Notruf in Rhein-Berg„Reizschwelle, 112 anzurufen, ist in der Bevölkerung gesunken“

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Unter dem Notruf suchen auch kranke Menschen Hilfe, die „nur reden“ möchten – nicht unproblematisch für die Retter.

Unter dem Notruf suchen auch kranke Menschen Hilfe, die „nur reden“ möchten – nicht unproblematisch für die Retter.

Rhein-Berg – Sie sind an den Fingern beider Hände abzuzählen: Menschen die immer wieder, meist ohne ernsthafte Erkrankung, die Leitstelle des Rheinisch-Bergischen Kreises anrufen und um Hilfe nachfragen. Diese Menschen sind dem leitenden Notarzt Dr. Peter Thienel, dem Leiter der Kreisleitstelle Axel Staehler und den meisten Disponenten, die Notfallanrufe entgegennehmen, namentlich bekannt. Die Anrufer haben in der Regel keine frische Herzattacke, haben sich nicht das Bein gebrochen oder sind aufgrund von Kreislaufbeschwerden umgefallen – und doch sind sie krank, brauchen Hilfe.

„Diese Anrufer sind häufig suchtkrank oder haben ein psychisches Leiden“, sagt Staehler. Obwohl den Rettern bewusst ist, dass die Anrufer meist nicht lebensbedrohlich erkrankt sind, wird der übliche Rettungsablauf eingeleitet, bis hin zur Alarmierung eines Rettungswagens. „Wer bei uns anruft, bekommt Hilfe“, sagt Kreissprecher Alexander Schiele. Und Staehler beschreibt, warum: „Wir fahren oft mal raus, nichts ist passiert, aber beim x-ten Mal ist der Anrufer ernsthaft krank.“ Der Leiter der Kreisleitstelle spricht aus Erfahrung, erzählt von einer Gruppe Menschen, die wiederholt die Retter alarmierten – ohne Grund. Bis dann doch einer der Männer einen Herzinfarkt erlitten hatte.

Menschliche Nähe gesucht

Oft suchen die kranken Menschen nur menschliche Nähe, wollen reden. Häufig erkennen die Retter schon am Telefon, dass bei den Daueranrufern keine vitale Bedrohung vorliegt, oft wurden diese Menschen schon mehrfach mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Dort wurde stets festgestellt, das keine behandlungswürdige Erkrankung vorliegt. „Die Anrufer sind aber häufig geschult, benutzen Schlagwörter, die uns praktisch zwingen, einen Rettungswagen zu schicken, um kein Risiko einzugehen“, sagt Staehler.

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Fällt eines dieser Wörter, zum Beispiel Tabletteneinnahme oder Herzinfarkt, entscheidet sich der Leitstellendisponent fast immer für das Rettungsfahrzeug. Staehlers Aussage bekräftigt Notarzt Dr. Thienel: „Wir können auch nach dem 20. Mal nicht sicher sein, ob nicht doch was ist.“ Die Einsätze sind nicht immer unproblematisch für die Retter. Das Klientel ist krank und die Reaktionen auf die Retter sind bei Einigen unvorhersehbar. Dr. Thienel: „Es kommt vor, dass Hilfesuchende auf uns losgehen. In einem speziellen Fall fahren wir nur mit Polizeibegleitung.“

Doch die Notfalleinsätze lösen das Problem der Hilfesuchenden langfristig nicht – es belastet nur Kreisleitstelle und Retter. Holger Drux, Leiter des Bereichs Feuerschutz und Rettungswesen beim Rheinisch-Bergischen Kreis: „Die Menschen rufen nicht aus bösem Willen an. Sie sind krank. Sie können schließlich Hilfe erwarten.“ So seien das Jugendamt, dass örtliche Sozialamt und die persönlichen Betreuer in der Regel mit im Boot, wenn es darum gehe, den Anrufern langfristig zu helfen. Allerdings müsse man sich immer vergegenwärtigen, dass die Hilfesuchenden grundsätzlich handlungsfähig seien. So sei es auch zu erklären, dass es selbst bei einer engmaschigen Betreuung immer wieder zu Anrufen komme.

Auch bei Menschen, die nicht psychisch erkrankt sind oder alkoholbedingt unter Kontrollverlust leiden, ist die Bereitschaft die 112 anzurufen, stark gestiegen. „Die Reizschwelle, die 112 anzurufen, ist in der Bevölkerung gesunken“, sagt Dr. Thienel und Staehler ergänzt: „Das Anspruchsdenken ist gestiegen.“ So sei es schon vorgekommen, dass ein Patient, der in der Notfallambulanz eines Krankenhauses eine Wartezeit in Kauf nehmen musste, kurzerhand nach Hause ging und über die Kreisleitstelle einen Rettungswagen (RTW) anforderte. „Der ist dann im Krankenhaus sofort drangekommen, weil er mit dem Rettungswagen ankam.“ In der Zukunft werden wohl auch Patienten, die mit einem RTW ins Krankenhaus kommen, einer Eingangsuntersuchung unterzogen werden, die die Dringlichkeit einer zeitnahen Behandlung überprüft.

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