Interview mit Reul und Pakendorf„Ohne eigenen Kompass geht’s in Brüssel nicht“

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Uwe Pakendorf (l.) und Herbert Reul

  • NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) war 13 Jahre im Europäischen Parlament tätig.
  • Sein Parteikollege aus Rhein-Berg Uwe Pakendorf möchte ihm auf dem Weg folgen.
  • Im Interview sprechen sich über Brüssel, die anstehende Europawahl und einen Kompass.

Herbert Reul (CDU) aus Leichlingen war 13 Jahre Abgeordneter im Europaparlament, bevor er 2017 Innenminister in NRW wurde. Sein Parteikollege Uwe Pakendorf kandidiert nun bei der Europawahl. Über Erwartungen, Motive und Hintergründe hat Guido Wagner mit den beiden Rhein-Bergern gesprochen.

Herr Reul, als Sie 2004 ins Europäische Parlament gewählt wurden, waren Sie zuvor fast 20 Jahre Landtagsabgeordneter in NRW gewesen. Was hat Sie damals gereizt, nach Brüssel zu wechseln?

Herbert Reul: Die neue Aufgabe und die stärkere Möglichkeit, als Parlamentarier Einfluss zu haben. Ich hatte keine Lust mehr auf Opposition. Im Europaparlament gibt es die Chance, dass jeder Abgeordnete auch gestalten und richtig etwas bewegen kann.

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Herr Pakendorf, was reizt Sie an der Arbeit in Brüssel?

Uwe Pakendorf: Europa ist mittlerweile so zentral geworden für unterschiedliche Politikbereiche, dass man – wenn man sich der Europapolitik widmet – wirklich an der Schaltstelle ist. In der Europapolitik kann man die großen Zukunftsfragen unserer Zeit bewegen.

Welche Eigenschaften sollte ein Europapolitiker für die Arbeit in Brüssel unbedingt mitbringen?

Reul: Geduld, Ausdauer, eigene Anliegen – und auch eine gewisse Sprachenkenntnis ist gut. Aber auch ein eigener Kompass.

Welchen Kompass hatten Sie?

Reul: Als ich nach Brüssel ging, hatte ich noch gar kein konkretes Projekt. Dass ich später zum Energiepolitiker geworden bin, hat sich auf der Strecke entwickelt.

Wie?

Reul: Ich wollte ein Thema haben, das mit Nordrhein-Westfalen zu tun hatte. Schulpolitik fiel weg, weil es da in Europa nichts zu sagen gibt. Forschungspolitik war schon interessant. Und dann gab es die Chance, energiepolitischer Sprecher zu werden, und dann hat sich das so entwickelt . . . 

. . dass Sie unter anderem für den Erhalt der Glühbirne gekämpft haben.

Reul: Das war ja mehr ein Symbol. Ein Symbol für zu viele Regeln.

Ein EU-Image, gegen das Sie vehement gekämpft haben.

Reul: Klar, weil Europa viel mehr kann, als nur scheinbar sinnlose Regeln aufzustellen.

Herr Pakendorf, bringen sie die Geduld mit, die man offenbar als Europapolitiker braucht?

Pakendorf: Die braucht man tatsächlich, wenn man sieht, was in Europa für dicke Bretter gebohrt werden. Ob es die Frage nach einer einheitlichen Asylgesetzgebung auf europäischer Ebene ist oder Fragen der Gestaltung des Binnenmarktes. Da müssen viele kleine Schritte gegangen werden. Wenn ich Sport gemacht habe, war das immer Ausdauersport.

Reul: Ich war immer ungeduldig, war nie zufrieden, wollte immer mehr und schneller, aber man bekommt sehr schnell mit: Man bekommt es nur hin, wenn man an einem dicken Brett mitbohrt. Und da muss man dranbleiben.

Was war das dickste Brett, an dem Sie mitgebohrt haben?

Reul: Da gab’s einige. Was mich überrascht hat, war das eigentlich kleine Thema mit der Zeitumstellung . . .

Ihr Brett, das jetzt – zwei Jahre nach Ende Ihrer Amtszeit – endlich durchgebohrt ist  . . .

Reul: Ja, obwohl ich anfangs dafür als Idiot verspottet worden bin. Wissen Sie, was das Schönste am Ende dieser langen Geschichte ist?

Nein.

Reul: Dass dies am Anfang allein der Wunsch einer einzelnen Bürgerin war, die mir geschrieben hat. Ich habe es auch nicht ganz verstanden, aber ich habe vor allem gesagt: Auch diese Bürgerin hat ein Recht darauf, dass ich mich kümmere. Bei der Antwort der Europäischen Kommission, habe ich gemerkt: Sie wollen gar nicht richtig antworten. Und dann kam der Jagdinstinkt, und dann hab ich nicht mehr losgelassen. Wenn ich diesen Brief heute noch hätte, dann würde ich dieser Frau sagen: Sie haben als einzelne Frau in der Politik etwas bewegt. Das geht. Und zwar europäisch.

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CDU-Parteifreunde mit Europaambition und -erfahrung: Uwe Pakendorf (l.) und Herbert Reul

Als Sie nach Brüssel gingen, hatte die EU längst noch nicht das Interesse und die Aufmerksamkeit in der Bevölkerung wie es die Umfragen im Europawahl-Jahr 2019 widerspiegeln. Haben die Menschen mittlerweile gemerkt, dass Europa ihr Leben prägt?

Reul: Leider nicht immer, weil vieles zum Glück selbstverständlich ist: Frieden, offene Grenzen, der Euro, das Roaming-Aus. Aber immer, wenn es irgendwo hakt, dann werden sie mobil. Und jetzt merken die Menschen gerade, das ganze Projekt könnte in die Hose gehen. Ereignisse wie der Brexit treiben die Menschen zur Wahlurne.

Pakendorf: Das ist auch das, was ich in allen Podiumsdiskussionen und Gesprächen im Wahlkampf merke: Der Brexit überstrahlt alles. Die Leute sind besorgt um Europa. Das ist auch beruhigend, dass den Menschen das klar wird.

Reul: Der Brexit in einer unsicheren Welt mit Erdogan, Trump und Putin zeigt den Menschen: Es ist brenzlig, wir müssen uns drum kümmern.

Ist den Menschen die Bedeutung der EU wieder bewusstgeworden?

Reul: Ja, die Leute merken, was sie an Europa haben. Und deshalb wird der ganze Kleinkram vergessen. Es geht ums Große, es gibt wieder eine Idee.

Gab’s solch eine Bewegung auch in Ihrer Amtszeit als EU-Abgeordneter?

Reul: Nein. Das ist schon außergewöhnlich jetzt. Gerade die Unterstützung von Menschen, die vorher mit Politik eigentlich gar nichts zu tun hatten, die ist schon toll.

Pakendorf: Die Politikunfähigkeit in Großbritannien zeigt vielen Menschen auch, dass nicht die EU das Problem darstellt und handlungsfähiger ist als viele meinen.

Reul: Ich glaube auch, dass nicht noch ein Land auf die Idee kommen wird, auszusteigen. Das ist jetzt durch. Denn: Du siehst den Schmerz.

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Trotzdem legen die Parteien gerade am rechten Rand noch zu, die ja auch sehr EU-kritisch bis ablehnend sind.

Reul: Ja, aber das hat nichts mit Europa zu tun, sondern das ist Ausdruck dieser allgemeinen Nörgelstimmung.

Bedauern Sie manchmal, dass Sie in solch einer wichtigen Zeit für die Europäische Union nicht mehr in Brüssel dabei sind?

Reul: (lächelt) Nein, ich habe jetzt auch eine sehr spannende Aufgabe. Aber klar, manchmal durchzuckt’s einen dann doch.

Zum Beispiel wenn ein Thema wie die Sommerzeit-Debatte dann endlich zu einem Abschluss kommt?

Reul: Ja, da haben mir viele Abgeordnete eine SMS geschickt.

Das war schon ein Thema, mit dem man auffällt, oder?

Reul: Wenn man pointiert Politik macht, fällt man auf.

Macht Uwe Pakendorf, der ja aus Ihrem CDU-Heimatkreisverband kommt, pointiert Politik?

Reul: Abwarten... Er gehört ganz offenbar nicht zu denen, die lauwarm daherreden.

Pakendorf: Das wollen die Menschen aber auch nicht mehr. Es müssen klare Positionen her, auch in der Europapolitik.

Was sind Ihre?

Pakendorf: Ganz klar: eine Sozialunion will ich nicht, aber es ist wichtig, dass wir in der Verteidigungspolitik und der Inneren Sicherheit stärker zusammenarbeiten als bisher.

Kann man von Herbert Reul lernen, wenn man ins Europaparlament will?

Pakendorf: Herbert Reul war für mich immer ein sehr großer Stratege, der es geschafft hat, Mehrheiten für Entscheidungen zu gewinnen. Dafür braucht es einfach ein großes Fingerspitzengefühl. Und das zeigt er auch heute als NRW-Innenminister.

Reul: Fingerspitzengefühl? Na ja, vielleicht heute mehr als früher (lächelt).

Nutzt Ihnen auch Ihre Erfahrung aus Europa bei der jetzigen Arbeit als Innenminister?

Reul: Oh ja, als ich vor wenigen Wochen nach Griechenland gefahren bin und mich an der griechisch-nordmazedonischen Grenze um das Thema Frontex gekümmert habe. Wir müssen uns daran mit Beamten beteiligen, auch wenn wir in NRW zu wenig Polizisten haben, das weiß ich. Aber Innere Sicherheit ohne sichere Außengrenzen gibt es nicht.

Wo hat sich die EU am stärksten verändert gegenüber der Zeit, als Sie erstmals ins Europäische Parlament gewählt worden sind?

Reul: Es ist ein bisschen vom Europa der Träumerei zu einem pragmatischen, sich kümmernden Europa geworden. Der negative Teil ist: Aus dem Europa der Gemeinsamkeit ist ein Europa der Egoismen geworden. Zu viele Staaten sehen nur noch ihre eigenen Interessen und machen mit dem Thema EU zu Hause Politik – wie in Großbritannien.

Was ist das wichtigste Argument für die Europäische Union?

Pakendorf: Heute wahrscheinlich dasselbe wie damals schon: Wenn man ein Leben in Freiheit, in Frieden und in Wohlstand will, dann gibt’s keine Alternative zur Europäischen Union.

Reul: Genau so.

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