Kreis-Dezernent Wölwer geht in Ruhestand„Ich bin einer der Urväter der Grünen“

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Gerd Wölwer ist Dezernent für Umwelt und Planung des Rheinisch-Bergischen Kreises. 

  • Gerd Wölwer gründete 1979 mit anderen zusammen die Alternative Grüne Liste Leverkusen.
  • In Leverkusen ist Wölwer ehrenamtlicher Bürgermeister und seit vielen Jahren kommunalpolitisch aktiv.
  • Wölwer nimmt für sich in Anspruch, das Thema Klima- und Umweltschutz früh im Kreis vorangetrieben zu haben.
  • Der begeisterte Fußballfan ist auch Mitgründer des ersten Fanclubs von Bayer 04 Leverkusen.

Nach 32 Amtsjahren beim Rheinisch-Bergischen Kreis geht Gerd Wölwer Ende des Monats als Dezernent für Umwelt und Planung in den Ruhestand. Über grüne Pionierarbeit, den Weg durch die Instanzen, seinen Enkel Vincent und den Mut, auch Fehler zu machen, hat Guido Wagner mit dem 65-jährigen Diplom-Ingenieur gesprochen.

Umweltthemen lagen Ihnen offenbar schon immer am Herzen, Sie sind Grüner und haben doch Ihre Laufbahn einmal ganz woanders begonnen: als Chemielaborant bei Bayer. Wie kommt man von dort in den Umweltschutz?

Stimmt, mit 15 habe ich eine Lehre als Chemielaborant bei Bayer gemacht und danach dort auch noch zwei Jahre gearbeitet. Auf dem zweiten Bildungsweg habe ich dann Chemie studiert. Dabei habe ich mich auf das Wasser spezialisiert: Abwasseranalytik und Abwasserreinigung. Dadurch bin ich zum Staatlichen Amt für Wasser- und Abfallwirtschaft nach Bonn gekommen.

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Und parallel dazu sind Sie Grüner geworden?

Zusammen mit fünf, sechs anderen habe ich 1979 in Leverkusen die Alternative Grüne Liste Leverkusen gegründet, mit der wir auch gleich in den Leverkusener Stadtrat gekommen sind.

Gab es für Sie eine Initialzündung, sich politisch zu engagieren?

In der Alternativen Grünen Liste sind eine ganze Reihe von Strömungen zusammengekommen: Da waren unzufriedene SPD-Mitglieder, die christliche Friedensbewegung, die Anti-AKW-Bewegung, und da waren die „Körnerfresser“ mit drin, die sich ganz gesund ernährten. Das war damals eine ähnliche Aufbruchsstimmung wie wir sie heute mit „Fridays for Future“ erleben. Eine Bewegung, die mit dem damaligen Parteiensystem unzufrieden war. Und wir waren ziemlich überrascht, wie viele wir waren. Zur ersten Versammlung, zu der wir mit zwei, drei Leuten aufgerufen hatten, kamen fast hundert Leute ins Gemeindezentrum nach Steinbüchel.

Aus welcher Richtung kamen Sie?

Ich kam aus der Friedensbewegung, weil ich mich damals mit der Kriegsdienstverweigerung auseinandergesetzt habe. Aber auch aus der Anti-AKW-Bewegung, weil ich natürlich damals bei den großen Demonstrationen in Wackersdorf, Gorleben und Brokdorf war.

Damit sind Sie ja eigentlich einer der Urväter der Grünen?

Klar, die Grünen haben sich erst ein Jahr später gegründet.

1987 kamen Sie dann zur Kreisverwaltung. Gleich mit dem Ziel, mal Dezernent zu werden?

Wissen Sie, Lebensläufe sind ja meistens unvorhersehbar. Ich war hier beim Kreis zunächst lange in der Unteren Wasserbehörde. Und alle wussten um mein politisches Engagement in Leverkusen. Und irgendwann wurde dann mal von der SPD die Forderung aufgestellt: Wenn wir dem Haushalt zustimmen sollen, muss aber irgendwas mit Klimaschutz passieren. Das war 1996/97. Und dann wurde hier im Haus jemand gesucht, der das Thema schon mal gehört hatte und wusste was sich dahinter verbirgt . . . Dann kam man auf mich.

Aber Sie saßen doch in der Unteren Wasserbehörde.

Ja, und mit Klimaschutz hatte ich eigentlich nichts zu tun, aber ich konnte dem damaligen Kreisdirektor Knut-Georg Ebel einen schönen Vermerk schreiben. Und wie das dann so ist, hat man das Thema. So wurde das Thema Klimaschutz in der Unteren Wasserbehörde angesiedelt. Zwei Jahre später war es das Thema Agenda 21. Alles Themen, die Prozesse beinhalten, bei denen man von unten nach oben arbeiten muss und man am Ende ein Ergebnis hat, hinter dem alle stehen können und bei dessen Umsetzung alle helfen.

Zur Person

1954 wurde Gerd Wölwer im Landkreis Cochem-Zell geboren und hat dort bis zu seinem zweiten Lebensjahr gewohnt. Nach dem Realschulabschluss absolvierte wer eine Ausbildung zum Chemielaboranten, studierte Chemie und wurde Diplom-Ingenieur.

Ab 1978 arbeitete er beim Staatlichen Amt für Wasser- und Abfallwirtschaft in Bonn, bevor er 1987 zur Unteren Wasserbehörde des Rheinisch-Bergischen Kreis wechselte.

2005 übernahm er die Leitung des Amtes für Infrastruktur und regionale Projekte, 2012 zudem das Amt für Bildung.

2016 wurde er Dezernent für Umwelt und Planung und trug die Verantwortung für die die Bereiche Bauen, Umwelt-, Landschafts- und Naturschutz, Kreisstraßenbau, ÖPNV, Kataster sowie Infrastruktur und regionale Projekte

In seiner Freizeit hat Gerd Wölwer 1976 den ersten Fan-Club von Bayer 04 Leverkusen mit aus der Taufe gehoben, 1979 ebenso die „Alternative Grüne Liste – AGL“ in Leverkusen. 1984 wurde er in den Leverkusener Stadtrat gewählt, dem er bis heute angehört. Zudem ist er ehrenamtlicher stellvertretender Bürgermeister. 

Als Dezernent des Rheinisch-Bergischen Kreises war Wölwer unter anderem dessen Vertreter in den Gremien der Biologischen Station Rhein-Berg, des Wasserversorgungsverbands Rhein-Wupper, der Leader-Region Bergisches Wasserland, der Wupsi, des Bergischen Energiekompetenzzentrums Metabolon sowie des Holzclusters Bergisches Land. Gerd Wölwer hat eine erwachsene Tochter und einen Enkel. (wg) 

Der Beginn Ihres Aufstiegs?

Na ja, ich hatte halt den Vorteil, dass ich durch meine politische Arbeit Themen kannte, die hier im Haus noch nicht so bekannt waren. Und als es dann schließlich darum ging, im Rahmen der Regionale 2010 genau solche Prozesse aufzulegen und Projektentwicklung zu betreiben, basisdemokratisch von unten nach oben, da wurde unter Kreisdirektor Oliver Wolff die Kreis- und Regionalentwicklung gegründet und man hat mich gefragt, ob ich das machen wollte.

Hätten Sie 1997 gedacht, dass Klimaschutz gut 20 Jahre später einmal eine solche Bedeutung erlangen könnte, dass er Bewegungen wie „Fridays for Future“ auslösen, ja sogar eine ganze Europawahl mitbestimmen könnte?

Ja, denn die wissenschaftlichen Erkenntnisse haben wir mindestens so lange. Und mittlerweile werden sie auch leider spürbar. Es gibt ja immer zwei Anlässe zu handeln: Der eine ist die Not und der andere die Erkenntnis. Jetzt ist uns die Notwendigkeit von Klimaschutz ja auch im Bergischen ganz konkret bewusst geworden: Überschwemmungen, Hitzeschäden, Schädlingsbefall. Deshalb haben wir ein Klimaschutzkonzept erarbeitet und entwickeln eine Vorsorgestrategie gegen Überschwemmungen sowie Starkregen.

Und bei der Mobilität haben Sie sich auch viele Gedanken darüber gemacht, wie’s weitergeht.

Ja, auch in diesem Bereich müssen wir alle neue Wege gehen. Insofern kann man sagen: Wir haben in den vergangenen Jahren an den richtigen Themen gearbeitet und erhalten heute durch die aktuelle Situation den entsprechenden Rückenwind. Und haben dadurch einen entsprechenden Vorsprung.

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Das war – wie Sie bei Ihrer Verabschiedung im Kreistag gesagt haben – auch 1987 schon für Sie ein Grund, vom Staatlichen Amt für Wasser- und Abfallwirtschaft zum Rheinisch-Bergischen Kreis zu wechseln . . .

Ja, der Kreis war in vielen Bereichen schon damals mit Pilotprojekten unterwegs. Und das ist auch so geblieben. Wie jetzt auch wieder durch den Energy Award in Gold deutlich wird. Der war ja vorher nur für Städte und Gemeinden gedacht. Und wir haben ihn zusammen mit dem Kreis Detmold umgestrickt auch auf Kreise.

Wie sieht’s denn mit dem Ergebnis der Bewerbung des Kreises aus?

Die Kommission war da, jetzt muss noch eine Jury drüberschauen. Sagen wir mal so – ich bin ja auch Fußballer. In der 90. Minute stand es 1:0. Jetzt guckt der Video-Schiedsrichter drüber und dann steht im Herbst die Preisverleihung an.

Vier Jahre lang waren Sie zuletzt Leiter des Dezernats Umwelt und Planung. War dabei auch die ehrenamtliche Arbeit als Kommunalpolitiker hilfreich?

Die Stärke des Dezernats ist sicher, dass man den Ordnungs- und den strategischen Bereich darin zusammengefasst hat. Denn sonst ist es ja immer so, dass die einen die tollen Ideen haben und die anderen dann sagen müssen, was jetzt davon gerade nicht geht. Das haben wir anders gemacht: Die, die Ideen hatten, haben von Anfang an die anderen zu Mittätern gemacht. So haben wir nicht den einen zum Ideengeber und den anderen zum Spielverderber gemacht. Wenn man dann auch noch den Einblick in die Politik hat wie ich, hat man dann den Vorteil zu wissen, wie man das Ganze verkauft. Man läuft nicht die Gefahr, ins Abseits zu laufen, weil die Politik dies oder das ganz anders sieht.

Haben Sie sich schon mal getäuscht bei einem Thema?

Ne, ich kann Ihnen jetzt nicht mal das Thema „Wandern in Naturschutzgebieten“ nennen, bei dem ich mich getäuscht hätte. Da war eigentlich das Ziel das gleiche, dass man bestimmte Dinge in Einklang bringt und einfacher macht. Am Ende war’s doch sogar noch wertvoll, da noch eine Ehrenrunde zu drehen und gemeinsam noch eine bessere Regelung zu suchen. Wir haben jetzt ein viel besseres Verhältnis zu den Wanderverbänden. Vorher kannten wir die doch gar nicht – und die uns auch nicht. Heute wissen wir, dass wir im selben Boot sitzen und rudern jetzt gemeinsam.

Hätten man das nicht auch einfacher haben können?

Natürlich hätte man’s einfacher haben können, aber dann braucht man auch hellseherische Fähigkeiten. Ich finde: Was uns ein Stück weit abhandengekommen ist, ist der Mut, auch mal Fehler zu machen. Wenn wir Dinge bewegen wollen, müssen wir auch den Mut haben, mal Fehler zu machen. Sonst frisst die Angst vor Fehlern jede Innovation auf.

Darf man in der Kreisverwaltung Fehler machen?

Bei vielen Themen wie der Regionale, dem Mobilitätskonzept oder der Beschäftigung mit dem Klimawandel wissen wir ja vorher nicht, wo wir nachher landen werden. Das heißt: Niemand garantiert uns am Anfang eines Prozesses den Erfolg. Und trotzdem gehen wir hinein. Und dann ist dieses Haus auch in der Lage, wenn man mal einen Fehler macht oder sich mal verrennt, das zu akzeptieren. Ich habe hier nie die Kultur erlebt „Wer ist es schuld?“, sondern immer die Kultur „Wie kann man es besser machen?“. Vielleicht gibt genau das einem den Freiraum, auch mal andersherum zu denken. Und wir haben hier das große Glück, dass wir einen großen Schulterschluss zwischen Verwaltung und Politik haben, ohne dass das in Kumpanei ausartet. Das ist nicht überall so.

Wie war Ihre Rolle in dem Dezernat, in dem sowohl Ordnungsinstanzen als auch innovative Bereiche zusammengefasst sind?

Ich habe mich nie als oberster Sachbearbeiter gesehen, sondern eher als Moderator.

Sind Sie durch die Arbeit mehr Leverkusener oder mehr Rhein-Berger geworden?

Ich bin und bleibe Eifeler. Im Landkreis Cochem-Zell geboren. Dort habe ich zwar nur bis zu meinem zweiten Lebensjahr gewohnt, aber wenn man in der Eifel geboren wurde, dann bleibt man auch Eifeler.

Was an Ihnen macht denn den Eifeler aus?

Das heißt bodenständig und heimatverbunden.

Und es zieht auch noch regelmäßig in die Eifel?

Ja, ich habe zusammen mit meiner Frau an der Mosel ein schönes altes Pfarrhaus gekauft. Das haben wir jetzt renoviert, und das wird dann so ein bisschen Spielbein bleiben, aber immer nur als zweiter Wohnsitz. Mein Lebensmittelpunkt ist und bleibt Leverkusen.

Was kommt nach dem letzten Tag im Kreishaus?

Ich werde sicher mal mehr Zeit haben, mit anderen Rentnern am Trainingsgelände meines Klubs Bayer 04 Leverkusen stehen zu können und es alles viel besser zu wissen. (grinst)

Haben Sie auch das Trainer-Gen?

Klar. Die Gründung der Grünen Alternativen Liste in Leverkusen war ja nicht mein erstes Lebenswerk.

Sondern?

1976 habe ich den allerersten Fußballfanclub von Bayer 04 mit gegründet, den es heute noch gibt. Dazu haben wir im alten Haberland-Stadion Unterschriften gesammelt. Mit denen bin ich dann zum Verein und habe gefragt: Hier, unterstützt Ihr uns? Da haben die uns einen Zuschuss gegeben zu den ersten Trikots, die wir gekauft haben. Ich war beim ersten Bundesliga-Spiel in München dabei, beim ersten Europapokal-Spiel in Kalmar beim ersten Pokal-Endspiel in Berlin, zum ersten Uefa-Pokal-Endspiel in Barcelona und zum Champions-League-Endspiel in Glasgow.

Gibt’s auch etwas ganz Neues, das Sie nach Ihrem letzten Arbeitstag reizt? Ja. Meditative Selbstfindung.

Das hört sich interessant an.

Ich werde mit dem Fahrrad nach Berlin zu meiner Tochter und ihrer Familie fahren. Ich habe ja in den vergangenen 35 Jahren in einer anderen Welt, in einer Arbeitswelt gelebt, und da gab es Ziele, da gab es auch einen gewissen Ehrgeiz, Netzwerke, in denen man sich bewegt hat, und Einladungslisten, auf denen man stand. Mit dem Eintritt in die Rente kommt da eine Art Zäsur. Und das heißt, man muss sich neu aufstellen. Dazu soll diese Tour dienen. Was sind neue Lebensziele? Was sind neue Werte an sich? Und ich glaube, da ist es ganz gut, wenn man mal drei Wochen mit sich allein ist, auf dem Fahrrad sitzt, ein gewisses Ziel hat, aber den Weg dahin noch nicht genau kennt.

Bleiben Sie politisch aktiv?

In jedem Fall. Künftig werde ich dann nur noch ein Mütze aufhaben – die des Lokalpolitikers in Leverkusen.

Gibt es Etwas, das Ihre berufliche Arbeit und Ihr ehrenamtliches Engagement verbunden hat?

Am Ende geht es doch hier wie dort darum, die Dinge so zu gestalten, dass auch mein Enkel Vincent noch was davon hat.

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