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LagerkollerWozu der Chefarzt der Bergisch Gladbacher Psychiatrie jetzt rät

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Dr. Fritz-Georg Lehnhardt

Dr. Fritz-Georg Lehnhardt

Über die besonderen Ängste und Sorgen der Menschen in Corona-Zeiten sprach Birgit Eckes mit Privat-Dozent Dr. Fritz-Georg Lehnhardt, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Evangelischen Krankenhaus in Bergisch Gladbach.

Die Menschen befinden sich derzeit in einer Ausnahmesituation, wie sie sie noch nie erlebt haben. Da ist zum einen die Angst vor dem Unbekannten, zum anderen die massive Beschneidung ihrer Freiheit. Was macht diese Unsicherheit mit ihnen?

Wir sehen zwar die erschreckenden Bilder aus Italien und aus anderen Ländern, befinden uns aber noch in einer angespannten Erwartungshaltung, die man psychologisch auch als Erwartungsangst beschreiben könnte. Die bisher beschlossenen und umgesetzten Maßnahmen zur Prävention und Eindämmung der Infektion verstärken diese Erwartungsangst, je einschneidender und spürbarer sich diese für uns persönlich auswirken.

Es gibt Stimmen, die bereits vom kleinen Glück der Beschränkung reden und darüber, dass der Verzicht auf Überfluss im Konsum und ein Übermaß an sozialen Kontakten die Menschen erdet. Was halten Sie von dieser These?

Das ist ein positiver und sehr gesunder Ansatz. Auch aus psychologischer Sicht ist es ganz entscheidend, sich seiner Möglichkeiten, Chancen und Stärken bewusst zu werden, die aus dieser Situation erwachsen können, einfach gesagt: „Machen wir das Beste daraus“. Andererseits: Untätig sein, sich von den Veränderungen übermannt fühlen und in der letztlich ja von außen verordneten Passivität verharren, ist sicherlich problematisch. Es fördert unweigerlich negative Gefühle, die Angst, Besorgnis und niedergedrückte Stimmung, aber auch Gereiztheit und Aggressivität umfassen können.

5 Strategien für das seelische Gleichgewicht

1 Eine feste Tagesstruktur einhalten

2 Den Medienkonsum im Blick behalten, nur eindeutig seriöse Nachrichtenquellen nutzen, den Laptop und das Handy auch mal ein paar Stunden ausschalten

3 Positive Dinge einplanen: etwas Gutes für sich tun, neue Bücher entdecken, sich ein leckeres Essen von einem Gastwirt nach Hause holen, die Blumen auf dem Balkon umtopfen, etc.

4 Soziale Distanz überwinden: Zum Beispiel mal Freunde anrufen, die man schon lange nicht mehr gesprochen hat, Nachbarn und Bekannten zur Seite stehen und Anteil nehmen.

5 Bei psychischen Krisen professionelle Hilfe holen

Ganz zu schweigen von der existenziellen Not, in die viele Menschen jetzt gerissen werden.

Das lässt sich nicht beschönigen. Deshalb finde ich es gut und wichtig, dass die Politik jetzt ein riesiges Finanzvolumen mobilisieren will, um zu helfen. Und es ist auch richtig, dass dies so vehement in einer starken Sprache kommuniziert wird. Aus psychologischer Sicht ist es extrem wichtig, dass diese Botschaft ankommt: Ihr könnt euch auf uns verlassen, wir stellen Euch die notwendigen Hilfen bereit.

Gibt es Strategien, mit den Ängsten und Unsicherheiten zurechtzukommen?

Aus der Psychotherapie ist bekannt, dass unser Fühlen ganz maßgeblich von unserem Denken und Handeln beeinflusst wird. Jedem negativen Gedanken sollten wir einen positiven Gedanken gegenüberstellen: Wir haben in Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, unsere Wirtschaft ist stabil und belastbar, auch diese Krise werden wir ganz zweifellos überstehen. Über ein positives Denken können wir leichter auf der Handlungsebene aktiv werden. Wir entwickeln unsere ganz persönlichen Strategien, mit der Situation umzugehen. Dies hat positiven Einfluss auf unsere Gefühle: Ängste, Besorgnis und das Gefühl der Hilflosigkeit werden weniger. In der Psychologie spricht man hier von Selbstwirksamkeit.

Mehr Beratung

Über 1500 Menschen mit psychischen Belastungen und Erkrankungen nehmen im Jahr die Beratungs- und tagesstrukturierenden Angebote des Vereins „Die Kette“ in Anspruch. „Die Isolation und die negative Nachrichtenflut können gerade für Menschen mit psychischen Erkrankungen sehr belastend sein,“ sagt Fachgebietsleiter Klaus Jansen. Da persönliche Kontakte mit den Betroffenen zurzeit nur sehr eingeschränkt möglich sind, hat die Kette e.V. eine Hotline für regelmäßige Besucher, aber auch für belastete Bürger eingerichtet. Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr beantworten Fachkräfte Fragen zum Umgang mit der Krise, geben Tipps zur Alltagsstrukturierung, vermitteln Einkaufshilfen und Kontakte.

Beratungshotline unter (02202) 25 61 0 E-Mail: info@die-kette.de Ein Angebot für Ratsuchende macht auch die Online- und Telefonberatung der Katholischen Familienberatungsstelle in Bergisch Gladbach. Wer das Angebot nutzen möchte, meldet sich telefonisch oder per Mail an. Offene Sprechstunden findet statt am Donnerstag, 2, 9. und 16. April, 14-17.30 Uhr.

Anmeldung unter (02202) 34918 E-Mail: info@efl-bergisch-gladbach.de

Im Moment hat man noch das Gefühl, für viele ist der Ausnahmezustand eine Art Abenteuer. Was, wenn die Stimmung kippt und Unwille über die „Isolationshaft“ und die Beschränkungen aufkommt?

Zunächst mal haben wir sicherlich berechtigte Hoffnung, dass all diese Maßnahmen und Einschränkungen tatsächlich zu dem gewünschten Effekt einer Eindämmung des Tempos der Ausbreitung der Corona-Infektion führen. Wir werden dann eine schrittweise Deeskalation der Isolierungsmaßnahmen erleben, und das wird ganz viele positive Energien freisetzen. Falls es wider Erwarten doch zu längeren Einschränkungen kommen sollte, können niederschwellige Möglichkeiten einer individuellen psychologischen Beratung gefragt sein. In unserer Klinik haben wir bereits ein Krisentelefon eingerichtet, über das ganz unbürokratisch eine psychologische oder auch seelsorgerische Beratung durch Experten unserer Klinik erfolgen kann.

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Welche Erfahrungen machen Sie mit Ihren psychisch labilen Patienten? Sind Sie mehr oder anders gefordert als sonst? Steigt die Aggression?

Beeindruckenderweise erleben wir hier weder innerhalb der Klinik noch in unseren Ambulanz-Bereichen eine negative Entwicklung. Spürbar ist vielmehr, dass sich eine Art solidarisches Gefühl zwischen Professionellen und PatientInnen entwickelt. Der Umstand, dass wir alle gleichermaßen den Ereignissen und Entwicklungen ausgesetzt sind, wirkt sich meiner Einschätzung nach eher in einer Verstärkung der therapeutischen Beziehung aus - und die ist ein ganz wichtiger Wirkfaktor für unsere psychotherapeutische Arbeit.

Auf der Homepage der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Evangelischen Krankenhauses finden sich Kontaktdaten (Tel. 02202-122-3522, zwischen 8-16 Uhr) für eine psychologische oder seelsorgerische Telefonberatung durch Experten.www.evk.deDie Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) hat Empfehlungen für die seelische Gesundheit in der Corona-Krise herausgegeben.www.dgppn.de

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