Interview mit Chef der Agentur für Arbeit„Ich möchte weg vom Reparaturbetrieb“

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Unternehmen sollten bei Umstrukturierungen die Arbeitsagentur in die Personalplanung einbeziehen, schlägt Marcus Weichert vor.

Unternehmen sollten bei Umstrukturierungen die Arbeitsagentur in die Personalplanung einbeziehen, schlägt Marcus Weichert vor.

Rheinisch Bergischer Kreis – Mit einer Ausbildung zum Bankkaufmann startete Marcus Weichert seine berufliche Laufbahn. Der gebürtige Berliner wechselte danach ins Versicherungswesen, später zu einer Unternehmensberatung. Im Jahr 2005 zog es ihn nach Erlangen zu einem Start-up im Bereich der Biotechnologie. Mit dem Verkauf des Unternehmens begann er in der Branche von Private Equity zu arbeiten.

Es ist der englische Begriff für Beteiligungskapital. Private Equity-Gesellschaften investieren in Unternehmen und profitieren vom Gewinn. Bis 2013 hat der 43-Jährige überwiegend in Asien und in den Golfstaaten gearbeitet. 2014 wechselte er in die Zentrale der Agentur für Arbeit nach Nürnberg. Im April 2015 hat er die Leitung der Arbeitsagentur Hagen übernommen und seit April 2018 leitet er die Agentur Bergisch Gladbach mit insgesamt rund 360 Beschäftigten. Mit ihm sprach Doris Richter.

Herr Weichert, wie war für Sie der Sprung vom weltweiten Wirtschaftsbusiness zum öffentlichen Dienst?

Den habe ich mir bewusst ausgesucht und ihn bisher auch nicht bereut. Ich kann durch die IT ortsunabhängig arbeiten. Meistens bin ich mit Bus und Bahn unterwegs und dabei sehe und erlebe ich viel in den Regionen dieser Agentur.

Sie sind nur mit Ihrem Laptop hier angetreten und arbeiten papierlos. Haben Sie das durchgehalten?

Ja, das klappt wirklich gut. Ich will Vorbild in der Arbeitsweise sein.

Eine eher ungewöhnliche Arbeitsweise für einen Behörden-Chef.

Ich bin ein Exot. Für mich gibt es im Denken keine Tabus. Ich verstehe die Agentur für Arbeit als Dienstleister und möchte weg von einem Reparaturbetrieb. Die Unternehmen sind unsere Kunden, ebenso wie die Arbeitsuchenden.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung, dass immer mehr Betriebe über den Mangel an Fachkräften klagen?

Den Fachkräftemangel halte ich teilweise für hausgemacht. Denn bei einer Umstrukturierung des Unternehmens kann man die Mitarbeiter durch betriebsinterne Schulung mitnehmen. Die berufliche Weiterentwicklung, das Schritthalten mit technischen Neuerungen, ist für Arbeitnehmer ganz entscheidend.

Wie wollen Sie die Unternehmer davon überzeugen?

Indem wir ihnen klar machen, den Mut zu haben, uns in die Personalplanung einzubinden.

Mit den drei Regionen Rheinisch-Bergischer Kreis, Oberbergischer Kreis und Leverkusen sind Sie für ein großes Gebiet zuständig. Haben Sie alles im Blick?

Es sind im Grunde drei Agenturen, die in einer zusammengefasst sind. Jede Region für sich ist anders. Der Rheinisch-Bergische Kreis hat eine große Bandbreite an Unternehmen und liegt mit seinen Arbeitsmarktzahlen meist im Bundesschnitt oder besser.

Im Oberbergischen Kreis sind die Arbeitsmarktzahlen etwas besser als der Bundesschnitt. Dort gibt es mehr Handwerks- und Kleinbetriebe mit weniger als zehn Beschäftigten als in Rhein-Berg. Leverkusen hat die schlechteren Arbeitsmarktzahlen und wird unternehmerisch von der Chemieindustrie dominiert – wieder ganz anders als Rhein-Berg und Oberberg.

Wie viele Unternehmen sind es in allen drei Bezirken zusammen?

Mehr als 17 000 Betriebe. Das ist nicht wenig.

Die Papierfabrik Zanders war ein namhaftes Unternehmen und ist nun im Insolvenzverfahren. Wie beurteilen Sie die Situation der Fabrik?

Es ist Sache des Investors zu überlegen, ob Bergisch Gladbach überhaupt noch der geeignete Standort für eine Papierfabrik ist.

Der Bayer-Konzern plant einen massiven Stellenabbau. 3000 Stellen in Deutschland, davon der größte Teil in der Zentrale in Leverkusen. Wie wird Sie das in der Arbeitsagentur in den nächsten Jahren beschäftigen?

Im Rahmen des rechtlich Möglichen waren wir als Arbeitsagentur frühzeitig mit eingebunden. Jetzt geht es darum, den Betroffenen unsere Kernkompetenzen umfangreich und schnell zur Verfügung zu stellen: Wir mildern die finanziellen Folgen der Arbeitslosigkeit und schaffen mit unserem Beratungs- und Weiterqualifizierungsprogrammen neue Perspektiven für die betroffenen Mitarbeiter.

Bayer hat einen guten Ruf, was Ausbildung und Qualität der Arbeit angeht. Daher gehe ich davon aus, dass viele – räumliche Flexibilität vorausgesetzt – auch schnell eine neue Beschäftigung aufnehmen werden oder vielleicht auch den Sprung in die Selbstständigkeit wagen. Das wird sicher auch von unserer Seite ein Begleitprozess sein, der uns einige Jahre beschäftigen wird.

Wie wird es sich auf den Arbeitsmarkt in Rhein-Berg auswirken?

Ich erwarte keine großen Auswirkungen in Rhein-Berg. Die Mitarbeiter von Bayer kommen aus unterschiedlichen Regionen, sicher wird es einen vorübergehenden kleineren Anstieg der Arbeitslosigkeit in Leverkusen und in angrenzenden Städten des Rheinisch-Bergischen Kreises geben. Die Auswirkungen werden messbar, aber nicht wirklich spürbar sein.

Mit dem gesellschaftlichen Wandel verändert sich auch der Arbeitsmarkt. Welche wesentlichen Veränderungen sehen Sie?

Die Lebensarbeitszeit wird sich tendenziell auf 50 Jahre verlängern. Da bin ich sicher. Denn die Menschen werden nicht nur älter, sie bleiben aufgrund guter Ernährung und medizinischer Versorgung auch länger gesund. Die Arbeits- und Öffnungszeiten sind flexibler zu gestalten.

Also auch längere Arbeitszeiten?

Nein, veränderte Arbeitszeiten – vielleicht an sechs Tagen die Woche. Wenn alte Zeitstrukturen aufgebrochen werden, um mehr Dienstleistung bieten zu können, wird mehr Personal benötigt. Wir müssen uns der Nachfrage stellen.

Wo sehen Sie Berufe mit langfristiger Perspektive?

Das sind alle technikaffinen Berufe. Die Robotertechnik und künstliche Intelligenz wird sich rasant entwickeln. Ebenso alle Berufe, die sich mit dem Menschen beschäftigen.

Gibt es neue Projekte der Arbeitsagentur, die dieses Jahr beginnen?

Die Jugendberufsagentur in Leverkusen geht an den Start. Wir schaffen dort eine Beratung für Jugendliche an einem Ort aus einer Hand. Eine Kooperation von Stadt, Jobcenter und Arbeitsagentur. Auch die lebensbegleitende Berufsberatung beginnt.

Was ist das genau?

Wir wollen mehr Beratung und Entscheidungshilfen anbieten für alle Arbeitnehmer. Das heißt, wir werden verstärkt an die Schulen rangehen und dort für Jugendliche Projekte zur Berufs- und Studienfindung starten. Lebensbegleitend heißt auch, es wird eine Berufsberatung für Erwachsene ausgebaut, die in einer festen Anstellung sind, aber sich weiter oder neu orientieren wollen.

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