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„Müde? Gehen Sie doch mal joggen!“Betroffene aus Overather Long-Covid-Gruppe erzählen

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In der Selbsthilfegruppe merken viele erst, dass sie nicht allein sind. (Symbolbild)

Overath – Zehn Fremde treffen sich in einem Raum. Sie stellen sich einander vor, sprechen über die letzten Wochen, darüber, wie es gerade allen geht. Wer zuletzt wo im Krankenhaus, in der Reha war, wer zuletzt mit guten Werten wieder heimgeschickt wurde, obwohl er mehrmals umgekippt ist. Männer, Frauen, Ältere, Jüngere. Gemeinsam haben sie eigentlich nur eines: Sie alle leiden unter Long Covid.

Selbsthilfegruppe für Long/ Post Covid

Kontakt und Termine

Die Selbsthilfegruppe für Menschen mit Long oder Post Covid trifft sich etwa monatlich in Overath Untereschbach.

Kontakt über Magdalena Blume: 01573 0350170

„Ich habe immer gedacht: Bin ich wirklich allein damit? Dann hat sich herausgestellt; das war ich nicht. Ganz im Gegenteil.“ Magdalena Blume ist 66 Jahre alt und die Gründerin der Selbsthilfegruppe für Long-Covid-Betroffene in Overath-Untereschbach. Im Januar letzten Jahres stand die Altenpflegerin kurz vor der ersten Corona-Impfung, es ging ihr gut, sie war körperlich recht fit. „Mein Impfstoff war quasi schon im Kühlschrank, und dann kam der Anruf“, erzählt sie heute.

Nach zweiter Infektion chronische Erschöpfung

Das Altenheim rief sie an, sie hatte Kontakt zu Corona-Infizierten gehabt. Kurz darauf wurde sie selbst krank. „Meine Ärztin hat damals gesagt, Sie haben so viele Antikörper, Sie können den gesamten Kreis versorgen“, erinnert sie sich. Sie hatte eine ordentliche Grippe, klassische Corona-Symptome. Nach einigen Wochen ging sie wieder arbeiten, dann wurde sie vier Monate später erneut infiziert.

Nach dieser zweiten Infektion ging es dann mit einem Mal rapide bergab. „Ich kam gar nicht mehr hoch“, erzählt Magdalena Blume. „Ich war in verschiedenen Krankenhäusern, wurde teils eingeliefert, weil ich einfach umgekippt bin.“ Chronische Erschöpfung begleitete sie durch Krankenhausaufenthalte ohne Ergebnis. Letzten Endes hätte man sie wieder heimgeschickt, und das Problem als psychosomatisch abgestempelt.

Selbsthilfegruppen hoffnungslos überlaufen

Schon im Krankenhaus traf Magdalena Blume Patienten mit ähnlichen Symptomen wie ihren. Als sie wieder zu Hause war, fing sie an, nach Selbsthilfegruppen zu suchen. „Aber in Köln und Bonn war alles hoffnungslos überlaufen, die haben niemanden mehr aufgenommen.“ Also wandte sie sich an den Paritätischen Wohlfahrtsverband des Rheinisch-Bergischen Kreises, wo sie prompt gefragt wurde, ob sie die fehlende Gruppe nicht selbst gründen wolle.

Die Organisation „Die Kette“ stellte die Räumlichkeiten zur Verfügung, und Magdalena Blume verteilte Flyer in Apotheken und Arztpraxen. „Und dann stand mein Telefon nicht mehr still“, erzählt sie. Ein halbes Jahr ist das allererste Treffen der Selbsthilfegruppe nun her. Zwischen sechs und acht Teilnehmende sind monatlich vor Ort, viele sprechen aber auch über das Telefon oder Textnachrichten miteinander.

Kreislaufprobleme und Müdigkeit gehören zum Alltag

Von 19 bis 70 sind fast alle Altersgruppen vertreten. Alle kennen Symptome wie Kreislaufprobleme, chronische Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit. „Viele von uns sind von den Befunden her kerngesund, aber fühlen sich wie mit einer Dauergrippe“, sagt Magdalena Blume. Sie teilen auch die Unsicherheit, das Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden. Viele Partner oder Partnerinnen Betroffener hätten Probleme, deren Zustand nachvollziehen zu können, so Blume: „Stell dich nicht so an, ruh dich halt mal richtig aus, mach mal Sport… die meisten kennen solche Sätze.“

Mandy Schlürscheid kennt diese Bemerkungen sogar von Ärzten. Sie hat übers Radio von der Selbsthilfegruppe erfahren. Ihre Corona-Erkrankung liegt inzwischen fast anderthalb Jahre zurück, die Gefühlslosigkeit im Unterleib und die Erschöpfung ist bis heute geblieben. Ihr Neurologe riet ihr lediglich, joggen zu gehen.

Long Covid nach der Corona-Impfung

„Mir hat das nie was ausgemacht, dass das im Prinzip Fremde sind in der Gruppe, man fühlt sich einfach verstanden“, erzählt sie. Auch ihr Geruchs- und Geschmackssinn sind noch nicht wieder hergestellt. „Und ich hab früher so gerne gekocht und gebacken“, seufzt Schlürscheid. Eine Sache, die ihr außerdem Kopfschmerzen bereitet, ist, dass es ihr nach einer späteren Corona-Impfung noch einmal schlechter ging.

Auch mit dieser Geschichte ist sie in der Gruppe nicht allein. Magdalena Blumes Nachbar hat die erste Coronainfektion zwar einigermaßen unbeschadet überstanden, als er sich später aber wie empfohlen zweimal impfen ließ, habe ihn das völlig umgerissen. „Ich musste mehrmals mit dem Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden, ich hatte teils mit Gedächtnisverlust und Sprachstörungen zu kämpfen, mit starken Kreislaufproblemen. Ich habe wochenlang nicht richtig schlafen können, weil ich mich nicht hinlegen konnte. Hat sich alles gedreht.“

Zukunftsängste bei finanziellen Schwierigkeiten

Der 59-jährige Landschaftsgärtner betont, ebenso wie andere aus der Gruppe, dass er kein Impfgegner sei. „Mein Impfausweis ist voll, ich hab mich immer impfen lassen. Aber jetzt ist meine Skepsis einfach zu hoch.“ Neben der Skepsis gegenüber der Impfung gehören auch Schwierigkeiten mit Ärzten zu den Gesprächsthemen in der Gruppe. „Ich war mal bei einem Kardiologen“, erinnert sich Magdalena Blume, „der hat mich fast aus der Praxis geschmissen, als ich von Long Covid angefangen hab. Hat mich gefragt, ob ich das aus der Apothekenumschau hätte.“

Auch die Zukunftsängste sind ein wiederkehrendes Thema in der Gruppe. Gerade jetzt, wo die Lage der Welt zusätzlich wenig Sicherheit gibt. Viele fürchten um den Arbeitsplatz. Auch die Angst vor einer neuen Infektion ist groß. Das regelmäßige Testen und Maske-Tragen hat für viele in der Gruppe nie aufgehört. „Das größte Problem aber ist, dass ja niemand weiß, wie es weitergeht“, erklärt Magdalena Blume. „Wann ist das vorbei, geht es überhaupt vorbei? Wenn ich mir vorstelle, dass ich mit dieser Symptomatik herumlaufe, bis ich in die Kiste komme… da könnte ich nur noch im Bett liegen.“

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Magdalene Blume ist es wichtig, dass über die Krankheit mehr informiert wird. Noch heute begegnen ihr Nachbarn auf der Straße, die kaum glauben wollen, dass sie „immer noch nicht fit“ sei, erzählt sei. „Und man muss auch überlegen, wie das weitergeht: Corona ist nicht weg. Es wird mehr Infektionen geben, und es wird mehr Menschen mit Long Covid oder Post Covid geben.“

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