Pure VerzweiflungMann aus Rösrath überfällt Bank, damit er ins Gefängnis kommt

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„Der Fall schreibt Rechtsgeschichte“: Rechtsanwalt Udo Klemt (l.) am Dienstag mit seinem Mandanten vor dem Gerichtsgebäude.

„Der Fall schreibt Rechtsgeschichte“: Rechtsanwalt Udo Klemt (l.) am Dienstag mit seinem Mandanten vor dem Gerichtsgebäude.

Rösrath/Bergisch Gladbach – Es ist ein Fall, der an Skurrilität kaum zu überbieten ist: Ein Mann überfällt eine Bank, aber nicht, weil er sich bereichern will, sondern weil er ins Gefängnis möchte. So geschehen ist das am 5. Mai in Rösrath. Am Dienstag stand der Täter, der den Überfall tags zuvor in einer Rundmail an Behörden und Flüchtlingshelfer angekündigt hatte, nach fünfmonatiger Untersuchungshaft vor Gericht.

Auf bewaffneten Bankraub stehen eigentlich mindestens fünf Jahre Haft, doch konnte der geständige Täter nach viereinhalbstündiger Verhandlung das Gericht gemeinsam mit Verteidiger Udo Klemt verlassen: Das Schöffengericht verhängte ein Jahr Haft auf Bewährung wegen Nötigung. Außerdem verhängte es strikte Bewährungsauflagen.

Arbeitssuche verlief erfolglos

Der Fall ist ungewöhnlich. Der Täter, der 29-jährige Ali M.(Name geändert), kam 2015 aus dem Iran nach Deutschland, beantragte Asyl, wurde anerkannt. In Rösrath fasste er in einer Kirchengemeinde Fuß, ließ sich feierlich taufen, nahm am Gemeindeleben teil, soweit das seine Sprachkenntnisse zuließen. Er lebte in einer Flüchtlingsunterkunft. Was nicht funktionierte, war seine Suche nach Arbeit: Die Agentur für Arbeit habe ihm keine Stelle vermitteln können, klagte der abgebrochene Student.

Auflagen

Nach fünf Monaten U-Haft konnte der Angeklagte gestern das Amtsgericht als freier Mann verlassen. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Der Mann muss sich innerhalb von 72 Stunden in der Psychiatrie des Evangelischen Krankenhauses vorstellen, damit er ärztlich betreut und weiter medikamentös versorgt wird. Auch wird ihm ein Bewährungshelfer beigeordnet. Zudem will die Richterin eine gesetzliche Betreuung anregen. Zudem muss der Mann jeden Wohnungswechsel melden. (sb)

Das war aber nicht sein einziges Problem. Er fing mit Glücksspielen an und bestellte Waren, die er zur Finanzierung seiner Spielerei weiterverkaufte, ohne sie zu bezahlen. Die Schulden häuften sich auf. Hinzu kamen psychische Probleme: Mehrfach war er sowohl ambulant als auch stationär in psychiatrischer Behandlung in Gladbach, und seinen Angaben zufolge hatten auch andere Mitglieder seiner Familie im Iran psychische Probleme.

In dieser Situation fasste er den Entschluss, eine Bankfiliale auszurauben, um ins Gefängnis zu kommen – und zwar weil er hoffte, dass er im Gefängnis eine Ausbildung machen beziehungsweise arbeiten könne. Einen Tag vor dem Überfall, also an einem Sonntag, kündigte er die Tat an. Empfänger der E-Mail waren unter anderem Polizei, Kreisverwaltung, Stadtverwaltung und Agentur für Arbeit, aber auch Menschen aus der Flüchtlingshilfe. Sein Pech: Die E-Mail wurde entweder nicht gelesen, weil gerade Sonntag war, oder sie wurde nicht ernst genommen.

Überfall mit Küchenmesser

Jedenfalls war so oder so am Montagmorgen niemand da, der ihn von der Tat abhielt. Er ging zu Fuß zur Bankfiliale, die erst um 9 Uhr öffnete. Er setzte sich auf ein Mäuerchen und wartete. Der Vize-Filialleiter kam zur Arbeit, sah ihn, dachte sich nichts dabei. Als es neun Uhr war, wartete Ali M. zunächst noch, bis zwei ältere Kunden die Bank wieder verlassen hatten. Er habe sie nicht unnötig erschrecken wollen.

Dann ging er auf den Banker zu und sagte, er wolle einen Kredit. Der Mann verwies ihn an eine Kollegin, doch Ali M. wollte nicht mit der Frau sprechen – um sie nicht zu verängstigen, wie er später aussagte. Er holte vor dem Mann aus seinem Rücksack ein großes Küchenmesser heraus, legte es auf den Rucksack, und sagte, man müsse es „so machen oder so“.

Der Vize-Filialleiter ging zum Kassenraum, reichte ihm rund 5000 Euro durch die Glasscheibe. Mehr gebe es wegen der Zeitschaltuhr erst einmal nicht. Ali fragte, ob ihn jemand mit dem Auto fahren könne. „Wir haben ihm gesagt, dass wir alle mit der Bahn gekommen seien“, sagte der Banker. Dass den jungen Familienvater das Geschehen geschockt hat, war seiner Aussage vor Gericht deutlich anzumerken.

Ali M. verließ die Bank mit dem Geld, ging ins Büro der Flüchtlingshilfe und überraschte die dort zur Besprechung versammelten Helfer damit, dass er die Beute aus seinem Rucksack packte. Die Helfer alarmierten die Polizei, die M. vor dem Haus, wo er mit einem Helfer auf die Beamten wartete, festnahm.

Keine kriminelle Energie

Seit dem Tag saß M. in Ossendorf. Dort gab es ebenfalls keine Arbeit für ihn, er konnte aber über seine Tat nachdenken. Da sowohl die drei Zeugen aus der Bank als auch die aus Flüchtlingshilfe und Kirche am Montag übereinstimmend ein Bild von einem Mann zeichneten, der eben keine besondere kriminelle Energie an den Tag gelegt hatte, kristallisierte sich am Ende heraus, dass der sich bei jedem Zeugen entschuldigende Täter den Raum womöglich als freier Mann werde verlassen können.

Zwei Probleme galt es zu lösen: Wer kümmert sich um ihn und seine Medikamente? Verteidiger Udo Klemt bot an, ihn nach dem Prozess zu einem der Helfer zu fahren, der ihm ein Obdach für zwei Nächte angeboten hatte. Zweites Problem: Wie kommen die Juristen vom Bankraub weg?

Hier wies die Staatsanwältin den Weg: Beim Literaturstudium war sie auf einen Fall gestoßen, in dem ebenfalls ein Mann eine Bank nicht aus Bereicherungsabsicht ausgeraubt habe, sondern weil er seiner Frau, die ihn wegen seines Penis’ verhöhnt hatte, beweisen wollte, dass er ein „echter Mann“ sei. Da Richterin Birgit Brandes und die beiden Schöffen zudem verminderte Steuerungsfähigkeit wegen psychischer Störungen nicht ausschließen konnten, gab es am Ende ein Jahr auf Bewährung. Das Urteil ist rechtskräftig.

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