Corona, Krankheit, AlterOdenthaler Buchhandlung schließt nach 22 Jahren

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Die richtigen Leser mit der passenden Lektüre zusammenzubringen, hat Ulrike Viering stets Freude bereitet. Auch Freundschaften sind dadurch entstanden. (Archivfoto)

Odenthal – Sie hat einen Hauch von Harry Potter nach Holz gebracht, Marie-Luise Marjans Kindheitsträume auf Schloss Strauweiler inszeniert und Fatma B.s Hennamond in der Provinz aufgehen lassen. Das Haus, in dem Ulrike Viering seit 22 Jahren Bücher verkauft, ist filmtauglich und gäbe eine romantische Kulisse ab: idyllisch gelegen mit einem pittoresken Eingangsbereich, der an ein kleines englisches Landhaus erinnert. Doch damit ist es bald vorbei. Zum Ende des Monats schließt sie die Ladentür für immer.

„Corona hat den Verkauf schwer beeinträchtigt, dann zwang mich Anfang des Jahres eine Erkrankung zum Nachdenken, und ich bin 70 geworden“, sagt sie, „einer dieser Punkte allein hätte schon für diesen Entschluss gereicht.“

Bücher waren und sind ihr Leben

Trotzdem ist er ihr nicht leichtgefallen. Bücher waren und sind ihr Leben. Die richtigen Leser mit der passenden Literatur zusammenzubringen, hat ihr Freude bereitet und Freunde gebracht. Viele Freundschaften sind im Gespräch über Bücher entstanden. Die fanden oft auch in der „Küche“ statt, zu der die angrenzenden Büroräume bei Lesungen umfunktioniert wurden. In den Pausen wurde Fingerfood kredenzt. Eine Lesung, zu der auch Hunde kamen, fand im Garten statt.

Ulrike Viering bespielte aber nicht nur die eigenen vier Wände, sondern unter anderem auch das Martin-Luther-Haus, das Alte Forsthaus, das Hotel Zur Post, ein Zirkuszelt und nicht zuletzt das Gymnasium Odenthal und die Grundschule Blecher. In beiden Einrichtungen hat sich die gelernte Bibliothekarin auch mit um den Aufbau einer Bücherei gekümmert.

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Ulrike Viering in ihrem Bücherladen (Archivfoto)

„Die Buchhandlung hat mich jung und die Treppe hat mich beweglich gehalten“, zieht sie Bilanz. Lediglich ein Buch sei ihr in all den Jahren unbezahlt abhanden gekommen, was in ihren Augen auch für das Verhältnis zu ihren Kunden spricht.

Lange Jahre hat sie das Geschäft gemeinsam mit ihrem Mann Peter geführt, der sich als Bankdirektor im Vorruhestand auch um die Finanzen kümmerte. Nach seinem Tod 2015 machte sie weiter, unterstützt von ihren Mitarbeiterinnen. „Ich hatte auch ein Gespür für die Menschen und wusste, was hier gefragt ist und was nicht.“

Extrem blutrünstige Krimis beispielsweise liefen nicht im beschaulichen Odenthal, „und ich habe auch keinen einzigen Porno verkauft“, schmunzelt sie, wobei sie „50 Shades of Grey“ ausdrücklich nicht zu dieser Kategorie zählt. Den freizügigen Sado-Maso-Dreiteiler habe (mit Ausnahme einer Kundin aus dem Altenheim) aber angeblich nie jemand für sich selber gekauft. Unterhaltsame Lektüre war gefragt, Regionales, sehr viel auch aus dem Kinderbuch-Bereich.

Lieber Papierbuch statt E-Book

Wenn die Schildgenerin Gaby Friedel vor Weihnachten Bücher vorstellte, war das Haus ebenso voll wie bei einer szenischen Märchenlesung mit Rosina Wastl, bei einer Krimilesung mit Oliver Buslau, bei der plötzlich das Licht ausfiel, oder bei einer Signierstunde mit Thomas Krüger und „dem Anton“, bei der jedes Kind eine individuelle Zeichnung ins Buch bekam und ein Exemplar sogar aus China geordert wurde.

Unvergessen bleibt auch eine Harry-Potter-Nacht, bei der Nachbar Jörg von Sommerfeld als Wildhüter Hagrid stilecht auf einem feuerspeienden Traktor die begehrten Bücher vor dem „peitschenden Tulpenbaum“ anlieferte.

Geändert haben sich die Lesegewohnheiten im Laufe der Zeit, vor allem mit dem Aufkommen der E-Books. „Aber wenn es gemütlich werden soll, dann nimmt man doch lieber ein Buch in die Hand“, stellt Viering fest.

Für die Buchhändlerin war Lektüre auch Dienst am Kunden. „Nicht jedes Buch habe ich selber gelesen, aber im Durchschnitt fünf pro Woche.“ Für die letzten Wochen bis zur Schließung ist sie von der Buchpreisbindung befreit. Den Kunden gewährt sie 20 Prozent Rabatt auf alles, was noch in den Regalen steht, und was bis zum 31. Juli nicht verkauft wird, will sie auch Bibliotheken zur Verfügung stellen. Sie selber möchte dann mehr unterwegs sein. „Ich habe drei Kinder und sechs Enkel, die alle in schönen Gegenden wohnen.“ Reisen will sie, aber auch eine neue Tätigkeit an ihrem Wohnort beginnen: „Ich werde demnächst Lese-Oma im Awo-Kindergarten“, kündigt Viering an.

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