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Politik in Rhein-BergDie Kreisparteichefs über Fridays for Future und letzte Chancen

Lesezeit 9 Minuten
SPD-Kreisparteichef Marcel Kreutz.

SPD-Kreisparteichef Marcel Kreutz.

Sie sind die Vorsitzenden der Jahrzehnte lang als Volksparteien führenden politischen Kräfte im Kreis, sie zählen beide zu den jüngsten Parteivorsitzenden in der Region und sehen sich zurzeit vielerorts mit veränderten politischen Mehrheiten konfrontiert. Über Erklärungsversuche, den Kontakt zu jungen Wählern und neue Herausforderungen haben Guido Wagner und Stephan Brockmeier mit Marcel Kreutz (33, SPD) und Uwe Pakendorf (42, CDU) gesprochen.

Die Kreisvorsitzenden der alten Volksparteien sind in Rhein-Berg besonders jung, die jungen Wähler aber haben bei der jüngsten Wahl wohl vor allem Grün gewählt. Warum haben Sie bei jungen Wählern eher nicht punkten können?

Pakendorf: Das ist ein ernsthaftes Problem, dem wir uns verstärkt stellen müssen. Die Jungen, die noch studieren oder zur Schule gehen, aber auch die jungen Familien sind uns zunehmend verloren gegangen. Das habe ich auch vor Ort bei den Haustürgesprächen feststellen müssen.

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Kreutz: Aber so genau wissen wir’s ja auch gar nicht. Denn bei Kommunalwahlen gibt es nun mal keine Nachwahlbefragungen von Wählern. Wir können nicht genau sagen, welche Wählergruppe uns jetzt verloren gegangen ist, wir können nur Bundestrends auf uns übertragen. Traditionell war es so, dass die SPD bei jungen Wählern immer stark war und es ist auch der Anspruch, da wieder hinzukommen.

Gerade die SPD hat aber bei den Kommunalwahlen am meisten eingebüßt, ist im Kreis vielerorts nur noch drittstärkste Kraft – hinter den Grünen . . .

Kreutz: Das ärgert mich natürlich schon.

Woran liegt es denn?

Kreutz: Ich merke das auch bei unseren Jusos, dass die viel in Kontakt stehen mit den Leuten, die sich bei „Fridays for Future“ engagieren.

Ist diese Bewegung ein Problem für die etablierten Parteien?

Kreutz: Nicht unbedingt. Es geht mir darum, das Engagement auch auf die nächste Ebene zu bringen. Vieles bei „Fridays for Future“ ist gut. Dass Druck von der Straße kommt, ist auch gut, entschieden aber wird letztendlich im Parlament – und da muss man sich dann politisch engagieren – auch in Parteien. Denn die eigentliche Entscheidung findet am Ende im Stadtrat, im Kreistag, im Landtag und im Bundestag statt.

Warum kommen die engagierten jungen Menschen denn nicht zu Ihnen?

Kreutz: Ja, da müssen wir noch dran arbeiten. Dass wir auch das Instrument für diese Menschen sind, damit sie ihre Ziele auch in die Politik einbringen können.

Wie macht man das?

Pakendorf: Auch wenn uns konkrete Zahlen fehlen, merkt man doch auch, etwa bei Podiumsdiskussionen in Schulen, dass CDU und SPD bei den Schülern schlecht abschneiden. Die Grünen haben das Glück, dass in der aktuellen politischen Stimmung, den durchaus wichtigen Klimaschutz sehr hoch zu gewichten, dieses Thema den Grünen erst einmal voll ins Parteiprogramm fällt und ihnen Rückenwind gibt.

Das heißt, Sie haben einfach nicht die Themen, die aktuell gefragt sind?

Pakendorf: Eben doch. Gerade auf Kreistagsebene haben alle großen Parteien, die schwarz-grüne Koalition besonders, aber auch die SPD sehr klimaschutzfreundliche Politik betrieben – vom massiven Ausbau des ÖPNV bis hin zum Klimaschutzkonzept.

Dann aber sind die Themen offenbar nicht bei den entsprechenden Wählern angekommen . . .

Pakendorf: Ja, mit unseren eigenen grünen Inhalten konnten wir im Kommunalwahlkampf nicht flächendeckend durchdringen.

Kreutz: Die jungen Menschen sind heute richtig gut informiert und schauen sich genau an, wem traue ich zu, dass er dieses oder jenes Problem am besten löst. Und da muss ich sagen, da haben wir zumindest als SPD noch Aufholbedarf.

Was müssten Sie denn besser machen?

Kreutz: Die Leute wollen erstens, dass der, den sie wählen, Ahnung von der Sache hat, dass er weiß, wie man ein Problem löst. Zweitens muss er sympathisch sein und drittens muss am Ende auch das rauskommen, was er vor der Wahl versprochen hat.

Wo liegt da Ihr Problem?

Kreutz: Häufig in den großen Koalitionen. Nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf kommunaler Ebene wie beispielsweise in Bergisch Gladbach in der vergangenen Wahlperiode mit der CDU. Das war alles ordentliche Arbeit, aber SPD und CDU sind nun mal grundverschiedene Parteien. Wenn wir zusammengehen, kommt immer ein Kompromiss raus und dann kann man sich zum Beispiel nicht in Gladbach hinstellen und sagen: Wir machen ein Flächenentsieglungsprogramm und geben dem Eigentümer einer Brachfläche Geld dafür, dass er sie nicht mehr nutzt und etwas Ökologisches daraus macht. Das ging zum Beispiel mit der CDU nicht.

Zur Person

Marcel Kreutz (33) aus Bergisch Gladbach hat sich bereits als Schüler am Otto-Hahn-Gymnasium für Politik interessiert, trat 2005 in die SPD ein, wurde 2007 Sachkundiger Bürger im Bergisch Gladbacher Stadtrat, dem er von 2009 bis 2020 als gewähltes Mitglied angehörte. Seit 2018 ist der Rechtsanwalt im Regionalvorstand seiner Partei tätig, 2019 wurde er vom Kreisverband seiner Partei zum Kreisvorsitzenden gewählt, bei der Kommunalwahl im September wurde er in den Kreistag gewählt.

Uwe Pakendorf (42) aus Rösrath ist seit 1997 Mitglied der CDU, hat sich lange in der Jungen Union – unter anderem im Landesvorstand – engagiert, war von 1999 bis 2004 Mitglied des Rösrather Stadtrats und ist seit 2004 im Kreistag sowie im Kreisvorstand seiner Partei aktiv. Zehn Jahre war der hauptberuflich als Geschäftsführer des Rheinischen Schützenbundes tätige Politiker Pressesprecher und stellvertretender Kreisvorsitzender, bevor er 2019 zum Kreisparteivorsitzenden gewählt wurde.

Was wollen Sie auch im Hinblick auf kommende Wahlen daran ändern?

Kreutz: Die nächsten fünf Jahre müssen wir daran arbeiten, dass wir glaubwürdig sind und die Leute uns wieder etwas zutrauen. Da will ich meinen Schwerpunkt setzen.

Pakendorf: Wir haben als CDU von den Wahlergebnissen her als Volkspartei vielleicht noch einen Puffer, auf Kreisebene haben wir immerhin über 37 Prozent bei der Kommunalwahl erreicht. Trotzdem kann uns das nicht zufrieden stellen. Die letzte Kommunalwahl hat uns gezeigt, gerade in Bergisch Gladbach, dass man auch als Volkspartei nicht mehr die Kraft hat, Bürgermeisterwahlen zu gewinnen, wenn man alleine dasteht.

Muss man als Partei heute vielleicht viel zeitiger Bündnisse eingehen mit anderen, wie die SPD mit Grünen und FDP in Gladbach oder die CDU mit Grünen und FDP in Overath sowie im Kreis mit den Grünen?

Pakendorf: Wie gut Zusammenarbeit funktioniert, ist eine Frage der Zukunft. Deswegen haben wir auf Kreisebene auch sehr deutlich gemeinsam mit den Grünen gesagt: Wir sind mit unseren Projekten aus der vergangenen Wahlperiode noch nicht fertig und wollen die erfolgreiche Arbeit fortsetzen.

Kreutz: Letztlich heißt die Frage aber auch: Brauchen wir die Volkspartei noch?

Zugespitzt: Ja. Braucht man Sie noch?

Kreutz: Unser politisches System baut darauf auf, dass die Parteien, den Meinungsprozess aus der Bevölkerung bündeln und ins Parlament bringen. Das ist nach wie vor der riesige Vorteil von Volksparteien: Wir haben bei uns den Straßenbahnfahrer wie den Professor, den Schüler wie den Rentner. Wir müssen zusehen, dass wir im Vorfeld der Parlamente wieder viel stärker zur Meinungsbildung innerhalb unserer Partei beitragen. Das ist eine wichtige Aufgabe einer Volkspartei, die eben nicht nur ihre eine begrenzte Klientel hat. Ich möchte jetzt nicht über andere Parteien sprechen, ohne dass sie dabei sind, wobei mir die Grünen deutlich näher stehen als die CDU . . .

Pakendorf: . . . das kann man ja ändern (lächelt) . . .

Kreutz: . . . aber das ist der Vorteil von Volksparteien und deshalb sollten wir alles dafür tun, sie zu erhalten.

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Aber doch nicht um der Parteien selbst willen!?

Kreutz: Nein, das geht weiter. Die Leute sind verunsichert, zurzeit vor allem wegen Corona und wegen des Klimawandels. Sie brauchen die Volksparteien. Die sind der Kitt, um auch unsere Gesellschaft zusammenzuhalten.

Wie müssen sich denn Volksparteien wie CDU und SPD künftig aufstellen?

Pakendorf: Wichtig ist es – und das haben wir ja auch in den vergangenen Jahren so praktiziert: sich breit aufzustellen. Verschiedene Strömungen zuzulassen und zu integrieren. Und dann aber auch Diskussionen ausfechten. Man muss am Ende zu einem Kompromiss in einer Volkspartei kommen. Die Frage ist dann natürlich, ob das aktuell für junge Leute attraktiv ist.

Und ist es das?

Pakendorf: Aktuell ist es nicht gerade ein Marktvorteil, wenn man die Breite der Themen abdeckt und auch innerhalb der Themen zum Beispiel im Klimaschutz sagt: Ja, wir wollen Klimaschutz, aber wir achten auch darauf, dass die Ökonomie ihren Wert in der Programmatik behält. Aus unserer Sicht geht es hier um Fragen der Vernunft. Aber das ist natürlich immer ein Kompromiss, der für viele Leute in der aktuellen Situation weniger attraktiv ist.

Also ein Dilemma der Volksparteien?

Kreutz: Wir brauchen eine Veränderung in den Volksparteien. Die Herausforderungen sind viel zu groß, um nichts zu ändern. Das genau finde ich interessant an der Arbeit. Mit diesem Anspruch habe ich mich im vergangenen Jahr zur Wahl gestellt. Wir haben einen jungen Vorstand und wir sind hungrig darauf, dass es klappt. Und dafür ist auch klar, dass wir in der Partei die Jungen und die Älteren brauchen.

Wo sehen Sie denn das Potenzial Ihrer Partei, das Sie entwickeln wollen?

Kreutz: Am Ende wird es die Soziale Frage sein. Alle Entwicklungen vom Klimawandel bis zur Pandemie werden immer Auswirkungen auch auf unsere Gesellschaft und ihr Zusammenleben haben. Da ist es gut, wenn in Räten, Kreistag und Parlamenten mit der SPD die soziale Kraft stark vertreten ist

Pakendorf: Kommunalpolitisch sind wir ja gar nicht so weit voneinander entfernt. Das Wichtigste ist meines Erachtens in der Kommunalpolitik, Kümmerer und Ansprechpartner zu sein. Das wichtigste Bündnis, das wir hinbekommen müssen, ist das Bündnis mit der Bevölkerung. Wir sind als Volksparteien ja noch in allen Stadtteilen vertreten und müssen das noch viel mehr nutzen, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen – auch mit denen, die die eine oder andere politische Entscheidung kritisch sehen.

Kreutz: Alles richtig. Der Bürgerin und dem Bürger ist es zurecht egal, ob für ein Thema nun die Stadt, der Kreis oder das Land zuständig ist. Nur einen Fehler, den wir viel zu oft gemacht haben, sollten wir gerade auf kommunaler Ebene nicht mehr machen: zu versuchen, die bessere Stadt- oder Kreisverwaltung zu sein. Das sind wir nicht und werden wir nie sein. Wir als Lokalpolitiker müssen die großen Linien entwerfen, die Richtung vorgeben. Und auch Mut haben zu sagen: So, wir machen das jetzt mal. Wir müssen auch mal wieder eine Vision haben, wie die Zukunft aussehen soll.

Pakendorf: Genau. Und genau das machen wir auf Kreisebene, beim ÖPNV genauso wie bei der Förderung von bezahlbarem Wohnraum etwa durch unsere Rheinisch-Bergische Siedlungsgesellschaft als auch beim Klimaschutz.

Kreutz: Ich freu mich drauf. Wir haben da wirklich eine kollektive Verantwortung.

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