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OberstufeOverather Gymnasium bietet Ernährungslehre als MINT-Fach an

Lesezeit 5 Minuten
_Schule Ernährungslehre

Auf dem Stundenplan stehen Kohlehydrate: Für die Schüler Johanna, Nico und Julian ist die Praxis-Stunde eine willkommene  Abwechslung zur vielen Theorie.

Overath – Fritten, Döner, Burger: Wer sich ungesund ernähren möchte, hat in Restaurants und Fast-Food-Läden, aber auch Zuhause, die große Auswahl, und heraus kommen dabei Ergebnisse, die sich in Aufmacher-Schlagzeilen wie „Jeder Zweite in NRW ist zu dick“ ausdrücken und die sowohl für den Einzelnen mit seinem erhöhten Krankheitsrisiko als auch für die Gesellschaft überhaupt nicht wünschenswert sind. Das Overather Paul-Klee-Gymnasium hält dagegen: Es bietet seit diesem Jahr in der Oberstufe das Fach Ernährungslehre an – und das ist kein Kochkurs für Gymnasiasten, sondern es zählt zu den MINT-Disziplinen, und die Schüler bekommen allerhand Grundlagenwissen in Sachen Ernährung beigebracht.

Dabei kann der Unterricht trotzdem auch schon mal sehr praktisch werden. Ortstermin am Mittag in der Lehrküche im Schulzentrum Cyriax: Passend zum Thema „Kohlenhydrate“ und zur bevorstehenden Weihnachtszeit werden bei Fachlehrer Dr. Daniel Schiffbauer gebrannte Mandeln hergestellt.

In vier Gruppen versammeln sich die 15 und 16 Jahre alten Schüler aus der Jahrgangsstufe EF (10. Klasse) um die Kochherde. Sie schütten Zucker, Vanillezucker und Zimt in Edelstahlpfannen, geben Wasser dazu und bringen das Ganze zum Kochen, bevor sie die Mandeln dazu geben. „Nicht umrühren, steht hier!“: Julian hat sein Handy gezückt und liest seinen Mitschülern Caroline, Johanna und Nico die Anleitung von der Internet-Seite Chefkoch.de vor.

Anspruchsvoll und lebensnah

„Wir haben zum neuen Schuljahr das Oberstufenfach Ernährungslehre eingeführt und bieten es damit meines Wissens als einziges Gymnasium im Rheinisch-Bergischen Kreis an“, berichtet Lehrer Schiffbauer, von Hause aus Chemielehrer. „Wir wollten unseren Schülerinnen und Schülern damit ein MINT-Fach anbieten, das anspruchsvoll ist, weil es mehrere naturwissenschaftliche Disziplinen miteinander verbindet, und außerdem sehr lebensnah und anwendungsbezogen ist.“

Um das Fach unterrichten zu können, haben Schiffbauer und sein Chemie-Kollege Dr. Frank Nerowski ein Schuljahr lang einen wöchentlich stattfindenden Zertifikatskurs absolviert. 38 Mal sind die beiden Pädagogen dafür nach Dortmund gefahren und haben selbst die Schulbank gedrückt.

Exkursionen nach Paderborn, wo das Fach vor zwei Jahren auch als offizieller Lehramtsstudiengang für den Lehramts-Nachwuchs eingeführt worden ist, sowie in eine Großbäckerei in Remscheid und ein Kinderkrankenhaus in Bochum standen ebenfalls auf dem Lehrer-Stundenplan. In diesem Jahr besucht ihre Kollegin Manuela Meiger den Kurs.

Bei den PKG-Pennälern hat das neue Angebot bombig eingeschlagen. Die Jahrgangsstufe EF hat aktuell 123 Schüler, von denen sich 60 für das Fach Ernährungslehre entschieden haben. „Wir haben damit aus dem Stand drei Kurse anbieten können“, sagt Schiffbauer. Überraschend kam der Run für ihn nicht: „Es ist die Möglichkeit, ein naturwissenschaftliches Fach zu belegen, das einen sehr konkreten Anwendungsbezug hat. Es holt die Schüler in ihrer unmittelbaren Lebensumwelt ab.“ Anfängliche Befürchtungen der Fachlehrer, sie könnten mit dem neuen Angebot ihrem eigenen Chemie- und Physikkursen Konkurrenz machen, hätten sich bisher aber nicht bewahrheitet. „Bisher sind auch in den klassischen Naturwissenschaften ohne Probleme Kurse zustande gekommen.“

Ernährung betrifft alle

Für das Abitur brauchen Schüler in der Oberstufe entweder einen sprachlichen oder einen naturwissenschaftlichen Schwerpunkt. „Man muss also mindestens entweder zwei Fremdsprachen oder zwei Naturwissenschaften bis zum Abitur durchnehmen.“ Viele Schüler nutzten Ernährungslehre als zweite Naturwissenschaft, weil es sie unmittelbar interessiere – ernähren muss sich schließlich jeder. Aber auch zum Sport-Leistungskursangebot am PKG passe das Fach gut.

Dabei ist das Fach nicht ohne. „Die Schüler müssen sehr anspruchsvolle Dinge lernen. Gerade das erste Jahr ist sehr chemisch“, sagt Schiffbauer. Im zwei Jahr gehe es in Richtung Biochemie und Medizin, und im letzten Jahr würden gesellschaftswissenschaftliche Fragen diskutiert, zum Beispiel die Frage nach den Auswirkungen der hiesigen fleischbetonten Ernährung auf die Dritte Welt.

Die Praxis-Anwendung in der Lehrküche ist im Unterrichtsplan die Ausnahme. Am PKG besteht seit drei Jahren das Ein-Stunden-Modell, wonach eine Unterrichtsstunde 60 Minuten dauert und nicht 45. Da die geforderte Minutenzahl für den Unterricht aber unverändert ist, gibt es aus stundenplantechnischen Gründen alle vier Wochen eine Nachmittagsstunde.

Schiffbauer und seine Kollegen Meiger und Nerowski haben sich entschieden, in den Nachmittagsstunden in die Lehrküche der Sekundarschule zu gehen. Die aktuelle Stunde passe gut zum Thema Kohlenhydrate: „Darum machen wir heute gebrannte Mandeln mit viel Zucker.“

Waagen und Pfannen

Für das neue Fach haben die die Lehrer auch praktisches Inventar angeschafft, darunter zwei Körperfett-Waagen und diverse Pfännchen. Mit den Pfännchen zeigen sie den Schülern, wie viel Energie in Essen steckt: „Wir haben ein Stück Schokolade angezündet, die so gut brannte, dass wir darüber ein Spiegelei braten konnten.“

Lehrerin Meiger erwähnt ein anderes eindrucksvolles Experiment: Beträufelt man Zuckerwürfel mit konzentrierter Schwefelsäure, wird der Würfel schwarz. Denn die Schwefelsäure entzieht dem Zucker das Wasser, und übrig bleibt der Kohlenstoff. Schiffbauer: „Im Namen Kohlenhydrate stecken schon die Begriffe Kohlenstoff und Wasser.“

Unterdessen geht die Praxis-Stunde mit den gebrannten Mandeln dem Ende entgegen. Zwischenfälle hat es, von einer wegen einer falschen Zutatenmischung stark qualmenden Pfanne abgesehen, nicht gegeben. Aber dafür haben die Schüler wieder was gelernt – und ein bisschen ein vorweihnachtliches Gefühl.

Ernährungslehre

Das Fach Ernährungslehre ist kein neues Unterrichtsfach, aber es ist bisher wenig in der Region verbreitet. Der Overather Chemielehrer Dr. Daniel Schiffbauer stieß schon vor mehr als zehn Jahren auf dieses mögliche Unterrichtsangebot, erörterte das Thema im Kollegenkreis und mit der Schulleitung und belegte schließlich den einjährigen Fortbildungskurs in Dortmund.

In Rhein-Berg ist das Paul-Klee-Gymnasium nach Schiffbauers Informationen das einzige Gymnasium, das dieses Oberstufenfach anbietet. Außerhalb des Kreises gebe es das Fach etwa in Wipperfürth und in Siegburg.

Ernährungslehre zählt zu den „MINT“-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. (sb)

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