioniert nicht mehr, erst viel später kommt Hilfe über den Bund.

Steuergeräte für Sirenen „abgesoffen“

Und was ist mit den Sirenen? Laut Weiden haben die Feuerwehren in Leichlingen und Rösrath um die Auslösung des Sirenenalarms gebeten, um die Bevölkerung vor den Fluten zu warnen. Eine Sirenenwarnung, sagt Weiden und zitiert eines Erlass des Landes, sei aber nur sinnvoll, wenn eine Kombination aus Warnung und Verhaltensanweisung möglich sei: „Keine Warnung ohne Handlungsanweisung!“ Wie wichtig und richtig dieser Grundsatz sei, zeige eine Information aus Solingen: Dort seien Bürger auf die Straße und damit in die Flut der Wupper gelaufen.

Weiden sagt, er habe, um die Zahl der entgehenden Notrufe nicht noch weiter zu erhöhen, mit den beiden Feuerwehr-Chefs in Leichlingen und Rösrath telefonisch das Problem erörtert. Beide hätten danach eingewilligt, es erst einmal mit Lautsprecher-Warnungen zu versuchen. Während diese Entscheidung in zweiten Telefonat mit der Rösrather Wehr noch einmal bestätigt worden sei, habe der Leichlinger Wehrleiter nach zwei oder drei Stunden erneut den Sirenenalarm angefordert, weil sich die Situation immer weiter zugespitzt habe. Weiden: „Wir haben es dann doch versucht, aber von fünf Sirenen rührte sich keine einzige. Wir vermuten, dass die Steuergeräte abgesoffen und untergegangen sind.“

„Einsatztaktische Entscheidung nach besten Wissen“

Auch das Zusammentreten des Krisenstabes beim Kreis erst am nächsten Tag verteidigt Weiden. „Ich stand die ganze Zeit in Kontakt mit der Krisenstabsgeschäftsführung. Ich wusste auch, dass der Krisenstab nichts Sinnvolles würde tun können, wenn ich nicht die Muße fände, ihn zu informieren.“ Hätte er nach dem Krisenstab gerufen, wäre er auch sofort zusammengetreten.

Weiden macht deutlich, dass die auch von Dezernentin Anette Kupferschmidt-Fritz als richtig bezeichnete Entscheidung gegen die Sirenen keine einfache war. Sie habe auch nichts mit irgendwelchen Erlassen zu tun: „Es war meine einsatztaktische Entscheidung nach besten Wissen und Gewissen.“ Und der Feuerwehr-Chef betont: „Ich habe mir in den Tagen danach mehrfach das Hirn zermatert. Es war die richtige Entscheidung, und ich würde sie wieder so treffen!“

Ehrenamt besser nicht vergraulen

Schließlich appelliert er an Politik, Öffentlichkeit und (virtuelle) Stammtische: „Ich kann nachvollziehen, dass man auch einmal Dampf ablassen muss. Aber fokussieren Sie den Dampf auf wenige Personen, zum Beispiel auf mich. Ich vertrage das.“ In einigen Bereichen außerhalb von Rhein-Berg sei ein „Bashing“ der Einsatzkräfte in Mode gekommen.

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„Wenn wir das Ehrenamt vergraulen, habe ich große Sorge, dass sich die Leute umdrehen und nicht mehr mitmachen. Dann wäre nicht nur die Feuerwehr gefährdet, sondern die Hilfsorganisationen und das Technische Hilfswerk. Wir haben das aber alle gemeinsam geschaukelt. Hätte ein Glied gefehlt, hätten wir es nicht so hinbekommen!“

Immerhin im Bergischen Löwen ist an diesem Abend von links bis rechts niemand, der oder die sich durch den Appell angesprochen fühlen müsste. Alle zollen den Einsatzkräften Respekt und mahnen zum Teil auch die Eigenverantwortung der Bevölkerung an – die Vorab-Wetterwarnungen seien ja kein Geheimnis gewesen, sagt etwa Peter Lautz, Landwirt und CDU-Kreistagsabgeordneter. Die Debatte über etwaige Verbesserungen bei den Warnsystemen und in der Zusammenarbeit vertagt das Gremium in den Kreisausschuss.

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