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Fast verhungertes KindSo wurde eine Erzieherin stutzig und alarmierte die Behörden

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Die angeklagte Bergheimerin vor dem Landgericht in Köln

Bergheim-Niederaußem/Köln – Jugendamt, Familienhelfer, Sozialer Dienst, Ergotherapeuten – es waren viele Einrichtungen und Behörden involviert, die im Fall der fast verhungerten fünfjährigen Alina S. Anträge bewilligten, Frühförderung genehmigten, zusätzliche Gelder abnickten und es gleichwohl offenbar an der Kommunikation untereinander vermissen ließen, sodass es beinahe zur Katastrophe kam.

Die Leiterin eines integrativen Kindergartens in Bergheim hatte sich jedenfalls gewundert, dass sie Alina nie zu Gesicht bekam, nachdem die Mutter Monika S. ihre Tochter online in der Einrichtung angemeldet hatte. Der vorherige Kindergarten hatte die Überweisung an diesen Kindergarten mit Inklusionsplätzen angeregt.

Doch Monika S. habe in einem persönlichen Gespräch im Februar 2020 auf einmal erklärt, sie benötige den Platz nicht mehr, da sie einen Wohnungswechsel plane. So schilderte es die Leiterin am dritten Verhandlungstag gegen die Mutter, die sich gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten wegen versuchten Mordes durch Unterlassen vor dem Landgericht verantworten muss.

Bergheimer Erzieherin wird stutzig

Die Erzieherin bestand jedoch auf die aktenkundliche Aufnahme für Alina, weil sie bei einem möglichen Wohnungswechsel der Familie das umfangreiche Aufnahmeprozedere für den nächsten Kindergarten erleichtern wollte. Monika S. war einverstanden, vereinbarte weitere Termine und erschien jedes Mal allein. „Sie kam immer ohne Kind, das ist eigentlich unüblich“, so die Leiterin. Als Alina am 10. August 2020, dem offiziellen Anmeldetermin, nicht erschien, griff die Leiterin zum Telefon. Sie wollte mit Alina in die Kinderklinik, zum Röntgen, weil die Tochter so schwach war und nicht mehr aufstehen konnte, habe sie als Antwort erhalten.

Als Monika S. einen Tag später dann zufällig am Kindergarten vorbeikam und von der Erzieherin angesprochen wurde, hieß es plötzlich: „Alina leidet an Muskeldystrophie.“ Das machte die Erzieherin stutzig, denn: „Diese Diagnose stand in keinem der Berichte, die uns vorgelegt worden waren.“ Monika S. habe ihr bei diesen Worten auch nicht in die Augen schauen können. „Sie wirkte nervös, fahrig, vermied jeglichen Blickkontakt.“

Die Erzieherin alarmierte daraufhin unverzüglich das Jugendamt mit dem Hinweis: „Mit dem Kind kann was nicht stimmen.“ Worauf die Behörden, wenn auch mit Verzögerung, tätig wurden.

Alina und ihr Bruder fehlten an 230 von 410 Tagen unentschuldigt

Schon im Kindergarten Niederaußem, den Alina gemeinsam mit ihrem Bruder ab August 2018 zunächst besucht hatte, war das kleine Mädchen durch seine außergewöhnliche Zartheit und Schmächtigkeit aufgefallen. „Das Kind war nur noch Haut und Knochen“, erinnerte sich eine Erzieherin. Dabei habe Alina stets gut gegessen, auch das Frühstück, das die Mutter der Tochter „immer liebevoll zubereitet“ mitgegeben habe, sagte die Erzieherin aus.

Beide Kinder seien stets gut gekleidet gewesen, allerdings sei die Unterwäsche oft sehr verschmutzt gewesen. Für Alina war eine Fördermaßnahme bewilligt worden. Einmal pro Woche kam eine Therapeutin, die sich dem Mädchen alleine widmete. Diese Termine seien jedoch oft ausgefallen, denn Alina wie auch ihr Bruder fehlten an 230 von 410 Tagen unentschuldigt.

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Als Alina im Februar 2020 in ihrem alten Kindergarten abgemeldet war, hatte die Mutter einem Erzieher berichtet, wie gut sich die Tochter in der neuen Kita eingewöhne: „Es läuft sehr gut, sie fühlt sich wohl.“

Die Lüge kam „authentisch rüber“, so der Erzieher. Er habe Alina zuvor mehrfach gewickelt, ihren schlimmen Allgemeinzustand bemerkt. „Mir ist bald schlecht geworden, als ich das gesehen habe“, sagte der Mann. Aber er habe sein Gewissen dann auch schnell beruhigt und gedacht, „hier sind so viele Stellen wie Jugendamt, Einzelhilfe, Sozialer Dienst beteiligt, die kümmern sich schon“.

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