„Niemand will, dass die SPD verschwindet“Sozialdemokrat Dierk Timm zum Parteizustand

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Dierk Timm (SPD) stand beim Redaktionsbesuch Rede und Antwort.

Dierk Timm (SPD) stand beim Redaktionsbesuch Rede und Antwort.

  • Rau war der Ton in der SPD gegenüber den Vorsitzenden zuletzt
  • Dierk Timm ist Kreitagsfraktionsvorsitzender der SPD in Rhein-Erft
  • Ein Interview

Rhein-Erft-Kreis – Der 52-jährige Vorsitzende der Kreistagsfraktion sprach mit Bernd Rupprecht und Manfred Funken über die 2020 anstehende Kommunalwahl und seine eigenen Ambitionen.

Herr Timm, die Bundes-SPD hat traditionell einen hohen Verschleiß an Vorsitzenden. Zuletzt war der Umgang mit Andrea Nahles so heftig, dass viele aus der ersten Reihe gar nicht mehr für das Amt kandidieren wollen. Ist denn die jetzt angestrebte Tandem-Lösung aus Ihrer Sicht eine moderne?

Um modern oder nicht geht es hier weniger. Wir haben in den vergangenen Jahren immer nach dem Supermann gesucht. Jetzt macht sich die Erkenntnis breit: Wir werden ihn nicht finden. Wer immer antritt, hat auch menschliche Schwächen und kann nicht alles allein tragen. Es ist einfach sinnvoll, die Last auf mehrere Schultern zu verteilen.

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Haben Sie ein Favoritenpaar unter den derzeit bekannten Kandidaten?

Nein, und wenn ich eins hätte, würde ich es jetzt nicht verraten. Ich bin froh, dass das Rheinland mit Karl Lauterbach und Nina Scheer sowie wahrscheinlich mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken gut vertreten ist.

Beim Parteitag am Samstag wollen die Mitglieder auch für die SPD Rhein-Erft die Voraussetzung dafür schaffen, dass ein Führungsteam an der Spitze stehen kann …

Formal können wir das erst, wenn die Bundespartei die Satzung geändert hat, was im Dezember passieren soll. Um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, werden wir bis dahin einen Vorsitzenden und einen Ersten Stellvertreter wählen. Um zu unterstreichen, dass sie eigentlich gleichgestellt sind, wird ein Kandidatenpaar erst auf dem Parteitag die Reihenfolge auslosen.

Ist ein Duo auf Kreisebene sinnvoll?

Gerade hier, weil die Arbeit immer vielfältiger wird, die Unterstützung für Ehrenamtler aber oft nicht mehr so gegeben ist, wie das noch vor einigen Jahren der Fall war. Wer einem Beruf nachgeht, kann von seinem Arbeitgeber nicht mehr uneingeschränkt erwarten, dass er ihn großzügig für das Ehrenamt freistellt.

Haben Sie selbst Ambitionen, den Vorsitz zu übernehmen?

Nein, genau deshalb, weil ich es mit meinem Job nicht vereinbaren kann. Ich habe die Verantwortung für zwei Firmen und rund zwei Dutzend Mitarbeiter. Ich könnte das zeitlich gar nicht schaffen, zumal das Amt vorher von einem Vollblut- und Vollzeitpolitiker ausgeübt wurde. Der viel zu früh verstorbene Guido van den Berg hat da große Fußstapfen hinterlassen und wird durch einen allein nicht zu ersetzen sein.

Gibt es dennoch schon Bewerber um die Nachfolge?

Ja, Dagmar Andres und Daniel Dobbelstein wollen sich als Team bei den Mitgliedern bewerben.

Wenn Sie sich die Situation der SPD insgesamt und insbesondere im Rhein-Erft-Kreis anschauen, macht es dann noch Spaß Sozialdemokrat zu sein?

Wie Franz Müntefering schon gesagt hat: „Opposition ist Mist.“ Es ist besser, selbst zu gestalten, als andere zum Gestalten jagen zu müssen, wie das im Kreis mit dem Jamaika-Bündnis der Fall ist. Aber es wird niemand allen Ernstes wollen, dass die SPD ganz verschwindet. Sozialdemokratie ist für unser Staatsgefüge ein wichtiger Baustein, und natürlich werden wir weitermachen.

An den meisten Regierungen der letzten 20 Jahre war Ihre Partei beteiligt. Ist die Chance zum Gestalten da versäumt worden?

Die Regierungen unter SPD-Beteiligung haben viel Richtiges auf den Weg gebracht. Deutschland steht gut da. Leider ist unsere Leistung oft anderen zugeschrieben worden. Deshalb müssen wir uns deutlicher profilieren: Vermögenssteuer, Grundeinkommen, Verbraucherschutz, Hilfe für die Schwachen und mehr Investition in die Infrastruktur sind die Themen. Die soziale Verantwortung muss wieder greifbar werden. Dafür brauchen wir ein stärkeres Engagement des Staates. Und eins muss klar sein: Starke Schultern müssen wieder mehr tragen als schwache.

Auf Kreisebene haben die Sozialdemokraten seit 20 Jahren keine Machtoption mehr. Kann sich da bei der Kommunalwahl im nächsten Jahr etwas ändern?

Ich denke schon. Die CDU hat schließlich auch einen Teil ihrer Wählerschaft eingebüßt, und so werden wir wahrscheinlich einen ganz anderen Kreistag und andere Stadträte erleben. Viele kleinere Parteien werden Mandate bekommen. Das wird zur Folge haben, dass bis zu 120 statt der bisher 76 Vertreter im Kreistag sitzen. Möglicherweise wird es bei nicht ganz eindeutigen Mehrheiten wieder so sein, dass gute Argumente zu Entscheidungen führen und nicht mehr, wie das zurzeit der Fall ist, die Frage „Welche Partei hat den Antrag gestellt?“.

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Ist eine Zusammenarbeit mit den Linken eine Option?

Auf Bundesebene ist das schwierig. Ich möchte nicht, dass die Nato abgeschafft wird. Mit den Mandatsträgern im Kreistag ist eine Zusammenarbeit jederzeit möglich, zum Beispiel bei der Schaffung eines dritten, eines sozialen Arbeitsmarktes.

Wie stark wird die AfD im Kreis werden?

Das hängt davon ab, welche Perspektive wir den Menschen in der Region bieten können. Innerhalb von drei Jahren werden hier Kraftwerke mit fünf Gigawatt Leistung abgeschaltet. Im Rahmen des Strukturwandels müssen wir das kompensieren. Es wird vermutlich eine Reihe von Protestwählern geben. Zum einen RWE-Mitarbeiter, die ihre Lebensleistung infrage gestellt sehen, zum anderen Menschen, denen es durch den Wandel wirtschaftlich schlechter geht. Ich kann nur davor warnen: Die AfD wird vielleicht in einigen Gremien vertreten sein, aber nichts zu Problemlösungen beitragen.

Was halten sie von der Bewegung Fridays for Future?

Das Thema Klimaschutz ist gut, der Protest ist gut, und das Engagement der Jugendlichen ist super. Allerdings kann man in einer Demokratie auf Dauer nicht radikal unterwegs sein und muss Kompromisse suchen. Protest allein reicht nicht, man muss sich in Vereinen, Parteien und Verbänden engagieren.

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