Pro und ContraWie die Kulturszene in Rhein-Berg mit dem zweiten Lockdown umgeht

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Roman Salyutov kritisiert die staatlichen Corona-Einschränkungen.

Roman Salyutov kritisiert die staatlichen Corona-Einschränkungen.

Rhein-Berg – Konzerte abgesagt, Museen und Galerien dicht, trotz peinlich genauer Hygienemaßnahmen – die Pandemie bringt viele Kulturschaffende an den Rand der Verzweiflung, trotz der staatlich zugesagten Unterstützung für Soloselbstständige.

Die NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen hat an die Kulturbranche appelliert, die harten Einschränkungen mitzutragen: Eine Ansteckung sei trotz Hygienekonzepten auch in Museen und Theatern nicht auszuschließen. Zur Besinnung mahnt die Rösrather Künstlerin Mary Bauermeister (86) mit einer philosophischen Betrachtung der Pandemie. Auf mehr Lockerungen und stillen Protest für das Kulturgeschehen setzt Roman Salyutov (36), Pianist und Leiter des GL-Sinfonieorchesters. Ein Pro und Contra zur Corona-Zeit.

Pro

Mary Bauermeister: „Wenn eine Gesellschaft zu reich und oberflächlich wird, dann muss etwas kommen, damit wir eins zwischen die Hörner bekommen – Krieg, Hunger, Krankheit als Chance zur Erkenntnis nehmen! Dann hat die Pandemie ihren Sinn erfüllt. Dass die kleinsten Lebewesen uns, die sogenannte Krönung der Schöpfung, niederzwingen, finde ich grandios – es ist ein Einblick in die Naturgesetze.

Ob der der Erdball Naturkatastrophen, Wasserstoffbomben, Pandemien überlebt, hängt davon ab, was damit geschieht. Ich bin keine Verschwörungstheoretikerin, aber alle Krisen haben eine Chance. Was haben gute Künstler im KZ unter grauenhaften Bedingungen für gute Musik und Kunst gemacht! Das heißt, wer heute, weil eine Krise da ist, keine Kunst macht, muss sich fragen, was denn da so toll gewesen ist an dieser Kunst.

In diese Situation hineingeboren zu sein, bedeutet, davon zu lernen. Ich dachte, die sieben Plagen kommen auf uns zu – das Virus ist eine Gegenkraft. In der Mythologie ist das der Luzifer, der in der kosmischen Ordnung das Gegenteil tut, sehen will, was der eigene Wille zu tun fähig ist. Mir kommt es vor, dass das Virus die Gegenkraft ist. Es kommt noch viel Schlimmeres auf uns zu, wenn wir daraus nicht lernen.

Wir haben viel zu viel auf die Materie gesetzt, uns viel zu wichtig genommen. Ein bisschen Not tut den Künstlern gut, aber trotzdem wünsche ich jedem, dass er durchhält, aber auch reflektiert. Nicht die Produktion von Ware, sondern die Inspiration soll wieder in den Vordergrund rücken.

Not tut auch jedem Menschen mal gut, deshalb machen wir Fastenkuren, damit wir mal ein bisschen runterkommen von dem Zuviel – dieser »Zuvielisation«.

Macht weiter, kontrolliert euch weiter, besinnt euch, dass ihr aus dem geistigen Bereich Inspiration einbringt, das kann wirtschaftlich und politisch sein, nicht nur Kunst. Das geht uns alle an: Was müssen wir ändern, um eine enkeltaugliche Zukunft zu schaffen? Wir müssen in der Geldpolitik, in der Wirtschaft, umdenken.

Die mechanische Revolution ist nicht den Menschen zugute gekommen, sondern jenen, die das eingesetzt haben, um noch schneller zu produzieren. Dadurch kommt das Ungleichgewicht von Arm und Reich. Wer kann sich denn heute noch meine Bilder leisten, ich krieg den Horror, was die heute kosten. Aber ich bin glücklich, dass ich einen Galeristen habe. Das war nicht immer so. Ich habe gehungert, bin in New York von Haus zu Haus gewandert, habe von 40 Cent am Tag gelebt – es war meine beste Zeit. Als Kriegskind hatte ich Typhus, Krätze, Furunkel, aber ich wurde widerstandsfähig – und heute bin ich glücklich über meine schwere Kindheit. Die heutigen Menschen müssen irgendwann diese Erfahrung machen. Wer zu umhegt ist auf dieser Erde, erlebt kein Leid mehr.

Wenn alle immer satt sind, entwickeln sie nicht einmal mehr Sehnsucht. Lasst uns unsere Energie nutzen, eine bessere Welt zu schaffen! Nicht nur reden, sondern das Wahre erkennen. Am Schönen kann ich mich erfreuen, aber das Gute muss ich selber tun und hinterfragen. Das sollte jeder Künstler tun.“

Contra

Roman Salyutov, Pianist und Leiter des Sinfonieorchesters Bergisch Gladbach: „Der zweite Lockdown ist für mich schlimmer als das erste Mal. Er kam so abrupt wie eine kalte Dusche. Man muss schauen, wie man über Wasser bleibt. Jetzt wird einfach alles zunichte gemacht. Kurz vor dem Lockdown ging man auf die Bühne, immer mit dem Gefühl, es ist das letzte Konzert, der letzte Satz, der letzte Akkord, den du jetzt spielst. Dann gehst du nach Hause mit dem Bewusstsein, du wirst keinen Ton mehr spielen für das Publikum.

Für die nächste Zeit habe ich eine Aktion geplant – eine Installation mit Menschen aus der Kulturszene, die still und klanglos mit ihren künstlerischen Mitteln – Instrumenten, Puppen, Masken, Kostümen, Pinseln, Leinwand – diese tragische Stimmung darstellen sollen, das Vakuum. Mit der Aktion soll man innehalten, begreifen, was da passiert. Vor dem Bergischen Löwen auf der Spiraltreppe und der Freifläche – schweigend, nicht schreiend das Vakuum darstellen, bei dem man innehält.

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Es geht darum, dass eine große Schicht der Kultur versinkt und die Leute den Kontakt zur Kultur verlieren. Ich sehe, dass vieles in den Regelungen unverhältnismäßig ist. Die Kulturszene hat ein diszipliniertes Publikum, es sind Leute, die alles sehr ernst nehmen. Die Industrie und Wirtschaft müssen natürlich laufen. Aber man müsste die Kultur genauso wie die Wirtschaft am Laufen halten. Es sind ja nicht nur die Leute, die auf der Bühne stehen, da sind die Mitarbeiter hinter den Kulissen, die Caterer – die bringen Milliarden in die Staatskasse.

Man muss sich auch bewusst werden, dass man jetzt keinen geistigen Unterschlupf mehr hat, man wird jeden Morgen wie aus dem Eimer überflutet mit Zahlen und mit Panik. Ich denke, es ist nicht mehr gesund , von der Pandemie in so einem alarmistischen Ton überflutet zu werden. Das nehmen die Leute in Kauf. Mit Kultur haben die Leute wieder die Möglichkeit, sich davon zu abstrahieren, sich geistig zu stärken und seelisch zu heilen – eine geistige Erholung, da wird die Welt wieder harmonisch und gibt Trost. Jetzt sitzen sie in ihren vier Wänden, überflutet von den Nachrichten. Das sind psychische Belastungen, die Grenzen liegen nicht so hoch. Die staatlichen Förderungen für die Kulturschaffenden sind eine gerechte Initiative. Aber du willst arbeiten für das Publikum und für die Menschen, darfst aber nicht. Die Milliardensummen ersetzen das nicht.

Man muss Wege finden, nicht den Stillstand, nicht den Knopf ausschalten.“

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