Frauenforum in KürtenEntspannung am Kahnweiher

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Kürten – Früher ging es an Sommertagen zum Kahnweiher ins Dürschtal. In Obersteeg, dem Bahnhof an der Sülztalstrecke, stiegen die Sommerfrischler aus der Großstadt Köln aus dem Zug und wanderten gut gelaunt durchs grüne Bergische zu den Bötchen. Immerhin ein Fußweg von mehr als zwei Kilometern. Oder die Ausflügler nahmen einen Bus der Wupper-Sieg. 1912 war die Eisenbahn ins Sülztal gekommen, die Buslinie von Bergisch Gladbach nach Dürscheid folgte über die neue Chaussee 1924. Die bergische Landluft zog die Städter magisch an, die Wiesen und Wälder eine Wohltat. Und: Die größere Mobilität erschloss größere Freiheiten, auch für Frauen, die ohne Bahn- und Buslinien kaum die Chance gehabt hätten, ins Bergische zu reisen. Über diese Sommerfrische im Bergischen und den heute fast vergessenen Kahnweiher zu Dürscheid kann Ute Jülich (75) viel erzählen. Die pensionierte Geografielehrerin, die ihren Ruhestand in Kürten-Dürscheid verbringt, geht mit offenen Augen durch ihre Umgebung. „Auch mal abseits der Wege“, erzählt sie bei der jüngsten Exkursion des Kürtener Frauenforums.

Die Frauen, eine offene Runde, geleitet von Kürtens Gleichstellungsbeauftragter Ute Ströbel-Dettmer, staunten sehr. Kaum eine wusste, dass vor 80 Jahren Dürscheid ein bevorzugtes Ausflugsziel im Bergischen gewesen war. Höchstens vom Hörensagen war das Thema noch in Erinnerungen präsent. Heute zeuge aber noch die lebendige Gastwirtschaftsszene von diesen Zeiten, erklärte Ute Jülich. Die damaligen Ausflügler fanden sogar den Weg bis ins Dorf hinein, zum Dürscheider Hof, zu Haus Oessenich und zum Gasthaus Buchholz. „Das wäre uns heute viel zu weit für eine Wanderung.“

Die Kähne lagen am Dürschbach, der, unterhalb der Ortslage zu einem großen See gestaut, „Dürscher Kahnweiher“ genannt wurde. 5000 bis 6000 Quadratmeter groß war der Ruderteich, an dessen Ufer die Sonntagsgäste flanierten. Historische Zeitungsanzeigen hat die Forscherin entdeckt, in denen für das Dürscheider Ausflugsziel geworben wird. „15 Kähne hat es hier gegeben. Sie sollen nach einem besonderen Patent angefertigt worden sein.“ Ab 1925 lud der Kahnweiher zum Promenieren ein. In Anzeigen bewarb Unternehmer Rudolf Lange seine „Kahnfähre“ als Ausflugsziel.

Aber die Blütezeit währte nur kurz. Schon um 1934 war Schluss mit dem Bootsverleih am kleinen Stausee. Offenbar rentierte sich die Sache nicht mehr für Lange, der etwa einen Kilometer unterhalb des Weihers in der repräsentativen Villa der Dürscheiderhütte wohnte. Nur wer vom Kahnweiher weiß, kann ihn sich heute an der Landstraße vorstellen. Immerhin: Einer der Stauwälle als Relikt vergangener Zeiten ist noch in Ansätzen vorhanden. Rudolf Lange, so schilderte es Ute Jülich beim Ausflug des Kürtener Frauenforums, muss eine bemerkenswerte Persönlichkeit gewesen sein. Strategisch zielsicher erwarb er das Haus der Dürscheiderhütte. Eine mächtige Anlage, damals wie heute ein paar Schritte abseits der Landstraße.

Eine Hälfte des Hauses diente Lange als Fabrik. Als „Lange & Söhne“ firmierte die Unternehmung, die erfolgreich im Bereich der Elektrotechnik unterwegs war. Mit Wasserkraft und einer Turbine erzeugte der Tüftler Strom, den er in Batterien einspeiste. Diese Batterien vermietete Rudolf Lange. So kamen einige Häuser in Dürscheid lange vor der allgemeinen Elektrifizierung zu elektrischem Licht. „Rudolf Lange war ein Mann mit großem Erfindungsreichtum“, sagt Ute Jülich. Wie bei den patentierten Kahnweiher-Bötchen habe er auch im Elektrobereich vieles erforscht und vorangetrieben. Zum Ausflug hatte sie alte Aufnahmen mitgebracht. „Die Fenster des Wohnhauses sind noch genau wie sie damals gewesen sind. Auf der einen Seite der Anlage befanden sich die mechanischen Werkstätten, auf der anderen die Wohnräume der Familie.“ Dass das Wohnhaus später erweitert worden sei, belegten die Aufnahmen deutlich. Ein Zutritt ins Gebäude ist beim Ausflug aber nicht möglich. So bleibt die Ausflüglergruppe am Eingangstor stehen und wirft einen Blick auf das Haus mit seinen weitläufigen Gartenanlagen. Das Haus befindet sich bis heute im Familienbesitz der Langes.

Nun könnte die Gruppe den Rückweg antreten. Im Bergischen Café, früher Haus Gassen, eine Gründung der Kahnweiher-Zeit, soll zum Schluss eingekehrt werden. Doch Ute Jülich weiß noch mehr zu berichten. Vor allem von der ersten Blütezeit der Dürscheiderhütte.

Ab 1770 wurde im Dürschtal Eisen verhüttet, eine seinerzeit im Bergischen weit verbreitete Frühform der Industrialisierung. Fast 100 Jahre lief der Eisenschmelzofen, ehe er 1859 stillgelegt wurde. Noch heute liegt an der Auffahrt zum Hof der letzte Abstich der Eisenschmelze; als ein kleiner schwarzer Haufen erkennbar. Verhüttet wurde Brauneisenstein aus den Gruben Katharinaglück und Luther.

Ute Jülich ist begeistert, diesen Teil der Dürscheider Geschichte für sich und das Frauenforum erobert zu haben: Kahnweiher und Eisenschmelze, wichtige Kernpunkte zu ganz unterschiedlichen Zeiten im Dürschtal. 1854, kurz vor der Stilllegung, habe der Inventarwert der Hütte knapp 20 000 Taler betragen. Bis zu 3000 Kilogramm an Roheisen habe die Hütte verarbeiten können.

Der Hohlweg unweit der Dürscheiderhütte ist der nächste Zeuge der Vergangenheit. Es ist der Churfürstenweg oder Kleine Heerweg, der parallel zum Großen Heerweg auf dem Höhenrücken verläuft – von Köln über Bensberg weiter zum Amtssitz Steinbach. Dass sich direkt am Hohlweg eine beeindruckende Gesteinsfalte als „Steinbruch“ aus dem 350 Millionen Jahre alten Devon erhalten hat, ist für Ute Jülich das Sahnehäubchen ihres Ausflugs. Eine Teilnehmerin sagt am Schluss: „Mich hat beeindruckt, wie schnell Vergangenheit lebendig werden kann.“

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