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Kahlschlag mit SystemBaumfällungen in Odenthal – Ein Pro und Contra

Lesezeit 5 Minuten
Die Hauptstraße nach Altenberg, an der Manfred Müller wohnt, ist kaum wiederzuerkennen, seit Straßen NRW hier großflächig Bäume und Sträucher gefällt hat.

Die Hauptstraße nach Altenberg, an der Manfred Müller wohnt, ist kaum wiederzuerkennen, seit Straßen NRW hier großflächig Bäume und Sträucher gefällt hat.

  • Der Landesbetrieb Straßen NRW hat an der Hauptstraße in Odenthal auf großer Fläche Bäume und Sträucher fällen lassen.
  • Manfred Müller wohnt an der Hauptstraße und ist entsetzt.
  • Wir haben mit Müller und dem Landesbetrieb gesprochen und schildern ihre Argumente.

Odenthal – Die Hauptstraße in Odenthal bietet seit einigen Wochen einen neuen Anblick: Die früher beidseitig von hohen Bäumen und Buschwerk gesäumte Straße, die in Serpentinen von Blecher nach Altenberg hinunter führt, wirkt sei November ungewohnt kahl. Das liegt an umfangreichen Baum- und Strauchfällungen, die Straßen NRW hier kurz vor Jahresende auf der südwestlichen Böschungsseite durchgeführt hat. „Pflege- und Sicherungsarbeiten“ sagt die Landesbehörde; „Kahlschlag“ sagt Manfred Müller.

Müller ist unmittelbarer Anwohner und schaut seit neuestem von seinem Garten aus nicht mehr auf einen abwechslungsreichen Mischwald, sondern über freie Flächen hinunter ins Tal. Nur einzelne dünne Stämmchen ragen einsam aus dem kahlen Hang. „Alibi-Bäume“, ärgert sich Müller und trauert den vielen abgesägten Exemplaren nach – „Gesunde Bäume“, wie er meint.

„Gefahrenbäume“, nennt sie Straßen NRW und spricht von einem „Altbestand“, den man flächig „auf den Stock gesetzt“ habe. Darunter verstehen Forstwirte den vollständigen Rückschnitt von Pflanzen, die aus intakten Wurzeln anschließend wieder buschig ausschlagen sollen.

Straßen NRW habe gesunde Bäume fällen lassen

Zwei Tage lang hatte der Landesbetrieb Straßen NRW die Hauptstraße gesperrt, um wie angekündigt „mehrere geschädigte Bäume“ zu fällen. Borkenkäfer hätten ihnen zugesetzt, so dass die Bäume nicht mehr standfest seien, hatte Straßen NRW im Vorfeld begründet. Statt gezielt einzelne Bäume herauszuholen, seien die Arbeiter mit schwerem Gerät angerückt und hätten in einer „Radikalkur“ alles platt gemacht, kritisiert Müller.

Grünpflege in Zahlen

35.000 Hektar Grünfläche betreut der Landesbetrieb Straßen NRW nach eigenen Angaben. Normale Pflegearbeiten dürfen immer nur bis Ende Februar ausgeführt werden.

20.000 Kilometer erstreckt sich der Bewuchs an Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen.

12.900 Hektar davon sind mit Gras bewachsen, 8100 Hektar mit Sträuchern und 11.300 Hektar mit Bäumen.

600.000 Einzelbäume stehen geschätzt neben den Gehölzen am Straßenrand. Nur noch fünf bis zehn Prozent der Neuanpflanzungen sind Bäume.

23 Millionen Euro werden pro Jahr für die Gehölzpflege ausgegeben, davon rund acht Millionen an Autobahnen, sechs Millionen an Bundesstraßen.

10 Millionen Euro der Gesamtkosten, die der Landesbetrieb Straßen NRW aufwendet, fallen für Arbeiten an Landesstraßen an. (spe)

„Ein paar Bäume ließen sie stehen, auch die meisten abgestorbenen Fichten. Die schönsten Stämme wurden gelagert und abgefahren.“ Darunter „auch gesunde Buchen, Kirschen, Eschen“, behauptet Müller. Und mit Holz kennt sich der Schreinermeister aus. Angesichts von Umweltschäden und Klimakatastrophe sei jeder Baum wertvoll: „Alle Welt redet vom Aufforsten und dem Bewahren der Natur. Straßen NRW macht genau das Gegenteil“, kritisiert er.

Kronenpflege in Eigenregie

Auf entsprechende Diskussionen wollten sich die Arbeiter bei laufenden Sägen im abgesperrten Straßenbereich allerdings nicht einlassen und riefen schließlich die Polizei. „Ich erhielt einen Platzverweis“, berichtet Müller nüchtern. Er habe sich daraufhin auf sein eigenes Grundstück zurückgezogen und die Arbeiten von hier aus weiter beobachtet – „... die Arbeiten boykottiert“, nennt es der Leiter des zuständigen Betriebsdienstes in Burscheid in einem Schreiben. Denn Müllers Beobachtungsposten befand sich unmittelbar angrenzend an den Einsatzort, so dass ein letztes Stück des Hangs aus Sicherheitsgründen nicht mehr bearbeitet werden konnte.

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Dafür erhielt Müller nun die Aufforderung, an seinen Bäumen in Eigenregie die Kronenpflege durchführen zu lassen und eine aufgestapelte Hecke aus Altholz auf Landesfläche zu entfernen. Dagegen hat Manfred Müller Einspruch erhoben.

Rußrindenkrankheit an Ahornbäumen an der Hauptstraße

„Es gibt immer wieder Kritik an Baumfällungen“, sagt Susanne Schlenga, Sprecherin von Straßen NRW. An manchen Stellen wirkten die auf den Stock gesetzten Flächen zunächst wie verwüstet, doch erobere sich die Natur das Gelände schnell zurück. Neben der turnusmäßigen Gehölzpflege, die noch bis Ende Februar dauert, müssten auch kranke Bäume aus Sicherheitsgründen entfernt werden. Nach zwei trockenen Sommern seien viele Bäume geschwächt.

An der Hauptstraße in Odenthal habe man an einigen Ahornbäumen die Rußrindenkrankheit festgestellt, eine Pilzerkrankung, die besonders durch Trockenheit befördert wird, zudem das Eschentriebsterben, eine aus Asien eingeschleppte Baumkrankheit, die mittlerweile Eschen in ganz Europa bedroht. Die östliche Straßenseite, an der noch viele sehr alte Laubbäume stehen, befinde sich in Privatbesitz, so die Sprecherin. Hier seien die Eigentümer aufgefordert, für die Verkehrssicherheit ihrer Bäume zu sorgen. Aus diesem Grund seien auch einige abgestorbene Fichten an der Straße nicht gefällt worden, die Eigentümer seien aber informiert.

Holzverkäufe sollen Kosten für Steuerzahler reduzieren

Seit Jahren pflanzt Straßen NRW immer seltener Einzelbäume. Stattdessen geht der Trend zu niedrigeren Gehölzen und in der Höhe gestaffelten Anpflanzungen. In Odenthal sei noch ein „Altbestand“ vorhanden gewesen, den man nun „auf den Stock gesetzt“ habe, erklärt Susanne Schlenga. Dem Vorwurf, Straßen NRW wolle mit dem Holzverkauf Geld machen, tritt Schlenga entgegen.

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„Wir arbeiten oft in schwierigem Gelände, müssen Hänge sichern, Absperrungen einrichten. Das ist ein Minusgeschäft.“ Die Holzverkäufe dienten dazu, die Kosten für den Steuerzahler zu reduzieren. Susanne Schlenga: „Im Fokus steht immer, dass niemandem etwas vor die Füße fällt.“

„Das ist ein Ärgernis, das wir jedes Frühjahr beklagen“, kritisiert Marc vom Hofe die Vorgehensweise von Straßen NRW landauf, landab. „Die Verkehrssicherungspflicht wird als Totschlagsargument benutzt“, meint der Vorsitzende des Rheinisch-Bergischen Naturschutzvereins. „In Wahrheit sind es Kostengründe.“ Der Pflegeaufwand sei geringer. Die Arbeiten würden oft an Fremdfirmen vergeben, die das Holz an Ort und Stelle zu Pellets häckselten. Alleebäume würden nicht nachgepflanzt, die Landschaft verändere sich nachhaltig.

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